Theologie als Nachfolge

Bonaventuras Grundformel für die Logik der Produktivität

Bonaventuras Logik ist, in ihrer ersten, „philosophischen“ Potenz betrachtet, Logik der Produktivität. Den Bestand des Seienden, den er bedenkt, hebt er in seinen genetischen Zusammenhang, und der Schlüsselbegriff hierfür ist eben der des Anfangs. Dies erhält besonders scharfe Kontur, wo Bonaventura – im Durchkonjugieren der Mitte, die ihm Christus ist, durch die unterschiedlichen Bereiche von Wissenschaft – die Metaphysik christologisch zu fundieren sucht.1 Die Frage, die ihn bewegt: Wie läßt sich das Sein des Vielen, was ist, auf seinen Zusammenhang hin, auf seinen einen Ursprung und sein eines Ziel hin lesen? Und seine Antwort: von der einen Mitte her, die sich in allem abbildet. Doch das Urbild, die causa exemplaris, ist für ihn nicht einfach eine stabile Idee, sondern sie ist selber Weg, geschehende Mitte, Vermittlung. Christus wird als das Urbild der Schöpfung verstehbar, indem seine innertrinitarische Zeugung und der Zusammenhang dieser Zeugung mit der Offenheit Gottes über sich selbst hinaus, mit der Möglichkeit Gottes zu seinem Anderen durchsichtig werden.

Das Verstehensmodell, das Bonaventura heranzieht, ist das einer ins Absolute und Trinitarische hinein gesteigerten Phänomenologie des Anfangs. Der trinitarische Gott wird als der lebendige Anfang, sein Sein als Anfangsein expliziert. Der unlösliche Zusammenhang von Sein aus sich, Sein sich selbst gemäß, also in Entsprechung zu sich, Helle für sich, und Sein um seiner selbst willen, auf sich selbst zu – wie er nach Ausweis unserer phänomenologischen Reflexion das Selbstsein charakterisiert – wird von Bonaventura ausdrücklich gemacht und auf den trinitarischen Gott zu gelesen: „Sein aus sich, das meint: Sein als entspringenlassender Ursprung; Sein sich gemäß, das meint: Sein als maß-gebender, ur-bildender Ursprung; Sein um seiner selbst willen, das [73] meint: Sein als voll-endender, abschließender Ursprung. Das heißt Sein als Ursprung, Mitte und Ziel oder Ende. Der Vater ist als entspringenlassender Ursprung, der Sohn als urbildende Mitte, der Heilige Geist als abschließende Vollendung.“2

Ursprung, Mitte, Ziel: solche Charakterisierungen der trinitarischen Personen lassen Trinität selbst als Geschehen, als „Geschichte“ verstehen. Diese drei Bestimmungen entsprechen jeweils zwei anderen, die eine drückt in präpositionaler Wendung den trinitarischen Selbstbezug, die andere in verbaler Wendung die je eigentümliche Gangart der Ursprünglichkeit aus. Aus sich: das ist Kennmal der reinen Ursprünglichkeit, die keinen Rückverweis auf anderes duldet, ihres Anfangseins, das keinen Anfang und kein Endesein hinter sich hat, sondern unrückführbares Anfangen besagt. Dem entspricht eben das Verb „originare“, entspringenlassen. Sich gemäß, lateinisch secundum se: das drückt die Parallelität, die „zweite“ Stelle aus, die aber nicht Nachträglichkeit, Subtrahierbarkeit, Trennbarkeit meint, sondern jene Grenze, jene Bestimmtheit, in der das Entspringenlassen je schon eingeholt, in solcher Einholung sich selbst gegeben, aber zugleich als mögliche Gabe nach außen gegeben ist. Das entsprechende Verb heißt hier exemplari, ausdrückend vorbilden; Gestalt als Geschehen, Gestalt als den Ursprung fassen und ihn zugleich mitteilen, die Mitte von Nachgestalten und Vorgestalten also kommt hier zum Vorschein. Um seiner selbst willen: Wegwendung des Ursprungs wird hier als unverlierbare Rückwendung auf sich selbst, Öffnen als Sich-in-sich-selber-Schließen, Ausgang als je schon Erreichthaben des Zieles offenbar. Die zugehörigen Verben (finire, terminare, zum Ziel führen, beschließen) drücken den Rücklauf des Geschehens in sich selbst und zugleich seine höchste Steigerung in sich selbst aus. Liest man diese Bestimmungen zusammen, dann wird eben jene Koinzidenz von Selbstbesitz und Selbstgabe sichtbar, deren Mitte dieselbe „Gestalt“, anders gewendet, dasselbe „Wort“ ist, die nichts anderes sagen als den Ursprung und gerade darin sein Anderes, das den Ursprung nicht mindert und ihm nichts hinzufügt, sondern seine Fülle zugleich darstellt und verschenkt. [74] Bonaventura bleibt hier aber nicht stehen. Es genügt ihm nicht, den immanenten Kreislauf von Selbstbesitz und Selbstgabe zu bedenken und dahinein die metaphysische Öffnung zum möglichen Anderen einzutragen; er wendet sich noch eigens diesem Geschehen der Öffnung zu, die „Logik“ dieser Öffnung, ihr Paradox herausstellend, in welchem Selbstsein und Werden des Anderen, Nichtsgewinnen und Nichtsverlieren auf der einen Seite und Neueseröffnen auf der anderen, reiner Ausdruck göttlichen Selbstseins und ineins umfassender und integrierender Ausdruck der ganzen Schöpfung einander begegnen. Für diesen Vorgang, für dieses Geschehen, für diese Logik entwirft er eine Formel, die vielleicht als die kühnste und dichteste der gesamten trinitarischen Schöpfungsspekulation gelten darf. Die Momente und Schichten, die unsere phänomenologische Analyse von Anfangsein und transitivem Anfangen aufdeckten, kehren hier in gedrängter Gestalt wieder. Diese Formel ist einerseits metaphysischer Ausdruck, andererseits „Erzählung“ trinitarischer Geschichte als Vorgeschichte der Schöpfung: „Der Vater zeugte von Ewigkeit her den Sohn, sich gleich, und sagte sich und sein sich gleiches Gleichbild und mit diesem sein ganzes Können; er sagte, was er schaffen könnte, und zumal, was er schaffen wollte, und drückte alles in ihm aus, im Sohn nämlich oder in dieser Mitte, als in seiner Kunst.“3

Diese Formel läuft in vier Phasen. Die erste enthält die Grundaussage in erzählender Unmittelbarkeit: Der Vater zeugte von Ewigkeit seinen Sohn, sich gleich. Die beiden „metaphysisch“ anmutenden Bestimmungen „von Ewigkeit“ und „sich gleich“ dienen der Unterscheidung bzw. Identifizierung des Vorgangs selbst. Die nächste Phase schließt mit „und“ an, ist dem Inhalt nach aber die Auslegung der im berichteten Vorgang unmittelbar enthaltenen Bestimmung: Im Sohn sagt der Vater in einem zwei, er sagt sich und er sagt den Sohn, aber der Sohn selber sagt eben, sich selber sagend, nichts anderes als den Vater, er ist das ihm gleiche Gleichbild. Diese unbedingte Identität und Beziehung von Entspringen der Gestalt und Bleiben in der Reinheit unbedingter Ursprünglichkeit ist die Voraussetzung, damit auch das andere, [75] was die Aussage dieser zweiten Phase abschließt, in den Blick treten kann: Mit diesem, mit dem Sohn, der nicht vom Vater wegführt, sondern rein ihn zur Gegebenheit bringt, ist zugleich doch das Hinausreichen Gottes über sich selbst – nicht als ein Ernötigtes, sondern als reine Fülle und Freiheit, als pure Mächtigkeit (posse) – mitgesagt. Hier aber setzt die dritte Phase ein; sie enthält die innere Geschichte, weil Steigerung, die in diesem Können, in dieser Mächtigkeit umfangen ist: Der Vater sagt, was er schaffen kann – Auslegung der Mächtigkeit auf ihr Wozu –, und er sagt „vor allem“, wie Bonaventura betont, was er schaffen will. Das Können, die Mächtigkeit ist Freigabe des Verhältnisses des Ursprungs zu seiner eigenen Mächtigkeit und somit Grund der Ermöglichung der nicht notwendigen Geschichte des Nichtnotwendigen, Freigabe der Schöpfung. Die Steigerung, die Wendung zur Positivität des Unableitbaren, dies muß uns im Ohr bleiben; denn hier kündigt sich der innere „Überschuß“ einer Logik der Produktivität über das hinaus an, was ihre eigenen strukturalen Momente an sich selbst und allein ablesen lassen. In einer abschließenden vierten Phase nimmt Bonaventura die beunruhigende Steigerung scheinbar wieder in den reinen Gleichklang zurück. Doch der Name dieses reinen Gleichklangs, der Name „Kunst“ ist geeignet, die Koinzidenz des Notwendigen mit dem Unselbstverständlichen, des Paradoxen mit dem absolut Stimmigen auszudrücken – noch einmal hat ein großer Denker Kunst gerade so, gerade als die Einheit und Gleichung von Notwendigkeit und Freiheit gefaßt, der junge Schelling in seinem System des transzendentalen Idealismus. Der Inhalt dieses Gleichklangs: Alles ist ausgedrückt in dieser einen Gestalt, in ihrem einen Ereignis, im Sohn als der Mitte Gottes zu sich und zu seinem Anderen, im Sohn, der das Hinausreichen Gottes zu seinem Anderen und das Hineinreichen des Anderen in Gestalt der reinen Mächtigkeit ins Eigenste Gottes zugleich darstellt und dies nicht als zweierlei darstellt. Solche Logik der Produktivität ist Logik des Paradoxes, daß reines Sich-selbst-Gehören und Sich-selbst-Übersteigen dieselbe [76] Formel finden, dieselbe Mitte haben, jene dynamische Mitte, die Gleichgewicht und Steigerung in einem ermöglicht. Was freilich das Steigernde, das konkret in Gang Bringende, somit das innerlichst Bewegende und zugleich ins geschehende Außen Drängende und Sprengende sei: dies kommt auf der Ebene metaphysischer Logik der Produktivität noch nicht zum Vorschein. Diese muß, um ihre eigene Tiefe zu lichten, zur Logik der Liebe werden.


  1. Hexaemeron I, 12–17. ↩︎

  2. Hexaemeron I, 12: Esse ex se est in ratione originantis; esse secundum se in ratione exemplantis, et esse propter se in ratione finientis vel terminantis; id est in ratione principii, medii et finis seu termini. Pater in ratione originantis principii; Filius in ratione exemplantis medii; Spiritus sanctus in ratione terminantis complementi. ↩︎

  3. Hexaemeron I, 13: Pater enim ab aeterno genuit Filium similem sibi et dixit se et similitudinem suam similem sibi et cum hoc totum posse suum; dixit quae posset facere, et maxime quae voluit facere, et omnia in eo expressit, scilicet in Filio seu in isto medio tanquam in sua arte. ↩︎