Institution: Geflohen und gesucht

Ausbruch aus der Institution*

Institution (gleichgültig, ob in Gesellschaft oder Kirche) erscheint in ihrer starren Objektivität als Zementierung des Bestehenden, Gefängnis des unfreien Bewußtseins, Machtmittel, den Fortschritt des Geistes zu seiner Freiheit hin zu verhindern. Deshalb ist die Grundhaltung des Subjekts ihr gegenüber nicht mehr das Engagement in einem gemeinsam verantworteten staatlichen Organismus, wie es etwa das des freien griechischen Bürgers in der Polis war, sondern der Protest gegen Zwang und Verknechtung, die Planung [134] revolutionärer Veränderung der „Verhältnisse“. Der dahinterstehende moderne Begriff der freien Subjektivität sickert unbewußt auch in das Kirchenverständnis der Christen ein; in den von der Reform ausgegangenen Kirchen ist das oben entwickelte Verständnis des Amtes getrübt, dessen Vollmacht mehr oder weniger abgeschwächt, in der Absicht, Christus die Ehre zu geben. Was die Evangelischen zu tun begannen, ahmen heute die Katholiken nach: man möchte sich direkte Zugänge zum großen subjektiven Ursprung verschaffen, gleichsam an ihm nippen, ohne die bereitgestellten Gefäße zu gebrauchen; Institution ist in Wirklichkeit Charisma, und vom Geist, der die Charismen verteilt, wie er will, weiß man nicht, woher er weht und wohin er treibt |(vgl. Joh 3,8)|. Institution muß solange unterlaufen und wenn nötig zerschlagen werden, bis die lebendigen Wasser des Geistes erfahrungshaft strömen. Aber wo das Kriterium der eigenen Erfahrung über das des (auch nicht erfahrenden) Glaubens übermächtig wird, drohen der göttliche erfahrene und der menschliche erfahrene Geist ineinander zu schmelzen. Die edelste Frucht an diesem Baum dürfte Bergsons Spätwerk sein: „Die beiden Quellen der Ethik und der Religion“ (1932), wo Institution und Geistbewegtheit gemeinsam dort entspringen, wo der tierische Instinkt der schöpferischen Entwicklung des Lebens übergeht in die menschliche Freiheitsgeschichte: Institution ist für Bergson der kollektiven Ethik und Religion notwendig. Spiritualität aber ist das personale Endziel, das sich die institutionellen Kräfte nach Möglichkeit dienstbar machen soll. Für die vergleichende Religionsgeschichte und Religionssoziologie aber bleibt Institution doch stets das Sekundärprodukt einer primär charismatischen Bewegung, verkörpert in einer Führergestalt. Sie ist die bleibend maßgebende Gestalt, die faute de mieux durch eine unpersönliche Institution perpetuiert wird; Reformbewegungen reißen erstarrte Institutionen nieder und schaffen sich neu unmittelbaren Zugang zum Ursprung. Ein wie völliges Mißverständnis es wäre, das Verhältnis Christus-Kirche in dieses allgemeine Schema zu bannen, dürfte aus dem im ersten Abschnitt Gezeigten klar sein. Höchstens kann man sagen, daß das religionsgeschichtliche Schema ein durchaus sekundäres Moment an der kirchlichen Institution als das einzig Maßgebliche sieht und diese Institution nach ihm beurteilt. Aber wie die unter- und überbietende Gestalt Jesu als Offenbarung des Vaters in der Religionsgeschichte analogielos dasteht, so auch die schon in ihm angelegte, aus ihm entlassene Gestalt seiner Kirche.