Gestalt als Zeugnis – zu Beethovens letztem Klavierstück*

Allegretto quasi Andante in g-moll vom 27.9.1825

[258] Es geht um Beethovens letztes Klavierstück. Beethoven hat zwar noch eine Klavierkomposition nachher geschrieben, nämlich die Fuge des letzten Quartetts in B-dur, aber dies ist keine eigentliche Klavierkomposition, sondern nur die Transkription der Streichquartettfuge. Auch die Diabelli-Variationen op. 120 und die späten Sonaten wie die letzte, op. 111, sind vorher komponiert, und ich habe kein weiteres Klavierstück gefunden, das 1825 oder später geschrieben worden wäre. Die Neunte Symphonie op. 125 und die Missa Solemnis op. 123 waren also komponiert. Nur einige der letzten Streichquartette standen noch aus, und es wird berichtet, daß Beethoven Besuch von einer jungen Dame (Sarah Burney Payne) hatte. Ihr hat er beim Abschied ganz rasch im Nachbarzimmer diese 13 Takte eines „Allegretto quasi Andante g-moll“ aufgeschrieben. [259]

Es ist ein überraschender Beethoven, ein in seiner Knappheit nachdenklich stimmender Beethoven, einer, bei dem man das Gefühl hat, daß er schon die Abgeklärtheit der späten Werke an sich hat. Dabei kann, wie man auch spontan merkt, die Komposition wegen ihrer polyphonen Führung mit der zweistimmigen Invention eines Johann Sebastian Bach verglichen werden, obgleich das vierstimmige Ende bei Beethoven für eine zusätzliche innere Dichte sorgt.