Was heißt Glaubenssituation
Ausgangsstellung
Um einen fundamentaltheologischen Begriff der Glaubenssituation zu gewinnen, muß zuerst vom – nunmehr spezifisch „christlich“ angesetzten und nach katholischem Selbstverständnis interpretierten – Glauben her gefragt werden, wie dieser selbst sich theologisch zu verstehen habe. Der Begriff der Situation läßt es nicht zu, ihn unmittelbar, als erstes anzugehen; denn die jeweilige Situation ist gerade nicht nur ein Fall des allgemeinen Wesens von Situation, der Begriff der Situation ist nicht eigentlich ein Art- oder Gattungsbegriff. Situation schließt als solche ihre Jeweiligkeit mit ein. Diese Jeweiligkeit ist aber nicht nur die des quantitativen Einmal innerhalb von Zeit und Raum; das Einmal von Situation ist zugleich ein qualitatives. Situation kommt nicht an sich vor, sondern kommt vor für eine bestimmte Weise von Existenz, für Vollzüge, die in ihrem je Eigenen, also qualitativ, durch die je jetzt und hier gegebenen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, Bedingungen und Kontexte bestimmt sind. Solche „Bestimmung“ meint nicht einfachhin Determination, sondern Kontext, angesichts dessen der betreffende Vollzug er selbst sein muß, den er in sich einbeziehen oder auf den er sich beziehen muß, um so seine eigene und innere Möglichkeit und Wirklichkeit zu vollbringen. Situation ist allein von dem her zu verstehen, dessen Situation sie ist, wofür sie Situation ist. Ist indessen der angewandte Situationsbegriff nicht im vorhinein verengt durch [28] eine bestimmte Weise des Denkens, die keineswegs als selbstverständlich und allgemein gültig angesetzt werden darf? In der Tat könnte man „neutraler“ vorgehen und Situation als den Inbegriff jeweils gegebener Bedingungen und Umstände definieren, in denen sich etwas oder jemand vorfindet. Doch wenn das „jemand oder etwas“ der zuletzt versuchten Bestimmung von Situation der Glaube sein soll, so wird die derart allgemeine Bestimmung von Situation eben überholt: Glaube findet sich nicht nur in Bedingungen und Umständen, sondern er ist – dies sei im Vorblick, der uns bereits im Bisherigen unterlief, nochmals gesagt – ein Vollzug, der ein Verhältnis zu allen und zum Ganzen, der somit aber eine universale Situation einerseits und die „Innerlichkeit“ dieser Situation in seinem Vollzug selbst mit einschließt. Daran können wir innewerden, daß zur Situation als solcher ihre „Innerlichkeit“ in dem gehört, dessen Situation sie ist – dies freilich so, daß in diesem Innen die Situation als Außen von dem unterschieden wird, dessen Situation und in dem sie als seine Situation gegenwärtig ist1. Hat sich so gerade in der Negation der Möglichkeit, die Begriffsbestimmung von Glaubenssituation mit der Gewinnung des Begriffs Situation anzusetzen, uns bereits ein Vorbegriff von Situation ergeben, so sei jetzt der Versuch unternommen, den Begriff des Glaubens zu gewinnen, um von ihm aus den Begriff der Glaubenssituation in den Blick zu bekommen.
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Über das Innensein des zugehörigen Außen einer jeden Struktur in dieser selbst im gleichzeitigen Unterschied des Innen und Außen hat Heinrich Rombach in seiner „Strukturontologie“ (Freiburg i. Br./München 1971, z. B. 107ff., 111ff.) hingewiesen; der dort geäußerte Gedanke trägt viel aus zur schärferen Fassung des Begriffs von Situation. ↩︎