Theologie als Nachfolge

Anfangsein und Anfangen

Hier muß jedoch eine weitere Reflexion einsetzen, die bislang miteinander Vermischtes scheidet. Wir sprachen vom transitiven Anfangen – und um dieses geht es in der Folge – wie von einem einzigen Akt, der in unserer Konzentration auf uns selbst und darin zugleich auf unser Anderes dieses bereits setzt. Näher betrachtet, umschreibt aber der Konzentrationspunkt „Anfang“ eine ganze Geschichte. Ihr erster Akt ist mein Anfangsein, genauer: ist das Ereignis jener Mitte, die mich in den Rückgang zu mir und in den Ausgang zu meinem Anderen grundsätzlich öffnet, die mich von einem möglichen Außerhalb allererst scheidet. Erst in dieser Mitte kann ich sagen „ja ich“ und fragen „nur ich?“. Doch in solcher Frage ist bereits ein Zweites geschehen: mein Sein ist mir als mein Können aufgegangen. Darin fällt mir etwas ein, was ich tun, was ich wollen kann. Es fällt mir ein von außen, wie es scheint, aber es könnte mir gar nicht von außen einfallen, wenn es nicht schon zum Horizont meines Innen, meines Selbst gehörte. Die Frage, ob und wie in endlicher Ursprünglichkeit ein Außen Anstoß des Einfalls einer Möglichkeit sein muß, kann hier außer Betracht bleiben. Jedenfalls aber wird mein Anfangsein mir als Möglichkeit meines Anfangens nur dadurch gewahr, daß sich in mir ein Verhältnis zu mir, zu dem, was ich bin, zu meinem Anfangsein begibt. Indem ich Anfang bin, indem die darin beschlossenen Momente meines Selbstseins, die wir diskutierten, sich zueinander verhalten, verhalte ich mich – reduplikativ, noch einmal – zu ihnen, und erst darin wird mein Sein mir als meine Möglichkeit nach außen sichtbar. Diese Sichtbarkeit, der Einfall meiner Möglichkeit, durch die mein Sein mir zugleich als Fähigkeit des Anfangens erweckt ist, bedeuten aber gerade noch nicht das Anfangen, sondern setzen mich ein weiteres Mal ins Verhältnis zu mir und zu der in meinem Sein beschlossenen Möglichkeit: will [71] ich, und was will ich? Wenn ich als fähig zu meinem Anderen und mein Anderes mir als möglich präsent sind, dann ist zwar unweigerlich mein Wollen im Spiel; denn ich verhalte mich zu meiner Möglichkeit und entscheide eo ipso, ob ich diese Möglichkeit oder jene, ja ob ich überhaupt eine oder gar keine ins Werk setze; auch der Verzicht aufs Anfangen, auch das Nichts-Anfangen ist insofern ein Etwas-Anfangen, weil es eine Position zu meinem mir möglichen Etwas darstellt. Doch gerade hier hat sich der entscheidende Sprung begeben, der aus der Konzentration meines Selbstseins in seinem Wie nicht ableitbar, in seinem Daß aber ernötigt ist. Wie auch immer ich mich entscheide, ich entscheide meine Möglichkeiten; ob ich sie ins Werk setze oder als bloße Möglichkeit zurückhalte, und welche meiner Möglichkeiten ich ins Werk setze oder zurückhalte, dies ist mein je fälliger, je unselbstverständlicher Entscheid – und diese Unselbstverständlichkeit des Entscheids nimmt nicht ab, sondern zu, wo sich Ursprünglichkeit, Anfangsein zu reiner Ursprünglichkeit, zu absolutem Anfangsein steigert. Die an sich hier noch einzuführende Differenzierung zwischen dem Anfangenwollen und dem tatsächlichen Anfang, die in der Konstitution endlicher Ursprünglichkeit grundgelegt ist, sei nur noch erwähnt, aber nicht mehr entfaltet; unsere Phänomenologie des Anfangens ist ja nicht um ihrer selbst willen, sondern im Blick auf Bonaventura geschrieben, für dessen Logik die Logik des unbedingten, des schöpferischen Anfangens die entscheidende Funktion hat. Wir sind ausgegangen von Bonaventuras These, der Anfang liege bei der Mitte. Die Phänomenologie des Anfangens wies uns darauf hin, daß Anfang als Zeitpunkt und Anfang als Prinzip eines intransitiv Anfangenden Mitte sind; daß im transitiven Anfangen der Anfang Mitte des Anfangenden in sich, des Anzufangenden in sich und scheidende und verbindende Mitte des beiden miteinander ist; daß transitives Anfangen ein Wesen, das selber Anfang ist, voraussetzt, daß Anfangsein aber heißt, sich als Mitte in sich zu tragen; daß schließlich geschehender Anfang die konzentrierende Mitte des Anfangenkönnens, als diese konzentrie- [72] rende Mitte aber ein aus diesem Können unableitbarer Sprung ist. Bonaventuras These löst sich im Hinblick aufs Phänomen also ein.