Grenzgänger der Transzendenz – eine Zielgruppe der Pastoral

Alter und Krankheit*

Die Chancen für das Ins-Spiel-Kommen des Ganzen wie die Sperren dagegen sind besonders deutlich beim alten Menschen und beim Kranken.

Dem alten Menschen treten sein Leben und seine Erfahrung als ein Ganzes vor Augen, das doch noch der letzten Abrundung, der letzten Unterschrift bedarf, und nun steht er vor diesem Letzten, vor der Frage „Was nun?“ Er steht vor dieser Frage mit dem vitalen Interesse und mit immer breiteren Möglichkeiten, dieses Letzte hinauszuschieben, zugleich aber in der Not, sich als nicht mehr gebraucht und gefragt zu erfahren: Grenzsituation nicht nur – und für die eigene Erfahrung vielleicht nicht einmal zuerst – gegenüber dem Tod, sondern gegenüber dem Sinn seines Daseins zwischen aktivem, funktionsgeladenem Leben und der ungewissen Begegnung mit der Grenze des Lebens. Das Ganze kommt von mehreren Seiten her ins Spiel: vom abzuschließenden, zu deutenden Ensemble gemachter Erfahrungen und vollbrachter Leistungen, vom bevorstehenden Abschied vom Leben, aber auch und zumal vom Jetzt her, das mit aller Dringlichkeit die Frage nach Sinn und Erfüllung stellt. Diese dreifache Herausforderung wird nicht selten als Überforderung erfahren, zumal die eigenen Kräfte schwinden – und so korrespondiert der vermehrten Offenheit für die Sinnantwort die Versuchung, die Frage zu verdrängen, der Frage auszuweichen, in welche die eigene Lebenslage hineinruft.

[148] Der Kranke wird schon äußerlich durch die Vielzahl der Bemühungen und Möglichkeiten, die Krankheit zu kurieren, abgelenkt vom Ernst der Situation, und auf andere Weise wird diese Situation in neuem Sinn ernst, in neuem Sinn Grenzsituation für ihn: weithin ist er an den Rand der Gesellschaft gedrängt, in ein Sonderbereich, in dem es nur um Krankheit, Heilung, Unheilbarkeit geht. In diesem Sonderbereich wird er von seinem Leben weggerückt, er sieht es in einer merkwürdigen Distanziertheit. Abwechselnd erscheint ihm seine eigene Situation oder aber das Leben, wie es „normalerweise“ abläuft, oder aber beides und somit alles als Leerlauf, als Fragment, von dem ungewiß ist, wie es zum Ganzen werden könnte, ja zu welchem Ganzen es überhaupt gehört. Solche Ungewißheit wiederum ist störend für den einzelnen wie für die Gesellschaft, und so verbünden sich insgeheim beide zur Entwicklung mannigfacher Abwehr- und Verschleierungsmechanismen. Das Ganze drängt ins Spiel – und wird zugleich vom Spielfeld wieder abgedrängt.

Diese wenigen und schematischen Andeutungen über Alter und Krankheit decken gewiß nicht das reiche Phänomenfeld ab, das hier zu bedenken wäre. Andere Akzente, andere Konstellationen stehen uns täglich vor Augen. Und doch läßt sich der eine Grundzug wohl überall wahrnehmen: das Ganze kommt auf neue Weise ins Spiel – das Ganze wird zugleich auf neue Weise abgeschirmt. Und dieses Ganze ist nicht nur da in der Verlängerung der Lebenslinie über den Tod hinaus, sondern auch im Blick auf das gelebte und zu lebende Leben selbst.