Wie im Himmel so auf Erden
Christliches Grundwort „wie“
Nirgendwo ist so prägnant und umfassend zugleich der Zusammenhang von Himmel und Erde uns vor Augen gestellt wie in der dritten Vaterunser-Bitte: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.“ Tasten wir uns an diesen Zusammenhang und seine Botschaft heran, so stoßen wir auf die fundamentale Bedeutung des Wortes „wie“ in der biblischen und zumal in der neutestamentlichen Botschaft.
Die Botschaft Jesu ist Botschaft von der Herrschaft Gottes, von seinem kommenden Reich. Der Aachener Katholikentag mit seinem Leitwort „Dein Reich komme“ rückte uns das vor Augen, Herrschaft Gottes, Reich Gottes bedeutet aber: Gott ist nicht jener ferne Gott, der uns sich vom Leibe hält und den wir uns vom Leibe halten könnten; nicht jener, der in seine Andersartigkeit eingehüllt nur ganz am Anfang und ganz am Ende oder durch bloß moralische Maßstäbe sich mit unserem Leben und unserer Welt in Verbindung setzt; Gott ist vielmehr jener, der sozusagen von der Spitze dieser Welt und ihrer Geschichte in die Mitte springt, der ganz unmittelbar unser Gott, Gott mit uns sein will in Jesus Christus. In dieser Bewegung des Nahekommens Gottes, in dieser unmittelbaren Bedeutsamkeit und Mächtigkeit Gottes für unsere Welt und in ihr, in dieser Zuneigung Gottes zur Welt, in welcher er ihr nicht mehr nur Herkunft, sondern auch lebendige Zukunft, ja wirksame Gegenwart wird: hier geschieht ein Durchbruch, ein Naherücken dessen, was zuvor beziehungslos in sich zustehen schien. Gott und Mensch, aber auch die Bereiche Gottes und des Menschen, Himmel und Erde, darin aber auch Mensch und Mensch, du und ich rücken in jenen Zusammenhang, in jene gegenseitige Betroffenheit und Verbundenheit, die sich zu kühnen und in ihrer Kühnheit nie eingeholten Grundaussagen Jesu verdichten.
[88] Diese Grundaussagen greifen zurück auf die Bundesbotschaft des Alten Testamentes, aber spitzen sie zugleich zu, rücken sie auf jenes neue Niveau, das in der Ansage des nahegekommenen Gottes, der nahegerückten Gottesherrschaft gewonnen ist. Wir sollen vollkommen sein wie der Vater im Himmel (vgl. Mt 5,48). Jeder soll seinen Nächsten lieben wie sich selbst (vgl. Mk 12,31.33 par.). Ja wir sollen einander lieben, wie Jesus uns geliebt hat, er, der sein Leben für uns gab (vgl. Joh 13,34). Und diese Bewegung des Wie zwischen Gott und Mensch und zwischen Mensch und Mensch, sie hat eben ihre Mitte in jenem Geheimnis, von welchem die Vaterunser-Bitte spricht, daß Gottes Wille geschehen möge wie im Himmel so auf Erden.
Nicht notwendig im Sinne eines literarischen, wohl aber im Sinne eines fundamentalen seinshaften Zusammenhanges ist hier zu erinnern an jenes erste „Wie“ der Menschheits- und Heilsgeschichte, an jenes Unheilbringende Wie der Versuchung und Sünde des ersten Menschen: „Ihr werdet wie Gott ...“ (Gen 3,5) Wie Gott werden, von sich aus die Gleichung mit Gott „schaffen“ ist in der Tat die Urversuchung des Menschen, jenes, was die Grundordnung der Schöpfung erschüttert und durcheinanderbringt, das Leben Gottes mit der Welt vom Menschen her durcheinanderwirft und so gerade die Differenz zwischen Gott und Mensch, Himmel und Erde als Spaltung und Not heraufbeschwört, welche vom Menschen her nicht zu überwinden sind. Kennzeichnend auch, wie in der Versuchungsgeschichte der Genesis mit diesem Offenbarwerden der Differenz des Menschen zu Gott und der Erde zum Himmel auch die zwischenmenschliche Differenz aufbricht, die gegenseitige Schuldzuweisung und hernach gar Bruderzwist und Brudermord. Das horizontale Gleichgewicht ruht auf dem vertikalen und umgekehrt.
Gleichwohl ist nicht eigentlich der Wunsch, zu sein wie Gott, das Zerstörerische, Gott und der Wahrheit Ungemäße, ist doch der Mensch zum Bild Gottes, zu seinem Gleichnis geschaffen. Es ist unausrottbar in den Menschen hineingelegt, auf den hin zu sein und dem Partner sein zu wollen, der den Menschen geschaffen und sich selbst in seinen Blick, in seinen Horizont, in sein Herz und Streben eingeschrieben hat. Die existentielle Lüge besteht vielmehr darin, daß der Mensch von sich aus, von seinem eigenen Mögen und Verfügen her sich des Zieles seiner Existenz bemächtigen will, daß [89] er von sich her wie Gott sein will, statt anzunehmen und ernst damit zu machen, daß er nur von Gott her ist und nur von ihm her an Gott teilhat.
Wie Gottes Reich und Herrschaft in Jesus Christus naherücken gerade durch den Kreuzesgehorsam, durch die Liebe bis zum Äußersten, durch die erweckende Tat des Vaters an seinem Sohn, der sich gehorsam für uns dahingegeben hat, so ist eben auch die Gleichung zwischen Himmel und Erde, ihr lebendiger Zusammenhang, die Offenheit des Himmels für die Erde nur zu erreichen von Gott her, durch das Leben des Menschen und die Weltgestaltung des Menschen von Gott her. Davon sprechen die „Wie-Worte“ des Evangeliums, davon spricht jene Mahnung der Bergpredigt, welche die Vollkommenheit. wie der Vater vollkommen ist, uns im Erbarmen und Gutsein erschließt; darin ruht die Gleichheit des Gebotes der Gottes- und der Nächstenliebe und Im Gebot der Nächstenliebe die Gleichheit zwischen dem anderen und mir; davon spricht das Neue Gebot, das im Einschwingen in den liebenden Todesgehorsam Jesu das Gesetz des neuen Himmels und der neuen Erde uns aufschließt.