Heiliges Leben in heutiger Zeit*
Als Summe ein Modell
Die aus vielen geistlichen Kontexten eingesammelten Hinweise lassen sich auf vielfältige Weise in eine plausible Gestalt zusammenfügen. Eine dieser möglichen Gestalten soll hier aufs knappste skizziert werden. Heiliges Leben – dies das Modell – ist gelebte Eucharistie. Zunächst: Eucharistie ist Kreuzesopfer und Gegenwart des auferstandenen Herrn in einem. Heiliges Leben ist beständige Kreuzigung, beständige Hingabe, beständiges Nein zum Eigenwillen in der liebenden Darbringung an den Willen des Vaters in Christus und mit ihm. Nur wer den ungezählten Kreuzen am Wegrand eines jeden Tages nicht ausweicht, nur wer in den Dunkelheiten, Fehlern, Schwächen in sich und um sich, in den Abgründen und Ungereimtheiten des Lebens den entdeckt, der alles das angenommen und dem Vater hingegeben hat, nur der hält nicht sich selber fest, sondern bringt sich im Heiligen Geist mit Jesus dem Vater dar, geht mit ihm hinein in das neue und andere Leben. Er ist darin aber, verborgen oder offenbar, im stummen Glauben oder in der sprechenden Erfahrung, auch bereits drinnen in der Auferstehung, eben im neuen Leben. Er lebt mit dem lebendigen Herrn.
Eucharistie ist sodann Jesus Christus als Lobpreis, Danksagung, Hingabe, als lebendig gesprochenes „Abba, Vater“ im Heiligen Geist – und in einem damit vom Vater der Welt dargereichtes Brot für ihr Leben. Eucharistie hat die Zugkraft nach oben, zum Vater und die Schubkraft hinaus in die Welt in sich. Heiliges Leben ist Leben im einen und selben Geist mit Jesus hin zum Vater und in Jesus vom Vater her hinein in die Welt.
Und zugleich ist Eucharistie Mysterium der Einheit, lebendiger Leib des Herrn mit vielen Gliedern, vollzogene Communio. Heiliges Leben ist kirchliches Leben, ist Leben mit den anderen, Leben aus dem einen Geist im einen Leib, Leben mit dem Herrn selber in der Mitte zwischen vielen Brüdern und Schwestern. Heiliges Leben ist dort, wo beständig Kreuz und Auferstehung gelebt werden. Heiliges Leben ist dort, wo die drei eucharistischen Grundrichtungen jeden Augenblick, jede Lebensäußerung bestimmen, Hingabe an den Vater, Dienst an die Welt, lebendige Communio. Heiliges Leben hat diese drei Handbewegungen: die zum Vater erhobenen Hände, die in die Welt hinein weiterreichenden Hände, die zum Einschlag dem Nächsten rechts und links hingehaltenen Hände.
Vielleicht hat heiliges Leben noch nie so sehr wie heute die beiden Dimensionen der Welthaftigkeit und der Communio aufscheinen lassen. Diese Dimensionen aber fallen auseinander, wo sie nicht verankert bleiben im Oben, in der Hinwendung zum Vater. Der Geist ist unteilbar, jener Heilige Geist, in dem der Sohn sich gehorsam dem Vater darbringt für die Welt, in dem er den Vater im Namen der Menschheit lobpreist und in dem er uns eint.
Eucharistie zeichnet so jene Struktur nach, besser, Eucharistie zeichnet jene Struktur vor, die wir an der Raumzeitlichkeit heiligen Lebens heute ablasen. Sie ist Herkunft aus dem Einmal des Anfangs, aus dem Tod und Auferstehen des Herrn, die hier gegenwärtig werden, die hier seine Gegenwart schenken. Eucharistie ist Entgegengehen dem kommenden Herrn, der vor der Tür steht. Eucharistie ist sein Jetzt, die erfüllteste Form seiner Gegenwart in unserer Mitte.
Eucharistie ist Einkehr in die Wolke, Hingehen zum Vater mit dem sich für uns darbringenden Sohn – Eucharistie ist Hingabe, Hinausgabe Gottes in die Welt, gebrochenes Brot für das Leben der Welt ־– Eucharistie ist Wegzehrung, Brot für unsere Wüstenwanderung, für unseren Exodus – Eucharistie ist Communio, Gemeinschaft miteinander in der Gemeinschaft mit dem Herrn. Man kann so von heiligem Leben heute sprechen, daß man darin spricht von Eucharistie. Sollten wir nicht lernen, so von Eucharistie zu sprechen, so Eucharistie zu feiern und zu leben, daß darin heiliges Leben heute offenbar wird?