Die Kirchlichkeit des Glaubens und der Theologie

Aus der Perspektive des Glaubens*

Der gezeichnete Sachverhalt bekommt ein schärferes Profil, wenn er aus der direkten Perspektive des Glaubens betrachtet, wenn vom Glauben aus seine Verwiesenheit auf Kirche und Theologie bedacht wird.

Glaube ist auf Kirche verwiesen. Die zu glaubende Botschaft ist geschichtlich lebendig nur durch jene Bezeugung, die aus dem Glauben selber wächst. Hätte die Botschaft Jesu keinen Glauben gefunden, so wäre sie uns nicht überliefert, und die Gestalt, in der sie überliefert ist, ist von allem Anfang an Glaubensgestalt. Aus der Perspektive des Glaubens ist die Einhüllung der ipsissima verba et facta Jesu in die Geschichte des Glaubens kein bedauerlicher Zufall, sondern innere Konsequenz. Gottes Handeln und Gottes Wort greifen an einem bestimmten Punkt in die Geschichte ein, um die Träger dieser Geschichte, die Menschen, nicht nur je zu Einzelkonsumenten von Heil und Wahrheit werden zu lassen, sondern um sie in die Bewegung des sich gebenden Gottes einzubegreifen. Wenn in der Mitte des Glaubens Jesus Christus steht als der, in dem Gott sich mit den Menschen gemein gemacht hat, dann ist dieses Zukommen Gottes auf den Menschen durch den Menschen zwar einmalig und unauswechselbar in Jesus Christus fundiert, fundiert aber als Prinzip, wie Gott überhaupt auf den Menschen zukommt und wie sein Kommen in Jesus Christus weitergeht und im Weitergehen Gemeinschaft stiftet und fortsetzt. Diese Gemeinschaft ist die Stelle, an welcher die Botschaft je präsent ist, sie ist aber zugleich die Weise, die von der Sache dieser Botschaft her ihre Präsenz gewährleistet, und gehört somit zur Sache der Botschaft selbst: Gott ist der Gott für Menschen und unter den Menschen, und er ist es durch die Gemeinschaft von Menschen mit ihm und miteinander, diese Gemeinschaft ist Zeichen und Anfang dessen, was Gott mit der Menschheit in Jesus Christus will.

[463] Über das Wie des Hineingehörens von Kirche in den Glauben gibt es gewiß verschiedene theologische Meinungen. Eine abstrakte und totale Ausklammerung der Kirche aus der Mitteilung des Glaubens, aber auch aus dem Glauben als Mitteilung Gottes und somit aus der Sache des Glaubens läßt sich indessen nicht durchhalten, weder von der inneren Struktur des Glaubens und seiner Vermittlung her noch aus dem faktisch-historischen Blick auf den Ursprung des Glaubens. Verborgener, aber im Grunde nicht weniger fundamental ist der Glaube auch angewiesen auf Theologie. Denn wie Glaube immer schon „kirchlicher“ Glaube ist, so ist er auch immer schon „theologischer“ Glaube. Kein Glaube ohne Gemeinschaft des Glaubens, kein Glaube ohne ein Sich-Verstehen des Glaubens. Auch implizite, „indirekte“ Weisen von Glauben, in denen das Moment der Gemeinsamkeit oder des Verstehens verschattet sind, bestätigen bei genauerer Analyse nur das hier aufgestellte Prinzip.

Aber wieso gehört das Sich-Verstehen zum Glauben? Wie auch immer die Mitte der Sache des Glaubens gefaßt wird, zum Glauben gehört es, daß der Mensch sich verläßt auf Gott. Das heißt aber: Er versteht sich selbst als einen, der sich auf Gott verlassen darf, kann und soll, und er versteht Gott als einen, der sich dem Menschen gibt, ihn beschenkt und ihn anfordert. Selbstverständnis des Menschen und Verständnis Gottes sind im Charakter des Glaubens als solchen bereits impliziert. Glaube ohne eine ihm innewohnende Helle wäre kein Glaube. Ein bloßes Spiel, ein bloßes Als-Ob wären gerade kein Glaube. Glaube ist nur Glaube, sofern es ihm ernst ist, Ernst schließt aber, wie auch immer, Verantwortung, Verantwortung das Wort, dem Antwort geschuldet wird, mit ein. Rechenschaft über sich und Rechenschaft über Gott gehören zum Glauben, und dies bewährt sich darin, daß das Wort, dem geglaubt wird, je Menschenwort, Wort innerhalb menschlichen Selbstverständnisses ist, Menschenwort aber, dem zugetraut wird, mehr als bloßes Menschenwort zu sein. Dann aber hat Glaube – Glaube als Vollzug und Glaube als Inhalt – immer seine Theologie in sich. Im strengen Sinn des Wortes „vortheologische“ Glaubensformeln gibt es nicht, jede Prädikation des Glaubens umfaßt den doppelten Übersetzungsvorgang: menschlicher Worte auf Gottes Anspruch und Angebot hin, göttlichen Wortes ins menschliche Wort hinein.