Der Himmel ist zwischen uns
Bischöfe und Priester
Gemeinden wollen die Nähe ihrer Priester, Diözesen die Nähe ihrer Bischöfe erfahren. Je anonymer das Leben wird, desto mehr erkennen wir: Christsein gelingt nur in der Begegnung, im erfahrbaren Miteinander. Dies ist erfreulich, aber auch belastend. Erwartungen und Ansprüche an Priester und Bischöfe werden zur Überforderung. Wo die Reaktion Anspannung bis zum äußersten, Aufgehen in tausend Aktivitäten heißt, da wächst nicht die Nähe, sondern nur der Stress. Das steckt hinter der allgemeinen Resignation und Ratlosigkeit vieler Amtsträger.
[72] Der Hinweis, es sei doch hilfreich, seit dem Konzil zu wissen, dass man nicht allein steht, weil der Priester im Presbyterium um seinen Bischof und der Bischof im Kollegium der Bischöfe verwurzelt ist, wird von vielen belächelt. Die Erfahrung der Einsamkeit sei viel realer als jene der Gemeinschaft. Und wo man mit dieser Gemeinschaft Ernst macht, da bedeute sie eher zusätzliche Verpflichtung und Belastung. Und doch gilt: Priester und Bischöfe stehen am Schnittpunkt zweier Kreise. Der eine Kreis ist ihre Gemeinde bzw. ihr Bistum, der andere das Presbyterium bzw. das Bischofskollegium. Die Aufgabe heißt: Gemeinschaft in der Gemeinde, im Bistum in Gang bringen und wachhalten und sie zugleich öffnen in die größere Gemeinschaft von Kirche. Wer nur bei „seiner“ Gemeinde oder „seinem“ Bistum bleibt, der verlässt ebenso seinen Platz wie jener, der seine Gemeinde oder sein Bistum sich selber überlässt.
Eines der beiden Aufgabenfelder auszublenden wäre keine Lösung. In den beiden Aufgabenfeldern das eine Notwendige suchen: dies ist der Weg. Dass ich – der Priester, der Bischof – alles in meiner Gemeinde, alles in meinem Bistum mache, dass alle Aktivitäten von mir ausgehen, widerspräche dem Glauben an Gottes Geist, der nicht nur durch mich wirkt. Es widerspräche der Ehrfurcht vor denen, die nicht bloß Objekte meiner Heilssorge sind, sondern dazu berufen, selbst Gemeinde und Kirche mitaufzubauen. Sicher, es ist des Amtes, Wort und Sakrament so anzubieten, dass alle in ihnen den Herrn erreichen können. Und es ist weiter des Amtes, den Herrn zu entdecken und zum Vorschein zu bringen, der durch seinen Geist in den Gläubigen wirksam ist. Und es ist schließlich des Amtes, für die Einheit in der Wahrheit und in der Liebe zu sorgen. Aber in all dem soll das Eine geschehen: Jesus soll in der Mitte der Gemeinde, der Kirche leben. Wo [73] dieses Eine geschieht, wird uns das andere hinzugegeben. Wenn priesterliches und bischöfliches Tun hier ihren Schwerpunkt suchen, dann löst sich der Überdruck der Allzuständigkeit, ohne dass dieses Tun auf eine Spezialistenrolle beschränkt würde.
Gemeinschaft stiften aber kann nur, wer selber Gemeinschaft lebt. Priester und Bischöfe haben daher die Aufgabe, in ihrer Gemeinde, in ihrem Bistum zu stehen, dort Gemeinschaft zu leben. Aber sie stehen zugleich ihrer Gemeinde, ihrem Bistum gegenüber; sie sollen schon Gemeinschaft mitbringen in ihren Dienst an Gemeinde und Bistum. Sie sollen dieselbe Gemeinschaft mit dem Herrn in der Mitte leben im Presbyterium, im Bischofskollegium.
So hat sich bereits ein weiteres Problem überholt, das kirchlichen Amtsträgern heute weithin zu schaffen macht: die Rollenunsicherheit. Eine alte und keineswegs veraltete Begriffsbestimmung des kirchlichen Amtes heißt: Es steht nicht nur in der Gemeinde, sondern auch der Gemeinde gegenüber; denn es hat Christus als das Haupt, als den Herrn zu vergegenwärtigen. Solches Gegenübersein empfinden Amtsträger und Gemeinden oftmals als Isolierung, als Absonderung, die der Geschwisterlichkeit widerspricht. Ist nicht nur einer der Herr, und wir alle sind Brüder (vgl. Mt 23,8)? Es wäre schrecklich, wenn Menschen sich an die Stelle des Herrn setzten. Ihn vergegenwärtigen soll gerade heißen: glaubhaft machen, erfahrbar machen, dass er allein der Herr ist, ganz Werkzeug dafür sein. Sprechen, leiten, entscheiden in Vollmacht sind dem Bischof und dem Priester auferlegt, aber nicht damit sie Herr sind, sondern damit der unverfügbare Auftrag des Herrn sich Bahn bricht. Jesus allein darf Herr, Hirte, Priester sein.
Dies wird gerade dadurch beglaubigt, dass die Hirten sich [74] selbst zurücknehmen und in ihrer Mitte Jesus als den einen Hirten sichtbar machen. Wo Presbyterium und Bischofskollegium lebendige Wirklichkeit werden, da ist das kein Zusatz zum Dienst des einzelnen Priesters und Bischofs, es ist vielmehr Mitte ihres Dienstes und ihrer Pastoral. Wer sich in einsamer Verantwortung für seine Herde verzehrt, läuft Gefahr, seine Rolle zu entstellen oder an ihr zu zerbrechen. Wer um der Nähe zur Gemeinde willen in ihr aufgehen, nur einer im Team der Mitarbeiter, nur einer unter den Gliedern der Gemeinde sein will, der läuft Gefahr, seine Sendung zu verdunkeln oder zu verkürzen. Wer mit Jesus inmitten der Gemeinde lebt, zugleich aber mit Jesus in der Mitte seiner Brüder im Presbyterium bzw. Bischofskollegium, der gewinnt den Mut, zu seiner Sendung in Vollmacht zu stehen, zugleich aber auch den Mut, Bruder unter Brüdern, Diener unter Dienern zu sein. Ob im Presbyterium oder im Bischofskollegium, ob in Gemeinde oder Bistum, er lebt in allem dasselbe: Jesus in der Mitte.
Die Gesetze des Lebens sind für den Priester und für den Bischof dieselben wie für jeden Christen: die Entscheidung für Gott, das Leben aus dem Wort, das Ja zum Kreuz, das neue Gebot. Das eine wird hier besonders wichtig: Deine Gemeinde ist mir so wichtig wie meine Gemeinde, dein Bistum so wichtig wie mein Bistum. Die Zeit, die ich für dich habe, stehle ich nicht meiner Gemeinde und meinem Bistum; denn je mehr der Herr zwischen uns ins Spiel kommt, desto mehr bringe ich ihn mit in den Dienst an denen, die mir im besonderen anvertraut sind. Aus der langen Gewohnheit eines sehr ausgeprägten Verantwortungsgefühls für die eigene „Herde“ bedeutet das eine provozierende Umstellung. Aber diese Umstellung ist um so notwendiger, als nur sie die Enge eines Kirchturms-, Versorgungs- und Anspruchdenkens [75] in die größere Offenheit fürs Ganze überwinden hilft. Der Herr will nicht nur in jeder Gemeinde und in jedem Bistum, er will auch zwischen den Gemeinden und zwischen den Bistümern leben.
Wer mit seinen Brüdern im Presbyterium und Bischofskollegium so lebt, der wird auch in einer neuen Unbefangenheit und Kraft auf seine Mitarbeiter, auf alle in Gemeinde und Bistum zugehen können. Er wird die Distanz des bloß Amtlichen überwinden, er wird von seiner eigenen Erfahrung etwas weiterschenken und auf die Fragen und Erfahrungen der anderen hören lernen. Sendung wird bleiben, Klerikalismus wird fallen.
Leben mit Jesus in der Mitte ist für den besonders notwendig, der zu allen gesandt, fürs Ganze bestellt ist. Dieses Leben bedarf aber der Einübung, der Ausdrücklichkeit. Auch im Presbyterium und Bischofskollegium braucht es den konkreten Anfang; es braucht einzelne, die es verbindlich miteinander ausmachen: Wir wollen Jesus in unserer Mitte gegenwärtig halten, wollen uns dazu weiterhelfen, dass er die Form unseres Lebens wird. Sie tun es nicht, um sich abzusondern, sondern um einen Dienst am Presbyterium, am Bischofskollegium im ganzen zu tun. Das kostet Zeit und Reisen über die eigenen Grenzen hinweg. Aber es bringt das Hundertfache zurück: Brüder, die mit da sind für jene, die ich einen Augenblick verlassen muss.