Christliche Spiritualität in einer pluralistischen Gesellschaft
Ausgeschlossene Alternativen
„Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns Wohnung genommen, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen“ (Joh 1,14). In der Spannung der Begriffe „Wort“ und „Fleisch“ und in ihrer Verbindung durchs Geschehen der Fleischwerdung des Wortes sind vier Alternativen ausgeschlossen, tritt die christliche Botschaft also vier Alternativen gegenüber.
Zunächst ist Christentum nicht ein Rückzug in die Welt dessen, was Logos heißen kann. Es geht nicht an, zu verharren in einer Spekulation, in der Sphäre einer überirdischen Wirklichkeit, im selbstzufriedenen Ablauf einer Rationalität, in einer Weise von Gnosis, einer Erkenntnis der Weltzusammenhänge und ihres Ursprungs, in einer intellektuellen Analyse, in einer mystischen Versenkung, in einem geistigen Genuß, in einer Ideologie. Der Logos bleibt im Johannesprolog nicht in sich, er ist nicht ein bloßes Weltprinzip. Solange über den Logos – wie auch immer – bloß spekuliert wird, kann das nicht aufgehen, was die Botschaft von ihm sagt.
Ebensowenig – und dies ist das zweite – ist jene Sphäre, auf die das Wort „sárx“, „Fleisch“, hinweist, alles oder doch das Entscheidende. Es genügt nicht, sich zu beschränken aufs Faßbare, Erkennbare, Konstatierbare, auf die Welt, in die ich gestellt bin, mit ihren Nöten, Bedürfnissen und Problemen. Mein Leben erschöpft sich nicht in den Erfahrungen, die ich täglich mache, im Konsumieren und Leisten, im Gelten und Geltenwollen, [99] im Genuß des Lebens und der Welt, im Erfolg, in der Macht, im Sich-Durchsetzen.
Weder das Wort, der Logos, noch die sárx, das Fleisch, stehen im Sinn des Johannesprologs in sich selbst, bleiben isoliertes, einziges Prinzip. Doch wie sieht die Beziehung zwischen beiden aus?
Bezeichnenderweise – dies die dritte ausgeschlossene Alternative – heißt es nicht: das Fleisch ist Wort geworden, sondern umgekehrt. Das Heil, das Gott wirkt, läßt sich nicht gleichsetzen mit einem Prozeß von unten nach oben, mit einer selbsttätigen Entwicklung des Menschen oder der Welt, einem Fortschritt zum immer Höheren und Besseren, mit einem durch menschliche Anstrengung bewerkstelligten Optimum, mit einem Läuterungs- und Reinigungsprozeß, der alle Schlacken der Endlichkeit ausstieße.
Allerdings – darauf ist zuletzt hinzuweisen – heißt Fleischwerdung des Wortes auch nicht Emanation von oben nach unten. Der Logos ist nicht eherne Gesetzmäßigkeit, die Gott und Welt bestimmt, nicht Prinzip eines unausweichlichen Prozesses, der von Gott, der vom Geist in die Materie, in die Welt, in die Geschichte führt und sich in ihr vollstreckt. Nicht idealistische oder dialektische Selbstentfaltung eines wie auch immer verstandenen Ersten, sondern Entschluß, Kommen, Zuwendung, Weg der Freiheit ist ausgesagt in der Grundbotschaft, daß das Wort Fleisch ward.