Berufung und Nachfolge. Zum Text „Leben heißt antworten“: Was bedeutet Berufung heute?

Berufung geschieht persönlich: Biblische Figuren bei Klaus Hemmerle

Hemmerle nimmt im weiteren Verlauf des Textes Berufungsgeschichten aus dem Neuen Testament auf und führt so tiefer in die Deutungsebene ein, die der christliche Glaube diesem anthropologischen Grundmotiv gibt. Jesus ruft Menschen und öffnet für sie einen neuen Lebensraum. Klaus Hemmerle beschreibt das anhand der Berufungen des Andreas, des Philippus, des Petrus und des Nathanael. Hemmerle sagt explizit, dass er diese Berufungsgeschichten nicht psychologisch deuten möchte, aber man könnte doch sagen, dass er hier verschiedene „Typen“ vorstellt. Liest man den Text als Anregung zu eigenem Nachdenken und zur vertieften Meditation, dann könnten sich etwa folgende Fragen stellen:
Bin ich eher Andreas, der von Johannes dem Täufer auf Jesus hingewiesen wird und ihn fragt: Rabbi, wo wohnst Du?
Bin ich eher Petrus, der, sobald er einmal verstanden hat, dass er der „Kephas“, der Fels ist, alles stehen und liegen lässt, auch wenn er immer wieder kämpfen muss, um auf der Höhe seiner Berufung zu bleiben?
Bin ich vielleicht eher Nathanael, ein „echter Israelit“, der (sehr modern) mit viel Skepsis in die Begegnung mit Jesus geht, dann aber feststellen muss, dass Jesus ihn schon im Blick hatte, bevor er selbst sagen konnte: „Du bist der Gesalbte Israels!“?

Wie auch immer die ganz persönliche Antwort auf diese Meditationsanregungen aussehen mag – es bleiben zwei fundamentale Feststellungen: Berufung heißt im Ausgang von Klaus Hemmerle zunächst: „bei Jesus sein“. Hemmerle nennt das: in den Lebensraum Jesu eintreten. Darin schwingt mehr mit als nur „zusammen sein“. Es heißt viel umfassender: Jesu Weg mitgehen, von ihm lernen, teilhaben an der Dynamik seiner Liebe.1


  1. Vgl. dazu ausführlich Hemmerles „Thesen zu einer trinitarischen Ontologie“, in denen er darlegt, dass die Liebe letztlich der Gegenstand der Ontologie ist, da sie als letzte bleibt und ist. Im Zentrum der Ontologie steht damit eine Dynamik und eine Bewegung des Sich-Gebens: K. Hemmerle, Thesen zu einer trinitarischen Ontologie, Freiburg 1976. ↩︎