Krise des Hörens

Chance neuen Hörens*

Wo bahnt sich ein Ausweg an aus dem Engpaß, in den das Hören geraten ist? Wo bricht Hoffnung ein in den Zirkel des Mißtrauens?

Das Gesetz der unbegrenzten Möglichkeiten, dem der Mensch und sein Hören im Zuge des technischen Zeitalters zu verfallen drohen, fasziniert ihn, aber es ernüchtert ihn auch, es läßt ihn die innere Endlichkeit aller noch so perfekten Weltbeherrschung und Weltausnützung erahnen in der Müdigkeit, in der Einsamkeit, in der geheimen Unerfülltheit und offenbaren Angst. Gerade dort, wo die große Versuchung andrängt, wird [68] ihm auch die Besinnung angeboten: die Frage, was denn mit ihm selbst geschehen sei, die ihn auf das Wesen seiner scheinbar so geschlossenen Welt und so auf ihre Grenze und so über diese Grenze hinaus hören läßt. Es ist noch möglich, zu hören auf das, was mit unserem Hören geschieht.

Solches Hören zu eröffnen, sich nicht in kritischer Analyse selbst zu gefallen, nicht verdrossen sich von unserer Welt zurückzuziehen, ist die Aufgabe jedes Hörenden heute. Die technischen Möglichkeiten in ihrer gespenstischen Leere umschließen auch diese Möglichkeit: in ihnen selbst ihr inneres Ende und somit das Maß ihres Gebrauches hörbar werden zu lassen. Eine Auswanderung aus der Zeit, ein Verdikt über die Möglichkeiten, die, ob wir wollen oder nicht, unsere Wirklichkeit sind, gehen nicht an. Dennoch wird, im grundsätzlichen Ja zu den sich anbietenden Mitteln und Medien, nur eine bewußt geübte Askese sie „zähmen“, menschlich „aneignen“, um an den Ausdruck Saint-Exupérys in „Der Kleine Prinz“ zu erinnern. Askese heißt jedoch nicht einfachhin Abstinenz, sondern wählender, zügelnder Umgang. Es nützt letztlich nichts, auf Rundfunk oder Fernsehen ganz zu verzichten, doch es ist unerläßlich, sie an ihren denkend bestimmten und begrenzten Ort zu weisen. Dies gilt nicht nur im privaten Bereich. Warum soll beispielshalber die Tatsache, daß irgendwo auf der Welt Schulfernsehen im Unterricht eingeführt wurde, Anlaß genug sein, es augenblicklich auch bei uns zu tun, um ja den Anschluß nicht zu verpassen? Dem persönlichen Gespräch – und auch dem Schweigen – müssen Inseln im allgemeinen Geräuschstrom gerettet werden. Bildung des Hörgewissens und der Hörgesinnung sowie Einübung ins persönliche Hören tun not.

[69] Gewiß dürfen äußere Maßnahmen nicht überschätzt werden. Sie sind, für sich allein, schwächer als die Logik des Apparates. Aber muß das Gespräch schwächer sein, in welchem das wirkliche Hören lebt und andere anspricht?

Wenn dem Gesetz unserer Zeit nicht achtlos gefolgt, sondern hörend gehorcht wird, dann kann vieles in unserer Welt seinen Stellenwert ändern und dem Hören und in ihm dem Menschsein neue Chancen geben. Die Verknüpfung aller mit allen im einen Werk und im einen Schicksal der Welt ermöglicht den hörenden Anteil an allem, was in der Welt geschieht aus innigerer Nähe, als sie jemals vordem gewährt war. Dieser hörende Anteil vermag durchaus zur Verantwortung für die zunächstgekommenen Fernsten, zur gemeinsamen Haftung und Hilfe für- und miteinander zu werden. Leichter denn je zuvor wird die selbstherrliche Verschließung in den eigenen Kreis der Kultur und des Volkstums gesprengt in ein Hören und Ernstnehmen fremder Stimmen, anderer Kulturen und Menschentümer hinein. Der einzelne, aber auch die einzelne Gruppe der Gesellschaft und das einzelne Volk lernen sich als Glieder verstehen am Ganzen, die Geringfügigkeit und die Bedeutsamkeit des eigenen Platzes treten ins Bewußtsein, und so wachsen zugleich die Bescheidung hörenden Eingehens auf das Kleine und Nächste wie die Weite gehorsamer Einfügung ins Ganze.

Daß solches geschehe, hängt freilich ab von der unerzwingbaren freien Entscheidung des Menschen. Sie aber scheint gerade gehemmt durch das Übermaß dessen, was sich hören läßt, auf der einen und durch den Mangel an Vertrauen weckenden Worten auf der anderen Seite. Das Wort, das nur nach dem Gesetz des „Ankommens“ gemacht ist und sich nicht zuerst [70] und zuinnerst in seiner Nüchternheit als gehörtes und somit glaubhaftes Wort ausweist, wird nie das Mißtrauen überwinden. Ebensowenig das Wort, das aufdringlich um Vertrauen buhlt, das überbetont persönlich das fingierte, im Apparat entzogene Du anspricht, statt ihm in der von diesem Apparat auferlegten Distanz schlicht seine Botschaft zuzutrauen.

Für Christen ist es hier indessen wichtig, den Schatz des Evangeliums hörend neu zu erwerben, dessen Grundereignis verkündet ist in dem Wort: „Wir haben geglaubt an die Liebe, die Gott zu uns hat!“ (1 Joh 4,16), und dessen Grundforderung darin besteht, das Zeugnis dieser Liebe als das Zeichen weiterzugeben, auf das die Welt hören und in dem die Welt Christus selbst hören kann. Neue Formen des Apostolates sind im Werden – es sei etwa erinnert an die verborgene, liebende Solidarität mit ihrer Umwelt, in welche die kleinen Brüder und Schwestern des Charles de Foucauld sich begeben. Es ist, vor der Verkündigung des Wortes, das seinen Kredit weithin eingebüßt hat, ein Apostolat der Tat, und diese Tat selbst wird vielleicht zuerst ein Hören sein, das sich mit der Unbedingtheit der Liebe Christi selbst dem Herzen des Bruders und der ihn ihm verschwiegenen Leere zuwendet. Wem zugehört wird, der glaubt, in diesem Zuhören angenommen zu sein. Hier wächst, unscheinbar, aber wirklich, das Vertrauen.