Das problematische Verhältnis von Philosophie und Theologie

Ausgeschlossene Verhältnisse

In den Postulaten der Theologie an die Philosophie und in der Rückwirkung dieser Postulate auf die Theologie selbst zeigen sich grundsätzlich zwei gegenseitige Verhältnisse als ausgeschlossen an: das beziehungslose Nebeneinander und die Reduktion des einen aufs andere. Ein paar knappe Hinweise können hier genügen.

Philosophie, die sich als unbetroffen und unbetreffbar erklärt vom Anspruch der Offenbarung, Philosophie, die sich also damit begnügt, daß Theologie eine andere Sache und somit keinerlei Thema für die Philosophie sei, ist der Theologie, ist der Offenbarung gegenüber nicht „neutral“, sondern steht zu ihr im Widerspruch. Sie behauptet nämlich, die Aussage der Theologie, daß Offenbarung menschliches Denken und somit Philosophie angehe, treffe nicht zu. Wäre Offenbarung, wäre Theologie das bloß Andere, wäre sie Un-phänomen für die Philosophie, so wäre sie eben in sich selber nichtig. Oder aber Philosophie hat [237] sich von ihrem eigenen transzendentalen Anspruch zurückgezogen und sich thetisch Grenzen auferlegt. Als Philosophie müßte sie freilich diese Grenzen vor sich selber ausweisen, indem sie über sie hinausfragt und hinausblickt. Somit aber hätte sie sich bereits wieder in Beziehung gesetzt zu ihrem Anderen.

Umgekehrt gibt es aber auch keine bloße epochè der Theologie gegenüber der Philosophie. Wenn die ergehende Botschaft von der Herrschaft Gottes alles in ihren Horizont mit einbezieht, dann eben auch und gerade die Philosophie. Philosophie ist entweder heilsirrelevant oder sie ist Ausdruck menschlicher Hybris oder sie ist Folge der Erbsünde oder aber sie ist beansprucht, in ihrer eigenen Autonomie, in ihrer eigenen Ursprünglichkeit in den Dialog, in das Verhältnis zur Offenbarung zu treten.

Es bleibt dabei: Theologie und Philosophie schließen einander als ihr je Anderes, freilich auf je andere Weise ein. Philosophie könnte Philosophie sein, auch wenn es keine Offenbarung gäbe. Wenn aber sich der Anspruch von Offenbarung erhebt, so ist sie gerufen, diesen in ihr eigenes Denken einzubeziehen, Offenbarung in ihrer Andersheit eben zu bedenken. Anders der Einschluß der Philosophie in der Theologie. Ohne Philosophie könnte Theologie nicht sein. Theologie muß Philosophie zwar anerkennen als ihr Anderes, als von ihr selbst nicht zu leisten; aber sie ist in sich selber, in ihrem Geschäft der fides quaerens intellectum auf die Philosophie angewiesen. Philosophie ist als Philosophie konstitutiv anwesend im Innen der Theologie. Offenbarung und insofern Theologie hingegen sind als das Außen und Gegenüber positiv und unabdingbar, aber nicht konstitutiv eingewiesen in den Horizont der Philosophie.

Bleibt nur nachzutragen, daß die Weise der gegenseitigen Implikation, der gegenseitigen Verwiesenheit von Philosophie und Theologie aufeinander eine „Halbierung“ des Gesamtfeldes der Wirklichkeit oder der Wahrheit im quantitativen Sinn nicht zuläßt. Philosophie und Theologie sind nicht aneinanderklebbare Stücke, sondern unterschiedliche und in ihrer Unterschiedlichkeit füreinander offene, sich selbst gegenseitig anwesende Weisen der Anwesenheit des Ganzen im Denken.

Ebensowenig wie ein beziehungsloses Nebeneinander von Philosophie und Theologie aber geht die Reduktion der Philosophie auf die Theologie oder der Theologie auf die Philosophie an. Also: Philosophie ist nicht Theologie mit anderen Mitteln. Ein Fideismus der Vernunft ist weder theologisch noch philosophisch verantwortbar. Und umgekehrt ist Theologie nicht Philosophie mit anderen Mitteln. Wo die Theologie sich auflöst in bloße Daseinshermeneutik, wo sie Gott als bloßes Existential des Menschen und die Offenbarung als bloße Selbstdarstellung der Vernunft begriffe, da hätte sie sich selber, da hätte sie aber auch die Philosophie als eine unabschließbar je weiterfragende fundamental verfehlt. Wie rasch Beziehungslosigkeit in Reduktion umschlagen kann, zeigt die neuere und neueste Geschichte des Verhältnisses von Philosophie und Theologie.

Wenn Reduktion nicht angeht, dann geht freilich – dies ist strukturell mit eingeschlossen – auch Instrumentalisierung des einen durchs andere nicht an. Um es scherzhaft auszudrücken: Offenbarung ist nicht die Fernbrille der an sich [238] selbst kurzsichtigen Vernunft, Philosophie nicht die Lesebrille der an sich selbst weitsichtigen Offenbarung.