Personale Hilfe in einer technisierten und rationalisierten Welt

Ansatz zur Hilfe

Was ist das: Hilfe? Sie läßt sich nicht in sich selbst verstehen; wir verstehen sie nur von dem aus, worauf sie sich bezieht. Und sie bezieht sich, so scheint es zunächst, auf Not. Diese Auskunft ist indessen nicht genau genug. Wenn ich dir Holz spalten helfe, dann braucht die Situation, daß du Holz spaltest, nicht schon eine Not zu sein. Hilfe kann also auch irgendeiner Aufgabe, die jemand zu erfüllen hat, gelten. Was ist dann der gemeinsame Nenner aller der Situationen, in denen Hilfe vorkommen [167] kann? Immer liegt eine Spannung vor, Spannung zwischen einem Zustand, der so ist, und einem anderen, der so oder so sein soll. Der Zustand, bei dem Hilfe ansetzt, ist gespannt auf eine Zukunft: So oder so soll oder sollte es sein, aber es ist noch nicht so. Formelhaft gesagt: Hilfe richtet sich auf gespanntes Sein, Sein also, das auf einen gewünschten oder gesollten Zustand hin orientiert ist, ihn aber noch nicht erreicht hat.

Hilfe bezieht sich auf Spannung, aber nicht jede Spannung läßt Hilfe zu. Die Zeit läuft auch nach vorwärts, ist nach vorne gespannt, und doch wäre es unsinnig und unmöglich, dem gleichförmigen Ablauf der Zeit nachhelfen zu wollen. Warum? Zeit läuft von selbst und in sich selbst ab. Die Spannung, die einen Ansatz für mögliche Hilfe bietet, kann im Gegensatz dazu kein in sich geschlossener, sie muß ein nach außen offener Ablauf sein. Die Spannung, der die Hilfe gilt, muß eingebettet sein in einen über sie hinausreichenden Wirkungszusammenhang.

Holz spaltet sich nicht von selbst, aber es läßt sich spalten, und deswegen kannst du selbst helfende Maßnahmen und kann ich für dich helfende Maßnahmen zwischen den Zustand des Holzes, wie es ungespalten daliegt, und zwischen den erwünschten des ofenfertigen Heizmaterials dazwischenschalten.

Doch die Spannung, die nach Hilfe ruft, liegt nicht eigentlich im Holz, sondern in dir, der du dieses Holz gespalten dahaben willst. Ob mein Mit-dir-Spalten dir wirklich Hilfe sei, das läßt sich vom Holz her gar nicht entscheiden. Du könntest ja Freude haben am Holzspalten, es könnte dir auf den Vollzug selbst ankommen – und dann verdürbe dir alle Hilfe den Spaß. Auf dich kommt es an, in dir selbst kann allein die Spannung liegen, die Hilfe möglich und sinnvoll macht. Das ist höchst eigenartig. Wir sagten doch: Die Spannung muß nach außen offenstehen, sie muß in einen übergreifenden Wirkungszusammenhang reichen, sonst findet Hilfe gar keinen Ansatz. Und jetzt sehen wir: Diese Spannung liegt an dir, ja in dir selbst. Doch was ist unabnehmbarer, unvertretbarer, ausschließlicher als dies: Ich-selbst-Sein, Du-selbst-Sein?

Ich, das ist jener Ursprung, der ich einfach bin. Ich habe es mir nicht ausgewählt, ich zu sein, doch jetzt bleibt mir nichts anderes übrig, als dieses Ich mit mir selber auszufüllen. Was ich auch tue oder erleide, was ich anstoße oder was mir zustößt, hinter all dem bleibt doch dieses eine stehen: Ich. Sogar wenn ich mich töte, war ich es, der dies tat, bin ich ein Selbstmörder. Daß ich ich bin, das ist aber nur deswegen so ungeheuerlich, weil ich ich bin angesichts von allem, was auch sonst noch ist, weil ich ich selbst bin inmitten von allem, was es gibt und geben kann. Ich bin in der Welt ganz anders, als etwa eine Pflanze oder ein Stein in der Welt sind. Ich bin in der Welt, so daß die ganze Welt zu mir selbst gehört. Ich bin größer als die ganze Welt, sie ist ja in mir, in meinen Gedanken, Meinungen, Entscheidungen. Ich bin ich nicht nur angesichts der Welt, sondern angesichts des Sinnes und der Wahrheit von allem, vor dem Sinn und der Wahrheit, die mich und die ganze Welt umspannen: so groß bin ich. Und doch bin ich zugleich lächerlich klein, ein winziger Punkt in der Welt, auf sie angewiesen. So wenig mir mein Selbersein abgenommen werden kann, so [168] sehr bin ich doch den Bedingungen außer mir und um mich herum verhaftet, ich bin gespannt auf die Dinge und Menschen, die mich umgeben, weil ich ohne sie mein eigenes Dasein gar nicht fristen könnte. Und nicht nur mein Magen, mein Herz, das, was im Inwendigen dieses geheimnisvollen Ich lebt, ist abhängig von der Welt, von dem, was sie mir zeigt, was sie mir an Bildern, Eindrücken, Glück und Unglück gewährt und versagt.

Ich muß ich sein – in der Welt und von der Welt her. Diese Spannung hat zwei Seiten: Zuerst ist sie Spannung auf die Welt hin, besser: auf das hin, was in der Welt ist, als Bedingung meines eigenen Lebens. Ich brauche dies und jenes, damit ich sein kann. Gespannt auf mein Lebenkönnen, auf die Erhaltung und Erfüllung meiner Existenz, bin ich gespannt auf die Bedingungen, die mir die Welt dafür zur Hand gibt. Eingelassen in diese Bedingungen, bin ich einerseits ihnen unterworfen, anderseits bin ich ihnen in meiner planenden Sorge überlegen. Hilfe ist in ihrer ersten Gestalt die Vermittlung jener nur mittelbar verfüglichen Bedingungen, die mir mein Leben in der Welt gewährleisten und erleichtern. Diese Hilfe kann bestehen in planenden Maßnahmen, die ich selbst einschalte, um diese Bedingungen zu erreichen, dann ist sie uneigentliche, ist sie Selbsthilfe. Oder sie ist eigentliche Hilfe, indem nämlich andere Menschen, die mit mir in der Welt leben, für mich und mit mir diese Bedingungen mir bereitstellen. Weshalb die Fremdhilfe die eigentliche Hilfe ist, wird sich sogleich erklären.

Was wir soeben betrachteten, ist nur die eine und vordere Seite der Spannung, bei welcher die Hilfe ansetzt. Wenn ich die Bedingungen habe, unter denen sich leben, gar leicht leben läßt, habe ich damit mein Leben noch nicht gelebt; und wenn ich sie nicht habe oder haben kann, wie ich es mir wünschte, so muß ich dennoch sein, muß ich dennoch mein Dasein als Leben oder gar als Sterben vollbringen. Darauf, daß ich selbst mit meinem Sein in der Welt fertig werde und es bestehe, darauf geht im Grund meine Spannung aus: Ich muß aus der Welt zu mir zurückfinden und kann so erst mit mir selbst, als ein entschiedenes, gestaltetes und gestaltendes Ich zugleich neu in die Welt wieder ausgehen. Ich bin also darauf hin gespannt, mit mir selbst eins zu sein, indem ich eins bin mit meiner Welt.

Hier kehrt, nur noch schärfer, der eigentümliche Gegensatz wieder: Hilfe wird mir nur von außen, durch ein helfendes Etwas oder Du. Darin aber, worin ich Hilfe zutiefst brauchen könnte, in meinem innersten Ich-selbst-Sein, bin ich unabnehmbar auf mich selbst gestellt.

Und doch, gerade hier fängt Hilfe eigentlich erst an. Jene Hilfe, die mir freilich kein Etwas, keine Sache oder Maßnahme mehr zu leisten vermag, auch kein Mitmensch, sofern er sich darin erschöpft, mir nur helfende Maßnahmen zu verabreichen. Diese eigentliche Hilfe ereignet sich nur darin, daß du selbst, du als du mich zu mir, zu meinem Ich bringst.

Ich selbst – ich bleibe für mich allein immer in der Spannung, daß mein Tun, Haben, Genießen, Meinen, Denken für niemand ist, niemand beschenken und meinen kann, und so kann auch ich selbst nicht beantwortet, gehalten, zurechtgerückt werden. Du allein kannst mir helfen, denn du [169] allein bist mir gewachsen; du schaust mit mir auf die ganze Welt und über die ganze Welt hinaus auf die Wahrheit und den Sinn von Welt und Menschenleben. Du allein schaust mich an.

Im 2. Kapitel des 1. Buches Mosis springt uns ein scheinbarer Niveauunterschied ins Auge (vgl. Gen 2,18–23). Da setzt es machtvoll an: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; da wird des weiteren das Ungenügen aller sachhaften Wesen vor der Personalität Adams anschaulich gemacht. Erst das partnerische Du der Eva läßt ihn sich selbst wiederfinden, indem er eben Antwort, personale Antwort, findet. Doch dieses Du, Eva, wird bezeichnet als „Hilfe“ für Adam. Wir vermuten sogleich die Degradierung der Frau dahinter, denken an Haushalts- oder Sprechstundenhilfe. Und doch ist gerade an dieser Stelle der Schrift das Tiefste dessen getroffen, was Hilfe ist. Genau das ist ihr Wesen: Hilfe ist personales Mitsein zum Selbstsein.

Der Mensch freilich ist nicht zerlegt in die zwei von uns herauspräparierten Seiten seiner Spannung zur Welt und zu sich in der Welt. Beides geht von Natur aus Hand in Hand. Ich bin mit dir und auf dich hin inmitten der Welt und ihrer gemeinsam für dich und mich bereitzustellenden Bedingungen, und indem wir einander etwas helfen, helfen wir uns. Das Uns-Helfen geschieht nicht im leeren Raum, sondern inmitten der Dinge und Lebensbedingungen. Gerade dort erhält das Personale seinen Ernst und seine Wirklichkeit. Aber diese Dinge und Bedingungen entlassen nicht von selbst auch aus sich das unherstellbare Geschenk der Beziehung vom Ich zum Du. Die wesenhafte Personalität der Hilfe weist von allein hinüber zur Sachlichkeit und Sachhaftigkeit; ohne das wäre sie nicht Hilfe und nicht personal, sie wäre ästhetische Selbstbefriedigung. Umgekehrt garantiert aber die Sachlichkeit der Hilfsmaßnahmen, so unerläßlich sie ist, noch keineswegs den qualitativen Sprung zur wirklichen, zur personalen Hilfe.