Die Stunde des Neubeginns

Auskunft der Bibel

Das griechische Wort „evangelisieren“ (das Evangelium verkünden) hat im Neuen Testament einen gewichtigen Rang. Es genüge der Hinweis auf die erste programmatische Rede Jesu im Lukasevangelium. Was Jesus als der Christus, der Messias, der Geistgesalbte bringt und ist, erklärt er selbst damit, daß er die Armen evangelisiert (vgl. Lk 4,18f.). Dem entspricht die bei Lukas und Matthäus überlieferte Antwort auf die Frage der Jünger Johannes’ des Täufers, ob Jesus der sei, der kommen solle: „Blinde sehen wieder, Lahme gehen, und Aussätzige werden rein; Taube hören, Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet (wörtlich: sie werden evangelisiert)“ (Lk 7,22; Mt 11,5). Die Steigerung, die in dieser Aufzählung liegt, mündet nicht in die Totenerweckung, sondern in die Evangelisierung der Armen! Sie ist das Wichtigste, das Eigentliche, der entscheidende Erweis der Messianität Jesu.

Evangelisieren, die Armen evangelisieren: was heißt das, und warum ist das so zentral? Für die Antwort müssen wir den Vorgang anschauen, der mit dem griechischen Wort „euangelizesthai“ und den entsprechenden hebräischen Ausdrücken verbunden ist. Mithilfe des biblischen Sprachgebrauchs wollen wir vom biblischen Text zum biblischen Sachverhalt vordringen. Evangelisieren meint das Überbringen einer Botschaft. Diese Botschaft ist aber nicht von dem Ereignis loszulösen, das sie verkündet. Bei genauerer Prüfung fällt auf: Die führende Rolle liegt beim Ereignis selber. Es zieht in Bann, breitet sich aus, spricht sich herum. Das Ereignis der in Jesus hereinbrechenden Gottesherrschaft ergreift den Boten, es lebt in ihm. Und indem das Ereignis durch die Botschaft des Boten bei einem Hörer eintrifft, wird dieser selber wiederum in die Dynamik des Ereignisses einbezogen, nicht bloß über eine Neuigkeit informiert. Wie ein Stein, der ins Wasser fällt, Kreise zieht, so gehört zum Ereignis seine Botschaft, zur Botschaft ihr Bote und zum Boten [7] seine Adressaten. Das Ereignis selbst breitet sich aus, geht weiter.

Konkret gesprochen: Gottes Zuwendung zur Welt, die Heraufkunft der Gottesherrschaft in Jesus ereignet sich, verwirklicht sich in der Sendung Jesu, und diese Sendung Jesu zieht die Armen, die Kleinen, die ganz und gar auf Gott Angewiesenen hinein in das Heilsereignis und macht sie so auch selber zu Trägern der Botschaft, die weitergehen und andere, alle erreichen, in ihrer Dynamik einbegreifen will. Das Evangelium ist mithin kein Bericht über ein Ereignis, sondern im Evangelium wird das Ereignis selber kund, und durch das Evangelium bahnt sich das Ereignis seinen Weg zu den Menschen. Was Jesus sagt, tut und ist, dieses Ereignis ist endgültig und unbegrenzt. Ein für allemal hat es sich in Jesus selbst ereignet und ist zum je neuen Sich-Ereignen bestimmt, auf daß alle seine Boten und Empfänger zu seinen Zeugen werden.

Evangelisierung ist also ein lebendiger Vorgang, der neue Einheit stiftet. Was im Vater lebt, ist inmitten der Welt offen durch Jesus, in seiner Person. Was in Jesus lebt, wirkt wiederum Leben, indem Er in Seinem Wort aus sich herausgeht, bei den Hörern eintrifft, ihr Leben in Anspruch nimmt. So wird das Evangelium schließlich zum Lebensraum, der die Glaubenden sammelt, sie verbindet mit Jesus und miteinander, und zur Kraft, die sendet, in die Welt hinaustreibt.