Das christliche Credo – Maßstab für ein entwicklungspolitisches Handeln

Das christliche Credo – Maßstab für ein entwicklungspolitisches Handeln

[o p] Credo und Politik, kann man das einfach so in Verbindung bringen? Wir begegnen heute gängigerweise zwei Lösungsvorschlägen für das grundsätzliche Verhältnis von Evangelium und politischem Handeln, die beide in eine Sackgasse führen. Auf der einen Seite reißt man das „Geistliche“ und das „Weltliche“ auseinander, beruft sich auf die relative Autonomie der weltlichen Sachbereiche und verbannt das Christliche in den Bereich der bloßen Motivation, der individuellen Gesinnung des einzelnen. Das scheint der Notwendigkeit entgegenzukommen, eine Politik nicht nur für Christen und mit Christen, sondern für alle und mit allen zu machen. Dies hieße dann: „Begründe und motiviere deine Haltungen, wie immer du willst, Inhalte bestimmen sich aus den Funktionszusammenhängen und Sachzwängen allein. Was nichts mit ihnen zu tun hat, das hat auch in der Politik nichts zu suchen. Diese hat allenfalls die religiösen Freiräume für einzelne und Gemeinschaften zu schützen, inhaltlich aber durchdringen sich Evangelium und Politik in keiner Weise.“

Auf der anderen Seite, und dies immer ungestümer, treffen wir auf die entgegengesetzte Einstellung: Das Evangelium wird geradlinig als Gesellschaftskonzept verstanden, das in Szene zu setzen ist, die Forderungen etwa der Bergpredigt sind unvermittelt politische Forderungen.

Der Titel, unter dem die nachfolgenden Überlegungen stehen, könnte fürs erste wie eine Option für die letztgenannte Haltung erscheinen. Die Position, aus welcher die Überlegungen vom [2] Credo her zur Entwicklungspolitik hin jedoch vorgetragen werden, ist weit differenzierter. Sie kann hier nicht in aller Breite entfaltet werden, doch ist es nützlich, im vorhinein drei Hinweise zu geben, die ebenso mit der grundsätzlichen Einstellung zur Frage „Politik und Evangelium“ wie bereits mit dem konkreten Feld der Anwendung, dem Problem der Entwicklung zu tun haben.

Erster Hinweis: Die Fragestellung „Politik und Evangelium“ weist zurück in die fundamentalste christliche Fragestellung überhaupt, in die nach Jesus Christus. Die ersten Jahrhunderte christlicher Geschichte waren ein Ringen um die gemäße Ausformung des Bekenntnisses zu seiner Person, zum Unverwechselbaren und Einmaligen, das in ihm uns aufgeht. Gott selber komm in ihm auf uns zu, gibt sich uns in ihm – unverkürztes Menschsein begegnet uns in ihm, ist in ihm von Gott angenommen und uns zugleich erschlossen. Wie nun stehen Gottheit und Menschheit in ihm zueinander? Trennung und Vermischung, Halbierung oder Nivellierung des einen oder des anderen werden dem Geheimnis Jesu nicht gerecht. Im Konzil von Chalkedon 451 geriet es bleibend und gültig zur Formel: Göttliche und menschliche Natur sind der einen, göttlichen Person ganz und unverkürzt zu eigen, und zwar ungetrennt und unvermischt. Ungetrennt und unvermischt: dies kann als das Strukturprinzip des Christlichen überhaupt gelten. Das hat auch seine Bedeutung für die Politik und für die Fragen der Entwicklung. Abgekürzt gesagt: Aus dem Evangelium läßt sich kein politisches Programm machen; wer aber ans Evangelium glaubt, für den hat dies auch politisch Folgen, er sieht im spezifisch Menschlichen, eigenständig Menschlichen Dimensionen und Zusammenhänge, an denen [3] er auch in der Ordnung des Zusammenlebens der Menschen nicht vorbeigehen kann. Nicht um christliches „Sondergut“ allen anderen aufzuerlegen, sondern um in der Gemeinsamkeit politischen Handelns eine Sicht des Menschen einzubringen, die auch in der Perspektive des allgemein Menschlichen von hohem Belang ist.

Zweiter Hinweis: Politik geht nicht ohne ein Menschenbild. Ein solches Menschenbild steht jeweils im Hintergrund politischen Handelns, und umgekehrt hat jede Politik Konsequenzen für das Menschenbild derer, die an dieser Politik beteiligt und von ihr betroffen sind. Wer dies nicht sieht, ist blind. Dann aber kann sich ein Politiker nicht dispensieren von der Frage, welches Menschenbild er in seine Politik einbringt und welche Konsequenzen seine Politik für den Menschen und das Menschenbild in der Gesellschaft hat. Es versteht sich von selbst, daß diese Wechselwirkung zwischen Menschenbild und Politik besonders brisant ist im Blick auf die Fragen der Entwicklung, auf die Fragen des menschheitlichen Miteinander nicht nur der Milliarden einzelner, sondern auch der Vielzahl von Traditionen und Kulturen des Menschseins.

Dritter Hinweis: Politik ist zwar Politik immer für alle und mit allen, aber jene Gemeinsamkeit, die in ihr vorausgesetzt und je neu zu erreichen und zu vollbringen ist, läßt sich nicht als statisches Ergebnis begreifen. Menschen mit konkreten Überzeugungen, Notwendigkeiten und Erwartungen treten in Beziehung zueinander und haben somit Einfluß aufeinander. Auch „rein politische“ Politik führt so einen impliziten Dialog über die menschlichen Grundüberzeugungen, über die [4] Fragen nach Grund, Sinn und Ziel des Lebens. Dieser Dialog darf nicht durch politische Mittel ersetzt werden, aber Politik ist nur gute Politik, wenn sie ihre Hintergründe, Kontexte und zumal ihre Konsequenzen mit im Auge hat. Dann aber gehört es für den Politiker zu seinem politischen „Geschäft“ mit hinzu, auch diesen impliziten Dialog der Überzeugungen im Auge zu haben und als Herausforderung anzunehmen.

Durch diese Vorüberlegungen hat sich der Sinn unserer Überschrift präzisiert. Es geht nicht um die Ableitung eines politischen Konzeptes aus dem Credo, sondern um die Erhebung jener Grundzüge des Menschenbildes aus dem Credo, die für Entwicklung und Entwicklungspolitik von besonderem Belang sind. Die Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind, sollen gerade das Politische der Entwicklungspolitik und nicht nur spezifisch christliche Kontexte im Auge haben. Man könnte sagen: Der erste, vom Credo ausgehende Teil faltet das spezifisch Menschliche und seine politische Dimension in den theologischen Hinblick ein, das spezifisch Christliche und Theologische ist hingegen im zweiten, dem mehr praktischen Teil eingefaltet in die allgemein menschliche, aufs Politische hinorientierte Perspektive.