Das Heilige und das Denken

Aufgang ins Andenken

In der Besinnung des Denkens auf sich selbst entdeckt das Denken die Spuren seines es zeitigenden, mit sich selbst beschenkenden und beladenden Woher. Dieser Spuren seines Ursprungs gewahr, verwandelt sich das Denken in sich selbst und geht seinen Weg verweisend auf dieses Woher zu. Indem Denken in sich geht, geht es hinter sich zurück und entdeckt sich selbst als je nur von diesem seinem ihm zugleich entzogenen und es an sich gewährenden Ursprung her zu sich selbst ermächtigt. Denken wird seiner selbst inne als seines Herkommens aus diesem Ursprung. Auf sein Herkommen zurückkommend, wird es, als dieses selbe Denken, doch ein neues Denken, Denken, das seinen Weg nimmt als Hinführung zu dem es übertreffenden, nie von ihm eingeholten, je ihm künftigen, nur im Verweis bedeuteten Wohin.

Ist solcher Umschlag des Denkens vom Herkommen ins Hinweisen, seines Woher zum Wohin der Aufgang des Heiligen ins Denken, das sich selbst so als den zweieinen Zugang des Heiligen, [46] Zugang des Heiligen zum Denken und Zugang des Denkens zum Heiligen, verstehen dürfte?

Der Sinn der sich überfragenden Rückfrage des Denkens nach seinem Anfang und seinem Recht wäre dann von dem es zeitigenden Woher aus das Drängen dieses Woher ins Offene des Denkens, um ihm als entzogen offen und also ihm heilig zu sein. Der Sinn des verdankenden Verweises, zu dem sich das Denken durch die letzte Aporie seiner Frage hindurch wandelt, wiederum wäre: das undenkliche Woher als Wohin seines Dankes in seinen unerreichbaren Rang hinein freizugeben, es sich heilig sein zu lassen.

Die Frage, ob sich der Aufgang des Heiligen an der Wende unseres denkenden Zugangs begeben habe, mag sonderbar erscheinen. Wäre es nicht an der Achtsamkeit des Denkens gewesen zu bemerken, daß hier „heiliger Boden“ betreten wird? Doch gerade dies ist kennzeichnend: Das Denken vermag nicht, ein vorgängiges Signal zu ermitteln oder nur zu erhalten, das es „startbereit“ machte, um den Aufgang des Heiligen in sein Visier zu bekommen.

Erst als Moses bereits auf heiligem Boden stand, eröffnete es sich ihm, ward er inne, seine Schuhe von den Füßen tun zu müssen, da die Stätte von der Nähe des Heiligen durchmächtigt war. Jakobs Ruf: „Dieser Ort ist heilig, und ich wußte es nicht!“, oder das Gewahrwerden der Emmausjünger, daß der Herr sie begleitet hatte, erst als er entschwand, bezeugen einen Wesenszug am Aufgang des Heiligen, der auch in seiner philosophischen Phänomenologie entscheidend hervortritt. (Zu „Moses“: Ex 3,5; „Jakob“: Gen 28,16f.; „Emmausjünger“: Lk 24,31.)

Diese könnte versucht sein, vorschnell aus den phänomenalen Elementen, die der Weg ihres Zugangs ihr einträgt, eine Summe zu ziehen, sie zusammenzudenken und so die Phänomenalität des Heiligen zu fixieren. So aber entginge diese dem Denken, wäre ihm das Heilige nicht heilig, sondern aus dem Gewahrten seiner Betroffenheit zum Bemächtigten seines Vorstellens verkehrt.

Die Umwendung des Denkens vom Herkommen zum Hinweisen [47] ist doch nichts anderes als das Innewerden des Herkommens als eines solchen, als die betreffende Verwandlung, die dem Denken widerfährt, indem es sich als immer schon und sich selbst voraus mit sich beschenkt und beladen entdeckt. Das Denken begegnet dem Geheimnis nicht, dem es sich verdankt, ihm begegnet, daß es diesem Geheimnis auf seinem Weg begegnet ist.

Der Aufgang des Heiligen ist also nur da im Andenken, und zwar in einem Andenken, welches das Geheimnis, dessen es gedenkt, weder herstellt in ein verfügbares Präsens noch wegstellt in die Vergangenheit, die zwar als unabänderlich unverfügbar erscheint, als das gewußte Gewesene aber überschaut und eingeordnet und so doch wieder in den Raum des verfügbaren Präsens gerückt wäre. Vorausblickend gesagt: Der Aufgang des Heiligen begibt sich dem Denken in jenem Andenken, welches ihn hinweisend verkündet, „bis er kommt“, und als einen, der kommt, und welches darin seine aus dem Entzug her betreffende, umwendende und geleitende Gegenwärtigkeit erfährt (vgl. die Formel 1 Kor 11,26).