Die Kirchlichkeit des Glaubens und der Theologie

Aus der Perspektive der Theologie*

Im Spannungsfeld zwischen den drei uns beschäftigenden Größen scheint die problematischste die Theologie zu sein. Denn für die Kirche steht zumindest außer Zweifel, daß sie allein durch den Glauben legitimierbar ist. Was anderes soll sie sein als Gemeinschaft von solchen, die glauben und um ihres Glaubens willen diese Gemeinschaft bilden? Der Glaube seinerseits erhebt den Anspruch, nicht nur die Kirche zu tragen und zu bestimmen, sondern er versteht sich von seinem inneren Vollzug und Anspruch her auch als das Maß für die Theologie; eine Theologie, die nicht dem Glauben als Glauben gerecht würde, wäre naturgemäß für den Glauben nicht akzeptabel. Diesen Anspruch des Glaubens an die Theologie macht sich wiederum naturgemäß die Kirche zu eigen, weil sie sich ja durch ihre Verankerung im Glauben rechtfertigt und somit die Sache des Glaubens vertritt.

Ist damit aber der Kreis nicht geschlossen? Für die Theologie, aufs erste zumindest, nicht. Denn während Glaube von sich her die Kirche und die Theologie beansprucht und während die Kirche sich durch diesen Anspruch des Glaubens an sie begründet und darum den Anspruch des Glaubens an die Theologie mit übernimmt, kommt in der Theologie ein weiterer Anspruch ins Spiel: der der Wissenschaft; Theologie will jedenfalls nicht nur Glaube sein, sondern zumindest auch Wissenschaft.

Lassen wir zunächst einmal die Problematik Theologie als Wissenschaft in unserem Kontext am Rande – in einer Richtung müssen wir sie jedoch, zumindest indirekt, aufgreifen: Es muß durchsichtig werden, warum Glaube als Glaube und Kirche als Kirche mit der Theologie zu tun haben. Daß dies rein inhaltlich der Fall ist, kann vernünftigerweise nicht zur Debatte stehen; womit sonst als dem, was geglaubt wird und was in der Kirche [460] als Sache des Glaubens gilt, sollte sich Theologie – ob nun kritisch oder rechtfertigend – auch befassen? Aber was unterscheidet sie von einer bloß philosophischen Reflexion über Inhalte, die bei Glaubenden und in der Kirche aufgrund eines nicht primär philosophisch begründeten Anspruchs als wahr gelten? Und wiederum: Was unterscheidet sie von einer historischen oder auch soziologischen oder psychologischen Aufarbeitung von Inhalten, die im Phänomenfeld Glaube und Kirche liegen? Wenn Theologie eine eigene Wissenschaft sein will, wenn sie sich nicht auflösen will in die Addition von Teilbereichen anderer Wissenschaften, so kann nur der Glaube als Glaube ihr Proprium konstituieren. Die Einheit und die innere Kontur dieser Sache erwachsen daraus, daß der Anspruch auf Glaube diese Sache zur Gegebenheit bringt und daß sie in der Annahme dieses Anspruchs im Vollzug des Glaubens zur Gegebenheit kommt. Beispiel: Wenn etwa historisch ermittelt wird, aus welchen Quellen Hoheitstitel Jesu in den Sprachschatz der ersten Gemeinde einfließen, so ist die Sache der Theologie in diesem Punkt noch keineswegs erreicht. Zwar muß sich auch die Theologie für solche Herkunft interessieren, aber ihre Frage lautet: Was bedeutet die Prädikation dieser Titel von Jesus für den Glauben, was veranlaßt den Glauben als solchen, diese Prädikation vorzunehmen, und was verbindet der Glaube als solcher mit ihr? Ansatz für die Theologie ist also die Frage nach dem, was den Glauben als Glauben und darin seine Sache konstituiert. Das Unterscheidende des Glaubens ist das Unterscheidende der Theologie. Für den Glauben ist dieses Unterscheidende seiner selbst aber nicht einfachhin mit Daten und Methoden außerhalb des Glaubens aufzurechnen, Glaube ist mit sich nur identisch – und das heißt: die Sache des Glaubens ist mit sich nur identisch – aus dem Glauben selbst heraus. Von daher wäre der Inhalt (fides quae), der vom Glaubensvollzug (fides qua) abgelöst betrachtet wird, nicht im Vollsinn dasselbe wie dieser Inhalt, gesehen in der Perspektive des Glaubens. Anders ausgedrückt: Ein objektiv richtiges Referat über Glaubensinhalte ist noch nicht Theologie; zum methodischen Ansatz von Theologie gehört geschehender Glaube. Gleichwohl läßt sich der Glaubensinhalt nicht in den Glaubensvollzug auflösen, sondern ist im Glaubensvollzug das ihm Unverfügbare, ihn Bestimmende, ein [461] „datum“. Da dieses „datum“ hineingegeben ist in den Horizont menschlichen Verstehens, ist es selbstverständlich auch ohne den Glauben reproduzierbar, aber solche Reproduktion ist noch nicht das „datum“ selbst, als datum ist es nur im annehmenden Glauben präsent. Dieser kann sich freilich – und das ist der „Überschuß“ der Theologie über den Glauben – Rechenschaft ablegen über das, was ihn „unterscheidet“ und was seinen Umgang mit dem „datum“ des Glaubens bestimmt. Auch das Ergebnis solcher Rechenschaft ist wiederum reproduzierbar; doch läßt sich Theologie im Ernst nur betreiben, wenn sie mehr ist als das Durchspielen von Möglichkeiten, die aus einem bloßen Bescheidwissen über die Differenz des Glaubens erwuchsen. Der Ernst der Theologie aber ist mehr als nur eine sittliche Haltung derer, die sie betreiben, er ist zugleich das geschichtliche Movens des Ganges der Theologie und gehört so zu ihrem Inhalt – Theologie, so könnte man formulieren, ist wesenhaft geschichtlich, indem sie die Geschichte des Glaubens in seinem Selbstverständnis darstellt und aufhellt.

Wir haben uns nur scheinbar in eine Seitenlinie unserer leitenden Fragestellung verlaufen. Im Grunde haben wir uns durch den Aufenthalt bei der Verflechtung der Theologie mit dem Glauben bereits in den Umkreis ihrer Verflechtung mit der Kirche begeben. Weil Theologie auf den Glauben angewiesen ist, ist sie angewiesen auf die Kirche. Dies wird in seiner ganzen Stringenz zwar erst deutlich, wenn der innere Verbund des Glaubens mit der Kirche zur Sprache kommt; doch jetzt schon zeigt sich: Der Glaube wird dort zur Sache der Theologie, wo er sein „datum“ als solches empfängt und annimmt. Die Geschichte geschehenden Glaubens ist also konstitutiv für den Gegenstand der Theologie, diese Geschichte aber ist von allem Ursprung an gemeinsame Geschichte; denn Glaube geschieht als Gemeinschaft mit der gebenden Gebärde, die ihm Gottes Offenbarung anbietet, und solches Angebot und solche Annahme sind Geschichte zwischen Gott und dem Menschen in der Geschichte zwischen Menschen. Da es die Geschichte zwischen Menschen ist, in welcher der Glaube weitergeht und das zu Glaubende auf den gegenwärtigen Glauben zugeht, ist die geschichtliche Gemeinschaft des Glaubens nicht nur ein äußerer Zusatz zur Sache der Theologie, sondern [462] ihre sie mitkonstituierende Bedingung. Die Vermittlung des Glaubens gehört zur Identität des Glaubens, das Vermittelnde solcher Vermittlung aber ist, in einem allgemeinsten fundamentalen Sinn: Kirche als Gemeinschaft des Glaubens.