Caritas – eine theologische Reflexion zwischen Konzil und Synode

Caritas – eine theologische Reflexion zwischen Konzil und Synode

[131] Der Deutsche Caritasverband feiert sein 75jähriges Bestehen in der Situation zwischen Konzil und Synode. Das Zweite Vatikanische Konzil ist der großartige Versuch, in thematischer Ausdrücklichkeit Kirche und Zeit zur „Gleichzeitigkeit“ zu bringen. Diese Gleichzeitigkeit ist aber kein fixierbares Gut, sondern eine stets neue Aufgabe. Einmal in Angriff genommen, multipliziert sie sich andauernd. Das führt manchmal paradoxerweise dazu, daß Kirche und Zeit sich um so weiter auseinanderzuentwickeln scheinen, je mehr sie sich suchen. Ein Unterfangen wie die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik steht so vor der Schwierigkeit: Kann es gelingen, auf dem beständig neuen Weg zur Gleichzeitigkeit mit der Zeit so feste und überzeugende, zugleich so offene und dynamische Strukturen zu gewinnen, daß dabei die „Gleichzeitigkeit“ innerhalb der Kirche, das Miteinander der Glaubenden in ihr und somit ihr gemeinsamer Dienst, die Identität der Kirche mit sich selbst, gewährleistet werden?

Gleichzeitigkeit mit der Zeit und Gleichzeitigkeit miteinander haben in der Kirche freilich nur ihren Sinn, wenn sie nicht um ihrer selbst willen, sondern um der Gleichzeitigkeit mit dem Herrn willen gesucht werden.

Gibt es ein gemeinsames Stichwort, das Gleichzeitigkeit mit der Zeit, Gleichzeitigkeit miteinander und Gleichzeitigkeit mit dem Herrn überzeugend ausdrückt? Gewiß kein anderes als das Wort Caritas. Hier ist freilich nicht zuerst an Caritas als Aktion und Institution, sondern eben an jenes gedacht, um dessentwillen es auch solche Aktion und solche Institution geben kann und geben muß: an jene Liebe, die nicht zuerst darin besteht, daß wir geliebt haben, sondern daß Er geliebt hat, und die gerade darum fordert, daß Glaubende Liebende sind (vgl. 1 Joh 4,10–12).

Die Besinnung auf Caritas in unserer Situation ist Besinnung auf die Gleichzeitigkeit Gottes mit der Welt und der Kirche mit der Welt und der Glieder der Kirche miteinander.

Die These, die solcher Besinnung zugrunde liegt, sei im folgenden kurz umrissen: Gott ist Liebe, er ist in einem „vorzeitlichen“ Sinn der Gleichzeitige mit sich selbst, will sagen jener, der in sich selbst von sich selbst weg ist, Gemeinschaft, Dreifaltigkeit, Sein bei sich als Sein beim Du. Daraus erwächst, in der unerzwingbaren und unerrechenbaren Freiheit der Liebe, seine Gleichzeitigkeit mit der Welt, mit seinem anderen also, das er an sich selber freigibt und an das, vollendend, erlösend, er sich freigibt in Jesus Christus, der die Gleichzeitigkeit Gottes mit der Welt darstellt. Diese Gleichzeitigkeit ist die Liebe, von der das Neue Testament spricht. Sie lebt in der Geschichte als die Weitergabe Jesu in die je neue Gleichzeitigkeit mit der Zeit, und das heißt in jener lebendigen Tradition, welche die Kirche ist. Die Kirche ist solche Tradition, solche Weitergabe des sich selbst weggebenden Herrn nur in der dreifachen Weggabe, die zur dreifachen Gleichzeitigkeit führt: in der Weggabe an den Herrn als Ursprung und Haupt, in der Treue also zu ihm; in der Weggabe derer, welche die Kirche sind, aneinander, durch die sich die Liebe des Herrn bezeugt und er selbst in der Mitte der Kirche gegenwärtig ist; in der Weggabe der Kirche an die Welt, für die sie der sich hingebende Leib des Herrn ist, damit sie durch die Kirche mit dem Herrn kommuniziere, eintrete in seine Gleichzeitigkeit mit ihr.