Ist das Konzil schon angekommen?

Besinnung auf die Mitte: Mysterium und Communio*

Was in einer behutsamen Analyse der Grundaussagen von Lumen gentium zu erheben wäre, sei hier wiederum in groben Strichen zusammengefaßt. Nicht die Kirche, sondern Jesus Christus ist das Licht der Völker. Er ist es, in dem Gott selber bei der Welt ankommen, die Welt annehmen, der Gott mit den Menschen und für die Menschen sein will. Seine Menschwerdung ist die Annahme allen Menschseins, das Mitleben eines jeden menschlichen Geschicks, die Stellvertretung für jeden Menschen in seiner Schuld und Todverfallenheit (vgl. besonders LG 1, GS 22). In Jesus Christus ist die Brücke zwischen Gott und der [58] Welt geschlagen, er ist der Weg Gottes zum Menschen und der Menschen zu Gott. Er ist es in sich selbst, er ist es in seiner Existenz. Aber was er ist, das will in der Geschichte ankommen, Gestalt werden, will in ihr mitgelebt werden und in diesem Mitleben sich vermitteln, übersetzen, übertragen, Geschichte, Biographie der Menschen werden.

Dazu aber ergreift er Menschen, die sich diesem Licht öffnen, die glaubend, hoffend und liebend sich eingliedern in diesen Prozeß, nein in dieses Leben, nein, in diese Wirklichkeit Jesu und so, mit ihm und durch ihn geeint, ein Stück Menschheit sind, in welchem dieses Christusgeheimnis lebt und wirkt, in welchem die Verbindung zwischen Gott und Menschen und somit die Verbindung der Menschen miteinander Gestalt gewinnt. Kirche ist der Spiegel, in welchem das Licht Christi weiterstrahlt in die Welt, das Stück Menschheit, das zu Christus gehört und die Zugehörigkeit aller zu Christus schon lebt und weitergibt. Das braucht natürlich die missionarische, bezeugende, weltgestaltende Tätigkeit der Kirche und ihrer Glieder. Aber diese Tätigkeit ist nicht etwas, was äußerlich zur Botschaft und zum Heilswerk Christi hinzukäme, sondern Kirche ist in ihrem Sein, Leben und Wirken Präsenz des Herrn. Sie ist dadurch ganz klein und ganz groß zugleich, ganz nah und ganz eins mit der Welt und zugleich ganz hineingenommen in Jesus Christus.

Dies geschieht nicht in der bloßen Abgrenzung oder in der bloßen Anpassung gegenüber der Welt, sondern in jenem Annehmen und Aushalten, durch welches der Mensch eingeht in Jesu österliches Schicksal der Hingabe an den Vater für die Welt und der Verherrlichung durch den Vater. Welt und Leben wollen nicht nur gestaltet, sie wollen zugleich ausgehalten, durchlitten, verwandelt werden zum Zeichen des kommenden Gottesreiches. Inkarnation hat ihren Ernstfall und ihre Vollendung im Paschageschehen, in Kreuz und Auferweckung. Und nicht nur in den Sakramenten haben die Glieder der Kirche teil an diesem österlichen Geschehen, ihr ganzes Leben ist österliche Transformation und gerade so Dienst an der Welt.

[59] Kirche ist also gelebtes Christusgeheimnis, sie ist gelebtes Paschageheimnis. So und nur so kommen in ihr Welt und Botschaft nicht nur äußerlich zusammen, sondern vollzieht sich ihr wahres inneres Verhältnis, das in Jesu Menschwerdung, Kreuz und Verherrlichung bestimmt und vollbracht ist.

Wir können indessen von den Konzilstexten und zumal von der Kirchenkonstitution nicht sprechen, ohne einen dritten, entscheidenden Aspekt hinzuzufügen. Wir haben ihn bereits gestreift: Der Mensch ist nicht nur als einzelner gerettet und gerufen und auch nicht nur als einzelner gesandt, um Zeuge für die andern zu sein. „Gott hat es aber gefallen, die Menschen nicht einzeln, unabhängig von aller wechselseitigen Verbindung, zu heiligen und zu retten, sondern sie zu einem Volke zu machen, das ihn in Wahrheit anerkennen und ihm in Heiligkeit dienen soll“ (LG 9). Der Mensch, der nach der Verbindung mit Gott als seinem Heil und seiner Erfüllung strebt, strebt darin zugleich nach der Ganzheit seines Lebens, seiner Welt, nach der Ganzheit aller Lebensbezüge und der Beziehung aller Menschen zueinander. Heil ist Ganzheit, ist Einheit nicht nur im vertikalen Sinn der Einung mit Gott, sondern auch der Einung miteinander. Dies aber ist kein äußerlicher Zusatz zum Geheimnis des Menschen und zum Geheimnis Christi, sondern die Tiefe beider. Denn in seiner Menschwerdung, in seinem Annehmen und Übernehmen der Welt und des Menschen erfüllt der Sohn den Willen des Vaters, seine grenzenlose und universale Liebe, und sich mit dem Menschen verbindend, führt er ihn in die Arme des Vaters. Die Einheit von Vater und Sohn im Geist ist der Grund der Menschwerdung, das Christusgeheimnis ist ganz und gar eingetaucht in die Einheit von Vater und Sohn im Geist, und das Kreuzgeschehen ist nicht anders als im gegenseitigen Verherrlichen und Verherrlichtwerden des Vaters durch den Sohn und des Sohnes durch den Vater im Geist zu lesen. In Kreuz und Auferstehung wird der Mensch in die Lebensgemeinschaft Gottes hineingenommen. Gott selbst ist Liebe, ist Gemeinschaft, ist dreifaltiges Leben. So aber ist der Mensch erst dann ganz in Jesus Christus drinnen, so ist er erst dann ganz in Gott hineingerettet, wenn er auch [60] in der Ebene des Menschlichen dieselbe Einheit lebt und erfährt, wie sie zwischen Vater und Sohn im Geiste waltet (vgl. Joh 17,21–23). Kirche ist „aus der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes geeintes Volk“ (LG 4), sie ist Communio (vgl. S. 13–18, II.C). Als Communio, als Gemeinschaft spiegelt sie das dreifaltige Leben Gottes und setzt es gegenwärtig mitten in der Welt, nur auf die Weise der Communio geschieht Annahme und Hingabe als der Lebensrhythmus des Menschen, nur in solcher Annahme und Hingabe, nur in solchem Mitvollzug von Menschwerdung und österlicher Liebe wird Kirche glaubwürdig und wirk­sam als das Zeichen dieser Liebe, leuchtet im Spiegel, der die Kirche ist, Jesus Christus als das Licht der Völker auf. Das zweite Stichwort des Synodendokumen­ts, Communio, hängt unmittelbar mit dem ersten Mysterium zusammen. Und der Zusammengang geschieht eben im Rhythmus des ein für allemal geschehenen und im Lebensvollzug der Kirche allüberall, sakramental wie existentiell, im Sein wie im Tun gegenwärtigen Paschaereignis, im Weg der Liebe durch das Kreuz zur Verherrlichung.