Proportio aequalitatis – eine Erwägung zu Bonaventura, Itinerarium II 6

Ausweitung

Wir haben einen Zug in Bonaventuras Erörterung der proportio aequalitatis bislang noch zur Seite gelassen.

Im Schönen (in jenem engeren Sinne, der in II 5 und 6 behandelt wird) qualifiziert die proportio nicht nur das Verhältnis zwischen dem Seienden und dem Wahrnehmenden, sondern auch das Seiende an sich selbst, sein Bild in sich selbst. Gerade weil das Seiende in sich selbst proportio hat, ja ist, stiftet es die proportio zwischen sich und dem, der es wahrnimmt. Oder vielleicht ist es gemäßer, die Sequenz zu ändern: Im [209] Aufgang der proportio aequalitatis zwischen Seiendem und Wahrnehmung leuchtet diese als das Eigene, Ursprüngliche, Eingestiftete des Seins und somit auch des Seienden selber auf.

Hier rühren wir an einen generellen und für die Konsequenz des Gedankens wichtigen Zug des pulcrum, dieses verstanden in seiner Transzendentalität. Die proportio als Verhältnishaftigkeit und Beziehung waltet im Wohlgefallen und Genuß auf vielfache Weise: In der Ankunft des Wirkbildes beim Wahrnehmenden kommen das Seiende, das dieses Wirkbild hervorbringt, und der es Wahrnehmende überein. In dieser Übereinkunft kommt die innere Übereinkunft des Seienden mit und in seinem Wirkbild, somit aber mit und in sich selbst zum Vorschein. Und in der delectatio stimmt auch der Wahrnehmende selber als Genießender mit sich überein, er selber gelangt in die proportio zu sich selbst. Dieser Vorgang ist allerdings von innen her mehr als isolierte Struktur eines Einzelaktes. Er offenbart die Fügung des Seins als solchen, als Ganzen. Die Ankunft des Schönen bestimmt das Verhältnis des Wahrnehmenden zum Ganzen, sein Sein im Ganzen, und zugleich gibt ihm diese Ankunft Botschaft vom Ganzen. In solcher Stimmung und Botschaft ist sowohl die Spannung zum Defizienten und Nichtschönen wie die Leidenschaft für das Schöne im Ganzen präsent. Wo die proportio aequalitatis aufgeht, ist die Vielfalt der Bezüge im Ganzen und das Ganze als Vielfalt von Bezügen eröffnet. Solche vielfältige Beziehung selbst geht auf als dem Wahrnehmenden zugewiesenes, ihm vorausgehendes, ihn so aber angehendes Beziehungsfeld. Dieses Feld ist nicht nur abstrahierte Struktur, sondern Zuspruch, Entfaltung von in allem waltender Ursprünglichkeit als Beziehentlichkeit, als proportio.