Orden und Jugend im Lebensraum der Kirche

Das CCEE-Symposion in Rom

Die europäischen Bischofskonferenzen haben nicht eine „Superkonferenz“, wohl aber eine Art Arbeitsgemeinschaft miteinander, die alle paar Jahre ein Symposion veranstaltet, das keine bindenden Beschlüsse für die Einzelkonferenz fällen kann. In diese Symposien werden von jeder Bischofskonferenz Mitglieder delegiert und wird jeweils Jahre vorher ein Thema gemeinsam festgelegt, das dann in Zusammenarbeit der Konferenzen vorbereitet wird. Es dient dem Erfahrungsaustausch, aber über den Erfahrungsaustausch wirkt es hinein in das Bewußtsein und in die Arbeit der einzelnen Bischofskonferenzen. Dank auch einer relativ großen Beteiligung kirchlicher Publizistik findet das Symposion eine breite Resonanz.

Einer der Protagonisten dieses Unternehmens, das ja nicht nur auf die „Neun“, sondern auf Gesamteuropa inklusive Osteuropa, ausgedehnt ist, war überdies früher Kardinal Wojtyla. Die Kollegialität der Bischöfe ist dementsprechend sozusagen eine Leitidee Johannes Paul II. Er hat auch mit uns konzelebriert und hernach ein offenes und brüderliches Gespräch mit uns geführt.

Dieses Symposion fand vom 17. bis 21. 6.1979 in Rom statt. Es waren etwa 80 Bischöfe und 30 Berater und Experten aus ganz Europa anwesend. Nur die estländischen, tschechoslowakischen und litauischen Bischöfe waren nicht vertreten. Sie wurden an der Ausreise gehindert. Der Verlauf des Symposions „Glaube und Jugend“ war wie folgt:

  1. Tag: Situation der Jugend; Relator: Erzbischof Torella Cascante.

  2. Tag: Der Glaube, die Glaubensmöglichkeit und die Glaubensinhalte und ihre Vermittlung und die Jugend; Relator war ich.

  3. Tag: Praktische Konsequenzen; Relator war der Weihbischof von Zagreb, Mijo Skvorc SJ.

Es waren also ein romanisches, ein germanisches und ein slawisches Land bei den Relationen vertreten.

Kurz etwas vom „Beiprogramm“. Hier war wichtig die Begegnung mit Roger Schutz, der als Beobachter still betend das Ganze begleitet hat. An einem Abend gab er mit zwei seiner jungen Brüder einen Bericht über die Initiativen in Taize. An einem anderen Abend sahen wir einen interessan- [28] ten Film und diskutierten mit Beteiligten und Kennern über neue Jugendbewegungen in Italien, auch Gruppen, die außerhalb der Kirche stehen, um einfach das gesellschaftliche Umfeld dessen, was heute in der Jugend, bei Studenten u. a. sich tut, zu sehen. An einem Abend stellten sich die Vertreter verschiedener junger Initiativen in Rom vor. Da war eine Gruppe von ca. 200 Leuten, die sich sozial engagieren und zugleich ein geistlich geregeltes Leben miteinander führen. Sie haben – Kardinal Benelli war Zelebrant – die Messe gestaltet, gesungen und hernach ihre Erfahrungen berichtet. Dann eine christliche Kommune, die Scouts und die Azione Catholica. Es gibt freilich noch viele andere Bewegungen in Italien. – Wir hatten ein gutes Rundgespräch. Das war das „Beiprogramm“, das jedoch der thematischen Arbeit einen vitalen Hintergrund verlieh.

Ein anderer recht fruchtbarer Programmpunkt waren die Sprechzirkel – zwei deutsche, zwei französische, zwei italienische und ein englischer Kreis. In diesen Gruppen wurde jeweils das besprochen, was am Vormittag durch den Relator dargestellt wurde. Alle Sprachzirkel wurden jedoch täglich in einer einzigen Relation zusammengefaßt fürs Plenum, so daß nicht mehr die Fülle dessen an alle weitergegeben werden konnte, was in den Zirkeln gesagt wurde. Es gab im Plenum nur noch Rückfragen von einzelnen an den Relator, die noch etliches klären konnten.

Vor allen Dingen war der Erfahrungsaustausch sehr wichtig. In unserem Sprachzirkel sollte z.B. einmal jeder der anwesenden Bischöfe und auch der Beobachter sagen, was er konkret tut, um während des Jahres Kontakt mit der Jugend zu halten. Ich war erstaunt über die Fülle der Aktivitäten und Ideen.

Nun zu den inhaltlichen Aussagen. Zunächst zur Situation: Nach der Epoche des großen Protestes leben wir in der Situation einer „sanften Generation“. Ihr Stillhalten ist freilich nicht selten von Resignation und Angst gekennzeichnet. Nur etwa 10 bis 15 Prozent – in Irland und Polen ist die Situation günstiger – leben unmittelbar mit der Kirche mit, zum Teil im Kontext neuer geistlicher Aufbrüche. Die Frage nach Jesus Christus, nach Gott, die Sinnfrage bewegt junge Menschen durchaus. Aber drei Probleme machen zu schaffen: a) Abneigung gegen die Institution Kirche; b) bloß teilweise Identifikation mit ihren Dogmen und zumal Normen; c) das Auseinanderbrechen zwischen einem zum Teil beinahe „frommen“ Mitmachen bei Meditationen, Wallfahrten, Festivals und Katholikentagen einerseits und der Lebenswelt des Alltags, dem konkreten Verhalten in wichtigen Lebensfragen andererseits. Der Einfluß der Ideologien von Umsturz und radikaler Veränderung wird geringer, dennoch wird die Sichtweise von Geschichte und Gesellschaft latent durch das marxistische Modell mitbestimmt, wenn auch ohne den Atem der Hoffnung auf ein erreichbares Paradies auf Erden und eine vollendete Gerechtigkeit für alle.

[29] Darüber, was in dieser Situation zu tun sei, gibt es verschiedene Meinungen. Die einen: Verstärkt die intensiven Kerne und laßt sie strahlen! Die anderen: Solche Kerne sind schon gut, aber wendet euch in erster Linie den Außenstehenden zu! Wobei freilich die Frage bleibt: Aber wie? Eine weitere Meinung, die sich freilich mit den anderen, zumindest mit der zweiten, vereinen läßt: Das Grundproblem sind die Normen und Formen der Kirche, die dem jungen Menschen nicht verständlich sind und sein Leben nicht treffen.

Am zweiten Tag stand also die inhaltliche Seite der Glaubensverkündigung an die Jugend im Vordergrund. Ich versuchte in meinem Referat aufzuzeigen: Es gibt Punkte in unserem Glauben, die der Jugend besondere Schwierigkeiten machen, es gibt Punkte an unserem Glauben, die die Jugend besonders anziehen. Beide Reihen berühren sich jedoch, ja gehören unlöslich zusammen. Die Aufgabe liegt darin, beide Reihen von innen miteinander zu verbinden, einen Weg aufzuzeigen, wie Glaube geht, ganzer Glaube geht. Also: nicht reduzieren, sondern Wege erschließen, sozusagen eine Theologie des Weges aufwerfen. Ich ging davon aus, daß alle großen Dogmen eigentlich Weg-Dogmen waren. Etwa die christologische Dogmenentwicklung vom Kampf gegen den Arianismus bis hin zu Chalcedon: Es kam der kirchlichen Lehre darauf an, unabdingbar daran festzuhalten, daß Gott selber ganz und gar, mit seinem Innersten, mit sich selbst, in die Geschichte mit dem Menschen eintritt; der da Mensch wird, ist nicht Gott irgendwie, sondern gleichen Wesens mit dem Vater. Aber er kommt nicht nur bis an die Pforten der Menschheit, er führt nicht nur ein Spiel auf, in dem Menschliches auch für ihn eine Rolle spielt, sondern er wird Mensch. Ganz und gar verschenkter Gott und angenommener Mensch! Weg, der vom Zentrum Gottes bis ins Zentrum des Menschseins hineinführt! Wir müssen also jedes Dogma und auch jede Norm als Weg bis zu den Menschen auslegen. Dieser Weg erreicht uns aber nur, wenn auch wir ihn betreten, wenn wir ihn zum Weg des Menschen zu Gott und zu unserem Weg miteinander und zueinander und schließlich zu unserem Weg in die Welt hinaus werden lassen. Wir müssen also immer von diesen vier Ansätzen ausgehen: dogmatischer Weg, spiritueller Weg, kommunikativer Weg, missionarischer Weg. Ich versuchte, dies anhand der großen Theologien des Mittelalters zu zeigen, daran, wie sie aus den großen Spiritualitäten stammen. Anselm, Thomas, Bonaventura sind Stichworte hierfür. Die notwendige Konsequenz für heute heißt, daß die Wiedereroberung der Spiritualität für die Dogmatik und der Dogmatik für die Spiritualität dringend fällig ist, für uns selbst, aber auch für die Glaubensverkündigung an die Jugend. Man kann an mehreren Modellen konkret aufzeigen, was das für junge Menschen heißt und wie das für junge Menschen geht. Etwa, wie ein religiöses Engagement mit einer Begeisterung für den [30] Freund und das Vorbild Jesus anfängt, wie dann die Erfahrung einsetzt, diesem Vorbild nicht gewachsen zu sein, und Ausschau gehalten wird nach dem, der nicht nur einmal zeigte und sagte, wie es geht, sondern der jetzt liebend und helfend neben mir steht, der also lebendig ist. Es ist wichtig, in ihm ganz und gar mich selber, aber auch ganz und gar den zu finden, der unendlich größer und stärker ist als ich selbst. Es kommt darauf an, daß hier wirklich mein Schicksal und meine Schuld mitgelitten und angenommen ist und daß in ihm zugleich wirkliches Leben mir geschenkt ist. Es kommt darauf an, daß ich denselben Geist empfange, aus dem er lebt, und mit und in ihm zu leben. Es kommt darauf an, Gemeinschaft zu halten mit ihm in Gemeinschaft miteinander, weil sie sein Lebensort inmitten dieser Welt jetzt ist. Es kommt freilich jetzt auch darauf an, daß ich eine Hoffnung auf ihn, auf eine Begegnung mit ihm habe, die über mein Leben und die Geschichte insgesamt hinausträgt. Die innere Dynamik des Lebens mit Jesus, des Lebens meines Weges mit ihm, ist zugleich die Dynamik der kirchlichen Christologie!

Dieser Ansatz wurde insgesamt akzeptiert. Es wurde natürlich darauf verwiesen, wie schwer es ist, den Weg konkret von einer Station bis zur anderen weiterzugehen. Garantien dafür, daß einer nicht auf dem Weg steckenbleibt, bei einer vorläufigen, verkürzten Christologie z. B., gibt es nicht. Außer eben: lebendige Gemeinschaft, die nicht nur in sich steht, sondern in der Kirche verankert und somit Umschlagplatz ist zwischen dem Leben und der Glaubenserfahrung der Kirche insgesamt und der Lebens- und Glaubenserfahrung des einzelnen. Auch das ist freilich nicht eine Garantie, aber eine entscheidende Vermittlung. Eine weitere Frage, die hier gestellt wurde: Ist der ganze Weg nicht für Jugendliche zu anspruchsvoll, zu schwer? Müssen wir nicht einen Weg suchen, den eben Jugend gehen, der Jugend zugemutet werden kann? Ich habe dem widersprochen. Ich glaube, daß im Grunde nur die Leidenschaft fürs Ganze weiterführt. Ich meine, wenn Jesus Christus der Weg ist, dann wären zwei Dinge falsch: Dem, der nur bis zum Kilometer Fünf mitkam, zu sagen, er brauche nicht weiter, er sei schon am Ziel – dem, der bis Kilometer Fünf mitkam, zu sagen, weil er noch nicht weiter sei und weil ihm das Weitergehen schwerfalle, solle er gefälligst weggehen, umkehren. Ich darf keinen um das Ziel betrügen, brauche aber die Geduld, das Erbarmen und die verstehende, mitgehende Liebe, um zu warten, zu ermutigen, weiterzuhelfen. Freilich kann ich keinem die Erkenntnis ersparen, daß Weitergehen die einzige Möglichkeit ist, wahrhaft auf dem Weg zu bleiben.

Am dritten Tag ging es um die Konsequenzen, um die konkreten pastoralen Aufgaben. Die drei Thesen, die Weihbischof Skvorc vorlegte, stießen auf Zustimmung.

<sup class="text__reference">[31]</sup> 1. These: Der erste Apostel für den Jugendlichen ist der Jugendliche. Junge Menschen müssen dazu befähigt werden, selber Gruppen zu bilden, selber einander Weggenossen zu sein, sich gegenseitig das Evangelium zu bezeugen. Bloße Betreuung der Jugend ist immer zu wenig, der Weg heißt Mit-sein, Freigabe und Befähigung zum Mittragen der Pastoral der Jugend durch die Jugend selbst.
  1. These: Gemeinschaft ist entscheidend dafür, was der junge Mensch zur Identifikation mit Christus und Kirche findet. Verbände, geistliche Gruppen und Bewegungen, Pfarreien als Gemeinschaft sind hier gefragt. Die Akzente wurden von verschiedenen verschieden gesetzt. Manche wollten sich vor allem auf die Pfarrei konzentrieren, andere vor allem auf die Verbände, andere auf kleine Gruppen. Exklusiv, so schien mir, wären alle drei Wege Engführungen. Eine Reduktion auf die offizielle Jugendarbeit, auf das, was die Pfarrei selber veranstaltet, ginge gegen die Freiheit der Christen zum Zusammenschluß. Sicher hat Gemeinde eine neue Bedeutung. Ich glaube, daß dem auch die aus freier Koalition, aus unterschiedlichen Impulsen und Zielen erwachsenen Verbände mit Rechnung tragen müssen. Sie können und dürfen Gemeinde nicht ersetzen, können und dürfen von Gemeinden aber nicht überflüssig gemacht werden. Und wiederum halte ich, gerade heute, sehr viel von religiösen, spirituellen Impulsen und glaube, es ist wichtig, daß sich aus ihnen lebendige Gruppen bilden. Nur dürfen diese nicht in sich selber steckenbleiben, dürfen sich nicht einigeln oder zur bloßen Episode werden, die nicht weiterträgt. Wichtig ist der Kontakt mit dem, was man ein „Charisma der Kirche“ nennen kann, das in einem Orden oder einer geistlichen Bewegung lebt. Mit solchen Charismen in Verbindung zu kommen, gibt der einzelnen Gruppe und Zelle meist erst den bleibenden und weitertragenden Atem. Auch Verbände sollen nicht nur Großorganisationen sein, sondern Räume werden, in denen sich lebendige Zellen bilden, die freilich durch die Kooperation miteinander im Verband wiederum über sich selbst hinauswachsen. Fixierung auf bloß eine Methode, um es noch einmal zu sagen, wäre Verengung.

    Die 3. These betraf die spezifische Aufgabe der Bischöfe. Man erhob ganz allgemein die Forderung nach personal erfahrbarer Nähe, andererseits wurde davor gewarnt, den Bischof zum alleinigen „Jugend-Stab“, zum Löser aller Probleme für den jungen Menschen, zur Identifikationsfigur schlechthin hochzustilisieren. Das kann man nicht durchhalten, das wäre – gemäß der entworfenen Dynamik des Weges, zu dem das Selbergehen gehört – auch falsch. Vielmehr muß der Bischof mit denen, die Jugendarbeit tun, mitwirken, lebendigen Kontakt mit ihnen suchen, wegweisend, notfalls auch einmal kritisch eingreifend, aber immer brüderlich. Und – ich habe das die Zachäus-Stichprobe genannt, weil Jesus nicht alle Ober- [32] zöllner in Israel besuchte, sondern eben einen zum Besuch herausgriff – es ist notwendig, auch immer wieder einmal da und dort in eine ganz konkrete Begegnung, in ein ganz konkretes Leben und Erfahren hineinzugehen. Der Bischof sollte exemplarisch verschiedene Situationen erfahren und erleben und dadurch den Menschen nahe sein.

Allgemein wurde das Verhältnis zwischen Amtskirche und Jugend als problematisch empfunden. Aber ganz auf diese Spannung können wir nicht verzichten. Solche Spannungen sind ganz gewiß nicht erst von heute. Nicht jedes Experiment hat deswegen, weil es ein Experiment ist, das Recht, so zu bleiben, wie es als Experiment versucht wurde. Wenn z. B. auch im Rahmen des Evangelischen Kirchentages da und dort die Tendenz laut wurde: Alles, was Kirche sein will, hat, indem es Kirche sein will, nicht nur Heimatrecht in der Kirche, sondern Kirche ist ganz einfach die Summe dessen, was Kirche sein will!, dann fehlt dem die Verbindlichkeit von der unverfügbaren Vorgabe des Evangeliums her. Wohl verstanden, das hat nicht der Kirchentag so gesagt, aber in einem so großen Forum wie dem Kirchentag konnte man auch dieser Meinung begegnen. Kirche sein wollen, das ist ein ernstzunehmendes, unverzichtbares Moment, aber die Rückfrage und Rückbindung an die Vorgabe des Evangeliums gehört auch dazu. Noch einmal: nicht Leute wegschicken, die beim Kilometer Fünf Halt gemacht haben, aber den Versuch machen, mit ihnen weiterzugehen und sie zum Weitergehen zu bewegen. Ja, wir dürfen auch sagen: weiterführen. Wer dies grundsätzlich nicht mehr wollte, der griffe gewiß zu kurz.

Um über das Symposion in Rom hinaus etwas zur Problematik Jugend – kirchliches Amt zu sagen: Manche Probleme sind nicht einmal so sehr jene zwischen Jugend und Amt, sondern vielmehr Probleme zwischen Theoretikern und Praktikern von Jugendarbeit und Amt, von Theoretikern und Praktikern, deren methodische oder theologische Ansätze Probleme nicht nur artikulieren, sondern auch verschärfen, manchmal sogar induzieren. Ich bin indessen, gerade im Blick auf den beispielhaften Einsatz von Jugendbischof Tenhumberg und das, was er in vielen Punkten doch erreichte, zweifellos der Überzeugung, daß im Grunde wir auf dem Weg eines Gespräches sind, das Jugend und Bischöfe miteinander weiterkommen läßt. Die Bischöfe haben keinerlei Interesse, mit Jugend, Jugendarbeit, Jugendverbänden Schluß zu machen; es geht vielmehr dahin, Spannungen auszutragen und eben den gemeinsamen Weg zu suchen. Gute Voraussetzungen sind dazu auch personell inzwischen durchaus gegeben. So viel zu diesem Punkt CCEE: Symposion.