Franz von Baaders philosophischer Gedanke der Schöpfung

Ansatz bei Freiheit menschlichen Selbstseins

Inwiefern hat Baader in dem entworfenen Begriff des göttlichen Selbstgeschehens Gott als frei zu seinem Anderen mitbegriffen? Anders gefaßt: Wie kann die Freiheit Gottes zur Schöpfung, die sich dem Denken im Sein des Geschöpfes bekundet, von Gott her verstanden werden?

Die negative Seite des Problems wurde schon berührt: Wenn Gott nicht die ewige Aufgehobenheit der „indigentia sui“ in der unbedingten Fülle seiner selbst und wenn sein Selbstgenügen ihm nicht als solches offen wäre, so könnte er nicht frei schaffend über sich hinausgehen. Träte die indigentia sui „abstrakt“ in seinem Selbstvollzug hervor, so bräuchte er unfrei sein Anderes. Wäre sie als in der Fülle aufgehoben ihm nur abwesend, so wäre es auch die Fülle; in solch lautloser „Stille“ aber könnte kein „Anderes“ hervortreten.

Wie ist nun damit, daß Gott in der Identität von Idee und Natur sich als seine unbedingte Fülle weiß und umfängt, das Andere ihm auch positiv möglich und taucht seine Möglichkeit in der Erfülltheit des unbedingten Selbstseins auf?

Blickt man auf die Unbedingtheit Gottes, so entsteht zuerst der Anschein, dieses sei mit dem Sein von Bedingtem unvereinbar; das Geschöpf droht als das Andere Gottes in Konkurrenz mit ihm zu treten, als es selbst, als das Andere, außerhalb des unbedingten Selbst zu sein, so daß dieses aus einem umfassenden, also größeren und vorgängigen Raum begriffen wer­den müßte, der das Unbedingte und sein Anderes umspannt, damit aber beide bedingt und begrenzt, zu je diesem und nicht jenem werden läßt.

Doch gerade weil das Andere ist und ist, wie es ist, findet sich Baader veranlaßt, Gott als in sich frei vom Anderen zu denken. Wieso steht Gott aber in seiner Freiheit vom Außerhalb in der Offenheit auch zum Außerhalb? Die Antwort auf diese Frage gilt es dort aufzusuchen, wo die schein­ bare Bestreitung der Unbedingtheit Gottes durch das Dasein des Geschöpfes ihre Spitze erreicht: in der Freiheit des geschaffenen Geistes. Denn hier ist zwar das Sein des Anderen „bei sich“, und sofern es frei ist, sogar in der Bestimmung seiner selbst; hier aber ist allein auch der Bezug zum Unbedingten und darin dieses selbst beim erschaffenden Anderen Gottes offen anwesend. Die Mitteilung Gottes, welche die Schöpfung ist, kann nur dort [118] auf den Grund ihrer Möglichkeit durchsichtig werden, wo sie als Mitteilung sich selbst der Frage und in die Frage der zu sich selbst entbundenen Partnerschaft, also Freiheit des Selbstdenkens, stellt.

Baader führt aus: „Man könnte, was die Freiheit einer Kreatur überhaupt betrifft, sagen, daß mit dem Schaffen einer solchen ein Widerspruch gesetzt und dessen Lösung gleichsam als Problem aufgegeben ist, insofern zugleich die absolute Selbständigkeit, Freiheit und Eigenheit Gottes und nicht minder die Selbständigkeit, Freiheit und Eigenheit der Kreatur bestehen soll.“1 Es genügt ihm nicht, darauf hinzuweisen, wie „dieser formale Widerspruch im (unbewußten) Sein bereits damit gelöset zu sein“ scheint, „daß diese Eigenheit der Kreatur doch nur von Gott stammt und daß ihr Wesen, wodurch sie eine selbständige und eigentümliche ist, doch nur ein gottverliehenes ist“2. Vielmehr muß „dieser anscheinende Widerspruch“ „im Bewußtsein der Kreatur selber gelöset sein, oder diese muß sich frei und selbständig eben nur in, mit und durch Gott wissen“3. Denn die Freiheit des endlichen Selbst ist nur „da“, wenn sie im Vollzuge steht, und nur in diesem Vollzug ist auch der wirkliche Zusammenhang mit der sie sein lassenden Urfreiheit des Unbedingten – als Übereinkunft oder Bestreitung – da; ähnlich wie das Dasein Gottes nach Baaders Gedanke als solches dem Menschen erst aufgeht im Vollzuge seines eigenen Daseins4 Deshalb blickt Baader zunächst darauf, „wie die Kreatur zu jenem Wissen ihrer als mit dem Wissen von Gottes Selbständigkeit und Freiheit zugleich seienden und nur durch diese zu verwirklichenden eigenen Freiheit gelangt, und zwar durch rechte Vermittlung, so wie sie durch eine falsche Vermittlung zum Bewußtsein ihrer Unfreiheit kommt, in welch letzterem Falle jene oben bemerkte Dyas“ – der Freiheit Gottes und der eigenen – „als Radikal der Kreatur effektiv und empfindlich als Widerspruch und innere Zerrissenheit ins Bewußtsein tritt“5.

Baader vergleicht das Verhältnis zwischen Eigensein des Schöpfers und Eigensein des Geschöpfes mit dem Verhältnis zwischen Eigensein des Gesamtorganismus und Eigensein des Gliedes6. Er betont allerdings: „Mir gelten die Kreaturen nicht als Glieder Gottes.“7 Es ist ihm nur um die verwandten dynamischen Proportionen zu tun. Ein Widerspruch zwischen dem Sein des Ganzen und dem Sein des Gliedes bricht nur auf, wenn das Glied nicht wahrhaft „ist“. Und es ist nicht, wenn es unabhängig vom Ganzen unmittelbar in sich selbst zu sein versucht; denn dem Ganzen entratend enträt es seinem Sein. Das Prinzip des Gesamtorganismus trachtet danach, sich in den Gliedern und darin sie selbst auszubilden. Lassen die Glieder sich diesem „Imperativ“, so fügen sie sich in den „Leib“ des Prinzips. In ihm hat das Prinzip sein Bestehen, sein bergendes Worin, und in ihm haben die Glieder auch das ihre. Versagen sich die Glieder dem Imperativ des Prinzips, so kommen sie selbst nicht zum „Stand“, zum tragenden Unterhalt, [119] ihr Sein findet sich durch den Imperativ des Prinzips im Widerspruch aufgehalten8.

Während der Organismus nicht ist ohne die Glieder, da diese für die Beleibung ihres Prinzips konstitutiv sind, ist das Geschöpf nicht konstitutiv für das als vollendet vorausgesetzte Sein Gottes in sich9. Für das Eigensein des Geschöpfes gilt indessen Entsprechendes: Es steht zwischen [sic!] dem „Vater“, dem es sich lassen muß, und der „Mutter“, die sich ihm läßt und so es sein läßt10. Die „rechte Vermittelung“ des Eigenseins und der Freiheit des Geschöpfes ist so seine Selbstaufgabe an Gott. Darin findet es Grund und Stand im Unbedingten, durch die es erst selbst und frei wird. Wenn es dagegen die Hingabe frei verweigert, so kommt seine Freiheit nicht zum „Stande“, nicht zu sich selbst, wird also nicht wahrhaft frei, da sie vom gegenläufigen „Imperativ“ nie loskommt11. Der Gegensatz zwischen Freiheit und Eigensein Gottes und Freiheit und Eigensein des Geschöpfes tritt auf seiten des Geschöpfes also nur dann hervor, wenn das Geschöpf nicht wahrhaft ist und frei ist. Baader bringt diesen Verhalt auf die bereits erwähnte Formel: „Das Problem zwischen Gott und Kreatur ist: Gott soll manifestiert werden, aber auch das Geschöpf. Dies wird dadurch gelöst, daß das Geschöpf sich Gott läßt, wodurch es mit Gott selbst manifestiert wird.“12


  1. SpD 1,11 VIII 110. ↩︎

  2. Ebd. ↩︎

  3. Ebd. ↩︎

  4. Siehe SpD 1,11 VIII 110. ↩︎

  5. SpD 1,11 VIII 110 f. ↩︎

  6. Vgl. SpD 1,11 VIII 111 f.; ferner Freiheit 12–15 VIII 159–164. ↩︎

  7. Freiheit 14 VIII 163; vgl. SpD 1,11 VIII 112. ↩︎

  8. Vgl. SpD 1,11 VIII 111; Freiheit 15 VIII 163 f. ↩︎

  9. Vgl. etwa SpD 1,10 VIII 92. ↩︎

  10. Vgl. SpD 1,11 VIII 112–114; Freiheit 14 f. VIII 163 ff. (Schöpfung als „Doppelakt“ Gottes, gemäß dem Satz „Pater in filio, filius in matre“). ↩︎

  11. Vgl. z. B. SpD 1,8 VIII 84; SpD 1,9 VIII 87. ↩︎

  12. SpD 1,8 VIII 79; vgl. SpD 1,11 VIII 111 und besonders 114. ↩︎