Kirche und Kunst – heute

Bildhaftigkeit und Bildlosigkeit des Göttlichen

Christus, der Bräutigam, hat die Kirche, die Braut, weggerufen vom Wahn der Idole. Die Bilder, von denen Epiphanius spricht und die er verteidigt, sind nicht mit den Idolen zu verwechseln, nicht mit jenen Götterbildern, deren Anbetung für die Psalmen, die Weisheitsliteratur und Paulus ebenso ein Greuel darstellen. Der geschnitzte, der gemachte Gott – einen größeren Gegensatz zum lebendigen Gott kann sich der fromme Israelit und der fromme Christ nicht vorstellen.

Und doch möchte ich in einem ersten Gedankenzug ein kleines Plädoyer für die Idole halten, besser: für jenes, was elementar im Gottbild zur Darstellung kommt. Es gehört zur Größe des menschlichen Geistes, daß er das Göttliche und den Gott ins Bild bannt. Es ist ein elementar menschliches Phänomen, das fast alle Kulturen prägt, die wir kennen: Das Göttliche drängt zum Bild.

[13] Was geschieht hier? Natürlich kann der Mensch sich Gedanken machen über den Sinn seines Lebens und die Herkunft und Zukunft der Welt und so zu jenem Höchsten, der Welt Überlegenen, zu Gott und dem Göttlichen denkend gelangen. Der Gott, zu dem gebetet, der Gott, der verehrt wird, der Gott, der lebendige Religion unmittelbar prägt, ist aber nicht der Gott des Resultates menschlicher Überlegungen, sondern der Gott seines eigenen Anfangs und Aufgangs, der Gott der Epiphanie, der Gott, der von sich her den Menschen angeht und trifft wie im Blitz. Aufgang des Göttlichen ist Ereignis – dieses Ereignis verwandelt die Welt des Menschen, stigmatisiert ihn und sie, entzieht sich aber zugleich wiederum, entgeht als das Größere, Unfaßbare dem menschlichen Zugriff.

Und nun erfolgt eben der entscheidende Schritt: Ereignis wird Gestalt. Gerade der Rang der Epiphanie des Göttlichen verbietet dem Menschen, sie zu vergessen, über sie wieder zur Tagesordnung hinwegzugehen. Der eine große Augenblick will weiter währen, er braucht sein Denkmal. Dieses Denkmal, die Gestalt, in welcher das Ereignis sich verfaßt, kann aber – von der inneren Logik seines Entstehens her – nicht menschliches Gemachte sein, das Gottbild, das Denkmal des Göttlichen sind Aufgang des Göttlichen von sich her in seine menschliche Gestalt. Der Gott bringt sich in die Gestalt inmitten menschlicher, welthafter Gestalten. Er reiht sich ein ins Geschehen und in den Gestaltenzug der Welt, aber solche Einreihung unterbricht und verwandelt die Reihe.

Allerdings: Der Gott, der sich in die Gestalt bringt, bringt sich in eine Gestalt, die zugleich vom Menschen ausgeht, nicht Gemachte des Menschen, wohl aber vom Menschen gemacht und bewirkt ist. Der Gott kommt zur Gestalt in der menschlichen Gestaltung, diese übersteigt sich selber dahinein, das hervorzubringen, in dem Gott sich zur Erscheinung bringt. Es ist ein und dasselbe Ereignis, in dem Gott sich in menschliche Gestalt einbringt und in dem der Mensch gestaltend seinen Überstieg über sich und seine welthaften Möglichkeiten vollbringt. Dies alles ist weder im Sinn einer historischen Analyse noch gar als theologische Aussage formuliert, sondern hebt die phänomenale Struktur des Geschehens ans Licht, in welchem das Ereignis des Göttlichen zum Denkmal, zur Gestalt gerinnt.

Zu dieser Struktur gehört freilich auch die Gefahr der Verkehrung. Die jüdisch-christliche Kritik an Götzendienst, Idololatrie, knüpft daran an, daß der Mensch eben dieser Gefahr geschichtlich erlegen ist. Nicht das reine Andenken an den Aufgang des Göttlichen, sondern die Bewerkstelligung der Nähe des Göttlichen, das Verfügenwollen über das Göttliche, indem er ins Bild gebannt wird, können die Oberhand gewinnen. Menschliche Geschäftigkeit versucht, Gott verfügbar zu machen – und entgöttlicht ihn so. Gestalt Gottes als Faustpfand seiner Verfügbarkeit ist leere Hülse, ihre Verehrung ist Götzendienst. Darin geschieht aber für den Menschen etwas Verhängnisvolles: er bringt seinen eigenen Urglauben an den lebendigen Gott für sich in den Verdacht der Projektion. Der machbare Gott, der Wunschgott, weist das nicht hin auf den Gott, der bloß Entwurf und Produkt der eigenen Bedürfnisse ist?

Noch an eine weitere Grenze stoßen wir, wo wir auf die innere Struktur des Gottbildes, der endlichen Gestaltwerdung des Göttlichen achten. Jedes Bild, jede Gestalt sind endlich und einzeln. Sie bleiben so notwendig je hinter dem zurück, was in ihnen zur Gestalt drängt. Das [14] Göttliche ist das je Mehr, das je Größere. Jeder Ausdruck, jedes Bild zeigt mehr, wie Gott nicht ist, als wie Gott ist. So aber verweist das einzelne Gottbild nicht nur auf den, der im Bild über ihm als der je Größere aufgeht, sondern zugleich auf andere Bilder. Die Einheit des Göttlichen splittert sich auf in die Vielzahl von Gestalten, die aufeinander verwiesen sind, die aber nicht nur als einzelne, sondern auch als Summe das nie einholen und dem nie gerecht werden, worum es in ihnen geht. Der eine und einzige Gott entgeht in der verwirrenden Vielfalt der Gestalten und Bilder des Göttlichen. Gott ist in den Göttern mehr verborgen als offenbar, die Götterbilder werden zum Ersatz des in seiner Einheit und Transzendenz entzogenen Göttlichen.

Hier berühren wir wohl die innerste Wurzel des alttestamentlichen Bilderverbotes. Jahwe ist der Gott, der uns die je größere Zukunft verheißt und der uns in die je größere Zukunft führt. Er ist der eine, der Himmel und Erde gemacht hat und den sie nicht fassen können. Er ist es aber, der sich konkret mit uns einläßt, der dem Menschen seinen Bund anbietet, der ihn auf seinen Weg führt. Er ist da, er ist nah, er geht mit seinem Volk – aber eben als jener, der an keiner Station des Weges stehenbleibt, sondern verheißend und geleitend je weiterführt in die größere Zukunft hinein. Der Name, der ihn „faßt“, ist Name der Unfaßbarkeit, Name des je neuen Ereignisses, der je neuen Begegnung und so gerade Verbürgung der Treue: „Ich werde sein, als der ich sein werde!“

Es gibt die Bilder der je größeren Zukunft, es gibt die Verheißung, sie ist nicht bilderlos – aber mehr noch sprengt sie alle Bilder und läßt kein einzelnes Bild stehen. Diese ihre eigenen Bilder überholende Verheißung und Zukunft sind die einzige Ikone, das einzige Bild dessen, der die Herkunft dieser Zukunft, der der Schöpfer und Herr Himmels und der Erde ist. Menschliche Gestaltungskraft wird zur Kraft gehorchenden Wagens, das sich je neu auf den Ruf Gottes einläßt und so Geschichte gestaltet. Das „Kunstwerk“ Israels, das gestaltend vom Menschen her einholt, was Gott eröffnet und gewährt, worin er sich Gestalt verleiht, ist eben das Mitgehen seines Weges, das Mittun seiner Geschichte, das Leben nach der Satzung seines Bundes.

Allerdings gibt es zu denken, daß auf diesem Weg die Bilderlosigkeit, das „Je-weiter“, die Beschränkung auf die reine Zukunft immer wieder kaum zu tragende Überforderung bedeutet. Die Tendenz zum Tempel und zum König hin, die dem wandernden und wirkenden. Gott abgerungen werden, weisen deutlich genug auf diese innere Dramatik.

Wir können freilich statt des Wortes Zukunft und Geschichte noch ein anderes, im Grunde freilich synonymes setzen, um das „Gottesbild“ Israels ansichtig zu machen. Wir können sagen: Das Bild Gottes ist sein Volk. Gott, der den Menschen zum Bild und Gleichnis erschaffen hat, macht sich anschaubar nicht nur im je einzelnen, sondern zumal in der Beziehung der einzelnen zueinander, die dieselbe Bundestreue, die sie ihm gemäß der ersten Gesetzestafel erweisen, in der Ordnung der zweiten wiederholen und so den Gott der Treue, den Gott der Zukunft sichtbar machen. Ja, das priesterliche Gottesvolk ist gesetzt zum Zeichen, Zeugnis und Bild des je größeren Gottes mitten in der Welt. Wer Israel sieht, wer sein Geschick sieht, der wird an Gott gemahnt, der kann Gott erkennen. In Israel kann und soll die Welt der Völker Gott erfahren, erkennen, sehen.

[15] Gerade diese Berufung sprengt immer wieder die konkrete Kraft des Volkes: Israel bewährt seine Bundestreue nur in der je neuen Umkehr aus der Untreue, seine Geschichte wird zum Wettlauf zwischen der je größeren Treue Gottes und der je neu aufbrechenden Ohnmacht des Volkes, dieser Treue treuzubleiben. Im Geschick Israels wird wie im Brennpunkt die Situation des Menschen vor Gott und Gottes unter den Menschen deutlich: der Mensch ist berufen, Gott ins Bild zu bringen – und scheitert daran. Der Mensch ist darauf angewiesen, Gott gestalthaft, im Bild nahe zu erfahren – und scheitert am je größeren Gott. Das Erbarmen und die Treue Gottes, die in dieser Geschichte dennoch währen, ermutigt dazu, neu die Frage zu stellen: Wie kommt der je Größere als der je Größere ins Bild, in die Gestalt, in die Nähe und Gemeinschaft des Menschen?