Macht und Ohnmacht des Wortes
Christliches Sprechen von Gott
Sicherlich, auch und gerade christliches Sprechen von Gott ist davon getragen, daß Gott selbst die Initiative ergreift, ist im höchsten Sinne von der Epiphanie Gottes, von der Offenbarung Gottes erschlossen. Aber die Epiphanie, die Offenbarung Gottes in Jesus Christus ist nicht einfach ein Fall innerhalb des bislang umrissenen Feldes. Ohnmacht und Macht der Sprache geraten im Christusereignis in eine radikal neue Bedeutung und Konstellation.
Nähern wir uns dem zunächst doch einmal vom Menschen her, von dem her, was wir an der zeugnishaften Verfassung unserer eigenen Existenz abzulesen suchten. Ich bin, daß es ist, wie es ist: dies ist eine Formel für den Menschen. Ich bin. Ich bin die Tatsache, ich sage sie nicht nur, sondern bin sie. Sie kommt in mir zum Vorschein. Sie gibt in mir sich zu denken, zu sagen, sie wird in mir Gestalt, ich bringe sie zur Gestalt, lügend und verleugnend oder verfehlend oder wie auch immer, aber ich bin, daß ist es, wie es ist.
Die Dinge sind, wie sie sind, und ich bin die Stätte, an der dies aufgeht, bin derjenige, der das vollzieht, bin derjenige, der unter diesem Anspruch steht. Sicher, dies allein genügt ohne Differenzierung noch nicht, um den Menschen als Menschen zu fassen. Es ist entscheidend, daß der Mensch das Ganze ist in endlicher Gestalt, auf eine Weise, die wiedergibt, daß es ist, wie es ist, und deren Spontaneität darauf angewiesen ist, sich selbst gegeben zu sein. Ich bin, daß es ist, wie es ist, auch wenn ich nicht wäre.
[101] Nun aber begegnet mir in Jesus einer, an dessen Selbstaussage wir uns mit dem Satz herantasten dürfen: Ich bin, daß du bist, Vater! Jesus ist, daß der Vater ist. Sein Leben und sein Sterben sind dieses beständige Du-Sagen zum Vater, die radikale Zeugenschaft für den Vater. Er ist die Verherrlichung des Vaters. Im Gehorsam, der die Entäußerung nicht scheut, im Vertrauen, das auch in der Verlassenheit nicht erlischt, in der totalen Selbstübergabe Jesu kommt zum Vorschein: Ich bin, daß du, Vater, bist! Dies ist die Aussage der Existenz Jesu, und alle anderen Aussagen, wie Jesus ist, laufen auf diese eine zusammen.
Doch diese Aussage: Ich bin, daß du bist! geschieht nicht nur in der einen Richtung, von Jesus her auf den Vater zu, sondern auch vom Vater her auf Jesus zu. Der Vater ist dies: Ich bin, daß du bist! Johanneisch gesprochen: Der Sohn verherrlicht den Vater, der Vater verherrlicht den Sohn. Darin aber ist die Liebe verherrlicht, die Gott selbst ist. Schon die frühen Aussagen, etwa im 5. und 8. Kapitel des Römerbriefs, stellen es in dieser Radikalität vor Augen: Jesus gibt sich nicht nur in kenotischem Gehorsam dem Vater hin und verherrlicht ihn, sondern diese Hingabe Jesu an den Vater ist Sich-Schenken Gottes selbst! Der Vater gibt seinen einzigen, lieben Sohn, Jesus ist nicht einer, der eben an unserer Stelle unsere Last zu tragen hätte, ohne daß dies Gottes eigene Sache wäre. Nein, Gott gibt sich selbst ganz hinein in das, was mit Jesus geschieht, Gott hat in ihm seine eigene „Geschichte“.
Um es nochmals in knappen, die Zwischenglieder der fälligen Vermittlung überspringenden Formeln zusammenzufassen: Jesus ist, daß der Vater ist. Er ist es in wahrer und unverkürzter Menschlichkeit. Er ist es in der endlichen, konkreten Gestalt seines Daseins. In dieser Gestalt aber tut nicht nur ein Mensch etwas, schmilzt nicht nur ein Mensch seine eigene Existenz dazu um, lautere Stätte des Aufgangs Gottes in dieser Welt zu sein. In Jesus gibt vielmehr Gott sich selbst, seinen Sohn. Er spricht sich uns zu in dem Todesgehorsam Jesu, der zugleich die Liebe Gottes zu uns bis zum Äußersten, die Schicksalsgemeinschaft Gottes mit uns ist. Denn Gott der Vater „ist“, daß der Sohn ist, und so gibt die Hingabe, die sein Sohn vollzieht, ihn selbst an uns. Dies ist das qualitativ andere und unvergleichbare, nicht mehr komparativisch in die anderen Epiphanien und Offenbarungen Einzureihende, was von Gott her und mit Gott in Jesus Christus geschieht. Darin aber wird ein weiteres offenbar: Jesus ist nicht nur, daß der Vater ist, im Medium der Menschlichkeit, sondern er ist, daß der Vater ist, auf absolute Weise. Er ist, daß der Vater ist, dergestalt, daß der Vater nicht er wäre, wenn der Sohn nicht wäre. Jesus Christus ist nicht nur Epiphanie Gottes nach außen, sondern er ist das Wort, das im Anfang bei Gott ist und Gott selbst [102] ist, er ist das Ereignis und die Helle Gottes selbst. Die Konsonanz aber, der vollkommene Ineinsschlag des „Ich bin, daß du bist!“ vom Vater hin zum Sohn und vom Sohn hin zum Vater verlautet uns im Zeugnis des Geistes, der uns den Vater im Sohn und den Sohn im Vater offenbart und in beiden uns jene Liebe offenbart, die Gott ist und die durch ihn, den Geist, ausgegossen ist in unsere Herzen. In diesem Geist dürfen auch wir sagen: Abba, lieber Vater! und: Herr ist Jesus Christus! (vgl. Röm 8,15; 1 Kor 12,3). Auch wir dürfen von uns, durch Gnade, durch Hineinnahme in die Sohnschaft Jesu, sagen: Wir sind, daß du bist!
Spiel mit Worten? Spekulation mit einer Formel? Ich glaube, im Grunde nein. Der Zeugnischarakter unserer Existenz ist der Zugang, um das Wesen des Menschen als Verweis auf Gott, als capax Dei zu verstehen. Und der Zeugnischarakter des Lebens und Sterbens Jesu ist der Zugang, um im Zeugnis des Geistes das Zeugnis des Vaters für seinen Sohn vernehmbar werden zu lassen. Zusammenhang und Differenz des menschlichen Gotteszeugnisses und des Gotteszeugnisses Jesu können hier deutlich werden.
Schauen wir auf diesen Zusammenhang noch einmal, schauen wir dorthin, wo er uns am deutlichsten begegnet: im Gekreuzigten. Hier sagt der Sohn, wie groß der Vater ist, hier sagt der Vater, wie groß seine Liebe zu uns ist, hier wird beglaubigt: Gott ist sich verschenkende Liebe, die sich über alles Maß hinaus entäußert.
Das ist das Wort von Gott. Es ist kein anderes Wort als jenes, das sich andeutet in jenen Epiphanien, in denen wir erfahren, daß wir nicht von uns aus, sondern vom Geheimnis her, nicht in eigener Beliebigkeit, sondern in antwortender Verantwortung angegangen und in Anspruch genommen und als Zeugen erwählt sind für dieses Unbedingte, das wir als Gott nennen und feiern und preisen dürfen. Doch dieses selbe Wort ist ein neues, ein nicht nur komparativisch größeres und mächtigeres Wort in Jesus. Denn diesen Gott gibt es nun nicht nur mir gegenüber, sondern es gibt ihn in dem, was ich bin, es gibt ihn in meiner Existenz. Gott ist in dem mir nah, der ganz und gar meine Situation gelebt und meine Schuld getragen hat. In meinem Fleisch lebt einer, der ist, daß Gott ist, und mir darin diesen Gott gibt. Gott gibt sich mir in ihm auf eine neue Weise. Er ist nicht mehr nur Grund und Hintergrund der Sprache, der epiphanisch aufblitzt und sich dann wieder entzieht, sondern Gott macht sich zur Sache der Sprache. Indem ich von Jesus spreche, spreche ich von Gott. Es gibt etwas, gibt einen im Horizont menschlicher Erfahrungen und welthafter Vorgänge, einen, der für immer und für ewig zur Menschheit gehört, von dem ich sagen kann: Hier ist Gott. Ein größerer Skandal, eine größere Profanierung läßt sich nicht denken. Und gerade so kommt Gott in seiner Göttlichkeit zum Vorschein. Im [103] Verstummen des Gekreuzigten gewinnt das Wortsein Gottes seine äußerste Dimension. Es gibt ein Wort, das den ganzen Gott, den ganzen Menschen und die ganze Welt zugleich sagt. Denn in diesem Ausleiden bis in die äußerste Hingegebenheit und Preisgegebenheit ist der Mensch ausgesagt. Der Mensch mit allen Abgründen und Ohnmächten, in aller Trennung und Verlassenheit von Gott ist mitgesagt, indem an unserer Stelle, dort wo wir sind, der Sohn als das Lamm Gottes unsere Schuld trägt und ausleidet. In ihm ist die ganze Heillosigkeit der Welt aus sich selbst und die ganze Heilbarkeit und Geheiltheit der Welt in der Annahme durch Gott ausgesagt. In ihm ist die je größere Größe Gottes, die Unerschöpflichkeit und Unverfügbarkeit und Heiligkeit seines Geheimnisses und in ihm ist zugleich das Geheimnis dieses Geheimnisses, die sich bis zum äußersten verschwendende Liebe Gottes mitgesagt. Ein einziges Wort, das die Größe und Nähe Gottes, die Heillosigkeit und die Kostbarkeit der Welt, die Würde und die Ohnmacht des Menschen zugleich sagt.
In der Ohnmacht des Gekreuzigten offenbart das Wort, offenbart Gott seine äußerste Macht. Er begegnet als jener, der auch sein Gegenteil, der auch seinen äußersten Gegensatz nicht in der Attitüde einer großen dialektischen Versöhnung, sondern in der Entäußerung der Liebe in sich hineinnimmt. Hier ist der Ort, an dem endgültig von Gott gesprochen wird. Denn hier gibt der Sohn uns seinen Geist dahin (vgl. Joh 19,30), der uns die Vollmacht gibt, mit Jesus, dem Erweckten, zusammen den Vater in Freimut anzureden.
Aber dieser Gott kommt nicht sozusagen wie ein Deus ex machina in eine Welt, die ansonsten nichts mit ihm zu tun hätte, und in eine Sprache, die ihn ansonsten nicht kenne; und ebensowenig wird hier nur der sakrale Überbau über ein ohnehin mögliches menschliches Reden von Gott gestülpt. Nein, vom Gekreuzigten aus können wir den verborgenen Samen des Wortes, den logos spermatikos, überall und in allem entdecken. Denn wenn wir mit ihm, im Glauben an ihn, in der Solidarität mit ihm leben, dann werden wir entdecken und auch den anderen und vielleicht gar jenen, die nicht glauben, es behutsam zeigen können, daß in allem etwas wie Anruf und Gabe auf uns wartet. Wer in der Epiphanie des Gekreuzigten und Auferweckten lebt, der wird auch die geheimen Epiphanien in den Situationen seines Lebens und allen Lebens zur Sprache bringen können; der wird sie unterscheiden, und er wird ihren inneren Zusammenhang und ihre innere Einheit feststellen können.
Freilich nützt es wenig, solches nur in einer Art spekulativer Vermittlung zu sagen. Wir müssen es glaubwürdig machen, bezeugen, indem wir aus der Situation des Gekreuzigten Gott, die Welt und den Menschen und somit [104] unser Leben mit Gott mitleben. Mitleben, will sagen den Gehorsam des Sohnes zum Vater und seine liebende Zuwendung zu allen und allem Augenblick für Augenblick mittun.
Sein Wort, das Wort, das in letzter Konsequenz er ist, als der Gekreuzigte, gilt es zu leben, ins Werk zu setzen, Silbe um Silbe, in den Situationen unseres Daseins. Dann werden wir die Welt in seinem Licht verstehen und werden wirklich schon jetzt, wenn auch noch auf Hoffnung hin und erst im Ansatz, ahnen, verstehen und bezeugen können, daß diese Welt von ihm spricht und in ihm zu sich und zu ihm hin erlöst ist.
Es bestätigt sich, was uns schon der erste Durchgang sehen ließ: in der Entäußerung und in der Hingabe seiner selbst und unserer selbst in seinem Geist ist Gott als der, der er ist, verherrlicht und will er von uns in allem gesehen und sichtbar gemacht werden. In der Ohnmacht der Auslieferung hat das Wort die Macht des glaubwürdigen Zeugnisses.
Dieses ist gesagt, und es ist hinzugesagt, daß wir von Gott in einem Äußersten und Letzten in Dienst genommen sind. Auch wir dürfen sein, daß er ist. Dies ist sein höchster und tiefster Auftrag an uns. Und so gilt: Sei, was du sagst, und sage, was du bist!