Dienst aus dem Glauben – Dienst in der Kirche
Anthropologische Grundspannung
Der Mensch ist ein merkwürdig zwiespältiges Wesen. Er ist Ursprung, er ist Freiheit, er verantwortet sich selbst, plant und entwirft sein Leben aus Eigenem – aber er ist nicht allein. Daß noch andere da sind, ist einerseits Hilfe und Erfüllung, es ist andererseits aber auch Grenze und Herausforderung. Das Ich steht in der Konkurrenz; es kann nicht alles haben, sondern muß teilen; es kann nicht alles machen, sondern muß Rücksicht nehmen, braucht Bundesgenossen und darum den Kompromiß mit ihnen. Doch nicht nur der neben mir setzt meiner Freiheit die Grenze; sie ist in sich selbst begrenzt. Ich wurde nicht gefragt, wann und wo, in welcher Sprache, in welcher Familie ich geboren werden will. Daß ich überhaupt bin, ist über mich verfügt, und auch, daß ich frei bin. Ich kann gar nicht nicht frei sein, kann nicht die lästige Situation, mich verantworten zu müssen, loswerden, meine Selbständigkeit steht nicht in sich selbst, sondern ich bin in sie hineingestellt. Es ist mehr als eine spielerische Übertreibung, wenn man den Menschen als den geschaffenen Gott bezeichnet: Wesen mit einem unendlichen Hori¬zont, Wesen, das an keiner Grenze zufrieden ist, Wesen, dem es ums Letzte und Äußerste geht – aber die Fliege auf der Stirne und der Virus im Blut, der Appetit auf eine Zigarette verwirren dieses Wesen, blockieren seine Aktivität. Diese Spannung zwischen unendlichem Horizont und endlicher Wirklichkeit läßt den Menschen immer neu nach seiner Identität fragen: Was bin ich eigentlich, Gott oder Staub, höchstes Prinzip, Weltenplaner oder kümmerliches Zufallsprodukt der Evolution, Fehlkonstruktion der Natur? Um mit sich identisch zu sein, um mit sich zufrieden, in sich stimmig, mit sich und der Welt in Harmonie zu sein, ist der Mensch immer wieder über sich selbst hinausgewiesen. Er kann kein in sich beruhigtes, einfaches Ja zu sich selber sagen, er muß sich immer zugleich auch an anderem orientieren, anderes bejahen. Das Ja des Menschen zu sich gelingt nur, wenn es mehr bejaht als ihn selbst: die anderen, alles, die eigene Endlichkeit und so im letzten und tiefsten den Grund, der den Menschen trägt, den ungeschaffenen Gott, dessen Bild er, der geschaffene Gott, nur ist. Auch wer den Menschen nicht auf diesen Gott hin versteht, kommt nicht um die Doppelbödigkeit in seinem Ja zu sich selbst herum. Das Verhältnis zu mir ist immer auch Verhältnis zu dem, was ermöglicht, daß und was ich bin; immer deutet der Mensch, bewußt oder unbewußt, [17] den Grund seiner Existenz, immer bestimmt etwas wie „Glaube“ sein Selbst- und Weltverständnis. Es ist freilich anstrengend, stets über sich selbst hinaus zu müssen, stets mehr als das eigene Ich in seinen Händen, in seinen Gedanken, in seiner Verantwortung zu tragen. Einfach nur sein, das ist eine Ursehnsucht des Menschen, und sie lebt genauso in der Flucht vor sich selbst, die sich auf die Erfahrung des Augenblicks beschränken und alle weiterreichenden Fragen und Ansprüche verdrängen will, wie in jener anderen Flucht, die die Endlichkeit zu überspringen sucht, indem sie dem Menschen vormacht, er sei schon in sich selbst das Letzte und das Ganze. Beide Gestalten der Flucht lassen sich auf den Nenner der Urversuchung des Menschen bringen, die biblisch heißt: seinwollen wie Gott.