Berufungspastoral um die Jahrtausendwende

Auf 2000 zu – Suche nach Zukunft als Suche nach Ursprüngen

Wer 2000 sagt, der schaut nicht nur in den weiten Horizont der Welt, sondern auch in die Landschaft um sich herum, auf den Boden, der die Schritte in die Zukunft hält und trägt. Dieser Boden aber ist bewegt. Erdbeben, Verwerfungen, Unruhen sind unverkennbar. Vielerlei Strömungen, Aufbrüche durchkreuzen und mischen sich. Wir leben im Jahrhundert der „Bewegungen“, der „Wellen“, der „Moden“, die einerseits rasch vorübergehen, andererseits jedoch neue Motive und Stimmungen hineinweben ins Gesamt.

Wir konstatieren einen gemeinsamen Grundzug in diesen Bewegungen und Strömungen: Es geht um Zukunft. Das [4] ist in der Ablösung der Generationen immer der Fall. Immer meint man auch, so radikal wie jetzt sei es bislang noch nicht der Fall gewesen. Und doch sprechen triftige Gründe dafür, daß es da einen qualitativen Sprung gibt. Wir können ihn an der Radikalität des Negativsten am ehesten verdeutlichen: Die Angst, daß es mit der Zukunft nicht nur schlechter werde, sondern daß sie überhaupt nicht mehr stattfinde; der in das gesellschaftliche Verhalten zu den Grenzerfahrungen der Geburt und des Todes, des Leidens und der Liebe einschneidende Un-wille des Lebens müssen aufhorchen lassen.

Hinter diesem Un-willen steht die Krise des neuzeitlichen Verhältnisses des Menschen zu seiner Zukunft überhaupt. Die Hypothese, auf die im verborgenen die neuzeitliche Entwicklung hinlief, lautete: Zukunft ist machbar, ihre Bedingungen kann der Mensch mehr und mehr in die Hand bekommen und planend gestalten. Die Übersteigerung dieser Hypothese ins Unseriöse, Phantastische liegt auf der Hand, die Enttäuschung über das, was sich nicht machen und steuern läßt, trifft nichtsdestoweniger den Nerv des Lebens. Drei Reaktionen löst dieser Befund aus.

Für den Menschen ist es unerträglich, daß die Zukunft nur noch das bringen soll, was in ihren vom Menschen berechneten und manipulierten Prämissen drinnensteckt. Zukunft ist ja keine mehr, wenn alles „schon gelaufen“ ist. Transzendentale Langeweile vor einer Zukunft, die nur Vollstreckung der Vergangenheit ist, reizt zur Aggression, zum Kaputtschlagen des Bestehenden, auf daß etwas ganz anderes werden könne. Aus derselben Haltung des Überdrusses an den unabänderlichen Festlegungen der Zukunft rührt auch das Drängen, wenigstens im Intimen und Privaten durch nichts, auch nicht durch sich selbst und sein eigenes Wort festgelegt zu sein. Ablehnung von Normen und Bindungen ist hier mitbegründet.

Sodann gibt es das genauso fundamentale Erschrecken, daß es nicht mehr so weitergehen könne wie bisher. Festgeschriebene Ansprüche und Erwartungen scheinen durch die Begrenztheit der naturalen und gesellschaftlichen Ressourcen bedroht. Dies führt dazu, entweder in Panik zu geraten ob der nur begrenzten Zukunftspotentiale unserer Welt und so das Weitertragen der Zukunft und das Weitergeben des Lebens zu verweigern, oder aber Bedrohungen und Begrenzungen zu ignorieren und den Status quo sich und anderen als das absolut Notwendige und Gesicherte einzureden.

Und es gibt ganz einfach die Angst des Menschen vor sich selbst, davor, daß er als der Herr seiner Zukunft deren Zerstörer sein könne. – Es sollen keineswegs die realistischen Anlässe heruntergespielt werden, an denen solche Angst anknüpft, wohl aber sind Verzweiflung und ideologischer Fundamentalismus als Sackgasse und Irrweg zu entlarven.

Dieses Negativverhalten zur Zukunft zeigt, wie ernst die Frage nach der Zukunft heute gestellt wird. Kein Zweifel jedoch, der Wille zur Zukunft ist stärker, elementar stärker als solche Verweigerung und solche Ablehnung der Zukunft. Wohl aber ändert sich auch im positiven Verhalten zur Zukunft Erhebliches dadurch, daß das Prinzip säkularer Zuversicht für die Geschichte nicht mehr – wenigstens nicht mehr allein, wenigstens nicht mehr generell dem Bewußtsein der jüngeren Generation nach [5] – in der technischen Zivilisation und ihren Entwicklungsmöglichkeiten erblickt wird. Man vertraut sich nicht mehr der immanenten Gesetzmäßigkeit der technischen Weiterentwicklung und ihrer Kontexte in Wirtschaft, Kultur und Leben an, um eine lohnende und bessere Zukunft zu haben. Zukunft ja, aber Zukunft woraus?

Die Suche nach der Zukunft wird zur Suche nach Ursprüngen; nach Ursprüngen, die ursprünglicher, kraftvoller, menschlicher sind als bloß die immanenten Möglichkeiten des Machens und Konstruierens innerhalb neuzeitlicher Technik.

Es sind hier vier „Quellbereiche“ zu nennen, in welche die Suche nach Ursprüngen für eine alternative Zukunft führt.