Theologie als Nachfolge

Bonaventuras Einsatz beim Phänomen des Anfangens

Daß die theologische Logik auch bei Bonaventura eine paradoxe Logik ist, darauf weist schon seine These, es müsse mit der Mitte angefangen werden. Diese Paradoxie ist aber, in erster Potenz, [64] bei ihm bereits vortheologisch abgelesen an einer Phänomenologie des Anfangens. Sie ist sozusagen der philosophische Einsatz der Logik Bonaventuras, der sich sodann jedoch durch die Integration in den spezifisch theologischen Kontext steigert und überholt. Um uns in die Denkbewegung Bonaventuras hineinzufinden, um den inneren Komparativ seiner Logik zu ermessen, empfiehlt es sich, nicht vom integrierenden Ende, sondern von diesem ersten Anlauf her seinen Gedanken aufzuschließen. Phänomenologie des Anfangens, das steht bei ihm einerseits durchaus in der Tradition, die sich zumal auf Augustin und seine Reflexion des Selbstbewußtseins im Zusammenhang der Trinitätslehre bezieht. Und doch nimmt die Radikalität, in welcher Bonaventura diesen Gedanken des Anfangens verdichtet, in etwa jene spekulativen Erörterungen von Geistigkeit, von Selbstbewußtsein voraus, die im deutschen Idealismus sodann systembildend wurden. Der Rahmen, in dem diese Phänomenologie des Anfangens bei Bonaventura steht, ist unmittelbar die Spekulation über den Logos als die causa exemplaris, das heißt über seine ur- und vorbildhafte Ursächlichkeit für die Schöpfung. Weiter gefaßt, ist freilich das philosophische Denken insgesamt bei Bonaventura – sich darin durchaus auch berührend mit aristotelischen Gedankengängen, wie sie etwa bei Meister Eckhart durchdringen – vom Leitmotiv der Produktivität imprägniert. Einige Beispiele: Die Aufschlüsselung der verschiedenen Künste und Wissenschaften in seiner Reductio konzentriert deren Gang auf ein Schema des Erzeugens und Produzierens; die Hinführung aus den Teilvollkommenheiten der Schöpfung zur umfassenden Vollkommenheit der Trinität geschieht wiederum im Rückgriff auf die unterschiedlichen Arten und Stufen geschöpflicher Produktivität1. Zweierlei ist allerdings kennzeichnend an der Weise, wie Bonaventura das ihn mit anderen verbindende Grundmodell des Genetischen und Produktiven ausgestaltet: einmal die spekulative Verdichtung – er setzt jeden einzelnen Schritt so konsequent und genau wie möglich und „verkostet“ jeweils seinen Ertrag; zum anderen die Mehrseitigkeit, Gegenläufigkeit seines genetischen Denkens – er [65] denkt den Prozeß sowohl von der Seite der Ursache als auch von der Seite des Verursachten her, dessen Sein als Weiterwirkung und Rückwirkung der Ursache gelesen wird.


  1. Hexaemeron XI, 13–25. ↩︎