Weite des Denkens im Glauben – Weite des Glaubens im Denken

„Dankbärlichkeit“ des Denkens*

Wenn ich das theologische und das philosophische Denken in seiner Weite und in seiner gegenseitigen Weitung des einen durch das andere bei Bernhard Welte suche, komme ich immer wieder zurück auf seine in einer Vorlesung über Meister Eckhart gegebene Erklärung der Predigt über „Intravit Jesus in quoddam castellum“, von der auch schon etwas angeklungen ist.1 Eckhart spricht dort von dem Weib, das Jesus Christus aufnimmt und ihn gebiert, in der „Dankbärlichkeit“.

Was hat Bernhard Welte an diesem Wort so fasziniert? Wir empfangen; und die Jungfräulichkeit ist als die Haltung des Geistes, die leer ist von sich selbst, zu verstehen. Aber das Leersein ist nicht das letzte Ziel, sondern die Jungfräulichkeit des Denkens, das sich nicht mit kleinlichen Gedanken einläßt und das offen ist für das Ganze, darf nicht nur in ihrer Armut verbleiben, sondern sie muß das Wort in sich aufnehmen. Sie nimmt es nur dann in sich auf, wenn sie es verdankt; und sie verdankt es nur, wenn sie in dem, der dankt, neu zum Ursprung wird. Es gilt, zugedachte Gedanken in der Lauterkeit des Herzens aufzunehmen, sie so an uns heranzulassen, daß sie uns verändern und sie sich verändern in uns; diese Gedanken sollen wir so in uns tra- [238] gen, daß sie im Selberdenken zugleich doch nichts anderes sind als demütige Antwort auf das Wort und diesem so gerade den neuen und unableitbaren Glanz verleihen.

Diese eucharistische Haltung war im Grunde Weltes Lebenshaltung. Für mich sind die beiden Eindrücke aus seinem Sterbezimmer sehr signifikant: Jeden Tag wurde die neu gemalte Rose an Frau Rosa Suiter2 mit einem geschriebenen „Danke“ und einem „B. W.“ überreicht. Er konnte nicht sprechen, nichts mehr tun, er wollte aber danken, und er hat den Dank durch das Schöne, durch das Zeichen des Schönen, die Rose, vermocht. Und als er schon im Koma lag, zeigte er immer wieder Gesten des Zelebrierens.

Dankbärlichkeit in einem umfassenden Sinn war für ihn entscheidend. Nur ein Denken, das nicht nur kritisch alles um der Wahrheit willen scheidet – das ist auch notwendig –, sondern immer auch neu sich vom Wort beschenken läßt, um es zu verdanken und so neu werden läßt, war der Denkstil von Bernhard Welte. Es kann weder in Theologie noch in Philosophie ein neues Denken geben, das nicht innerlichst von solcher Dankbarkeit geprägt wäre. Nur in ihr ist das, was über die bisherige Geschichte hinausgeht, möglich, nur, wenn es verdankt wird; nur so kann es auch bewahrt und weitergetragen werden und nicht zur bloßen geschichtslosen Jeweiligkeit verkommen.


  1. Im Vortrag von Vetter, Helmuth: Phänomen und Geschichte. Zur Entfaltung des Wahrheits-geschehens im Denken Bernhard Weltes, in: Wenzler, Ludwig (Hg.): Mut zum Denken, Mut zum Glauben, 169 und 173. ↩︎

  2. Die ihm seit 1966 den Haushalt führte. ↩︎