Orden und Jugend im Lebensraum der Kirche

Das „Eigene“der Jugend

a) Das Mehr, die Zukunft

Jugend ist mehr als eine Phase, die sich biologisch und entwicklungspsychologisch zwischen Kindsein und Erwachsensein einschiebt. Jugend hat eine innere Struktur, für die es maßgeblich ist: Zukunft zu haben. In Kulturen und Weltbildern, bei denen das Weitergehen des Selben im zyklischen Regenerationsprozeß selbstverständlich ist, erfolgt der Übergang von der Kinderwelt zur Erwachsenenwelt mit einem Schlag. Wo aber die Rückfrage aufbricht: Wie soll es weitergehen?, wo Zukunft als solche problematisch wird, da entwickelt sich das Phänomen Jugend. Wie soll es sein, wie soll es werden? Das Gewordene und Bestehende wird nicht nur fortgeführt, sondern gemessen an einem Maßstab, es soll und darf verändert werden. Dieser Prozeß läuft nicht ohne Spannung ab, aber in ihm spannt sich die Gesellschaft selber aus zu einem Mehr, zu einem Weiter. Der Jugend ist es jeweils eigen, die neuen Ideale zu erträumen und über das schon Wirkliche und Verwirklichte hinaus zu entwerfen. Der immer größere Gott als Bedingung des Ordenslebens – die je größere Zukunft als Bedingung für Jugend: dies steht in einer strukturellen Entsprechung zueinander.

Wo alles schon gelaufen, wo an allem doch nichts mehr zu ändern ist, da gerät Jugend in Resignation. Vielleicht gibt es äußerlich eine Auswanderung in eine Sonderwelt. Aber wenn das Getto nicht aufgebrochen wird, dann erstarrt das Jungsein, es altert in sich, ohne durchzustoßen zur Erwachsenheit.

Wir entdecken hier, von welcher anthropologischen Bedeutung Orden für die Jugend sein könnten: Eröffnung eines Mehr, einer Zukunft, die durch keine gesellschaftliche Entwicklung verbaut werden, die aber wohl menschliche und gesellschaftliche Entwicklung inspirieren können.

b) Die neue Perspektive im Jetzt

Zukunft haben heißt jetzt anders sehen und anders leben. Es heißt neue Gesichtspunkte einbringen ins Spiel. Es heißt, die erträumte und anvisierte Zukunft wollen und sie hineinholen wollen in die Gegenwart. Die Entwürfe, die nachhaltig die Geschichte des Geistes und nicht allein des Geistes [8] prägten, wurden weithin von Menschen entworfen, die noch das Pathos der Jugend in sich trugen. Man denke an die Geschichte des deutschen Idealismus. Man denke an die Ordensgründungen, an die Schar jener, die den Gründern erste Gefolgschaft leisteten. In diesem Kontext ist auch an den Grundsatz der Benediktusregel zu erinnern, daß der Abt besonders auf den jüngsten Novizen hören soll, weil Gott dem jüngeren Bruder manchmal besondere Weisheit gibt.

Der spezifische Gegenwartsbezug der Jugend scheint auf im Grundzug der Radikalität und der Ehrlichkeit. Wenn überhaupt, dann jetzt und dann ganz, dann mit Konsequenz! Ideale, die nur zukünftig einmal gelten, wären Entschuldigung, nicht aber Ziel – daher muß die Gegenwart eines jeden sich an den Idealen messen lassen, die er als die seinen ausgibt. Aus solcher Radikalität und Ehrlichkeit kommen neue Perspektiven und Gesichtspunkte ins Spiel. Der Christus praesens, der jetzt zur Nachfolge ruft und ihr jetzt neue Wege öffnet, steht am Anfang und in der Mitte der Ordensberufung – das drängende Jetzt, das es aus der Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen und zu gestalten gilt, kennzeichnet die Jugend.

Wiederum: wo die Gegenwart nichts anders ist als das „immer schon“ und „immer noch“ Gleiche und Selbe, das bloß Laufende und Funktionierende, wo die Erfahrung des Neuen, des Augenblicks nicht gelingt, gelingt der Jugend ihr Jungsein nicht. Ein Anruf an die Orden, im Leben mit dem Christus praesens der jungen Generation eine Chance von Gegenwart überhaupt zu eröffnen.

c) Mitgestalten – Innerlichkeit

Aufs erste mag es paradox erscheinen, der Jugend einen Drang zur Mitte zuzuerkennen. Wandert sie nicht, auf dem Weg in die Zukunft, rascher als die anderen und so, im Blick auf das Ganze, an dessen Rand? Sie tut es nicht, um am Rande zu sein, sondern um das Ganze zu beschleunigen, um die Mitte nach sich zu ziehen. Sie möchte nicht auf eine „Spielwiese“ am Rande abgedrängt werden, sondern verlangt nach Mitgestaltung und Heimatrecht in der Kirche, in der Gesellschaft. Bloße Jugendkirche und bloße Jugendgesellschaft anzustreben, wäre ein Zeichen der Schwäche einer Jugend, nicht ihrer Stärke. Jugend will ihre anderen Maßstäbe und Ideale einbringen ins Ganze, drängt zur Mitverantwortung.

Jugend, das heißt Aufbruch zur Mitte der Lebenswelt, um dort gestaltend anwesend zu sein. Jugend, das heißt noch mehr: Aufbruch zur Mitte des je eigenen Ich. Der Jugendliche ist betroffen von sich selbst, hineingestoßen in sich selbst, empfindet sich selbst, fragt nach dem, was den so aufbrechenden Innenraum seiner selbst zu erfüllen vermag. Es geht dem Jugendlichen darum, den Stil seines Ich, die unverwechselbare Eigenart seines [9] Selbstseins zu finden, seine Innerlichkeit zu artikulieren. Eine Weise zu sein und zu sehen, etwas wie eine „Spiritualität“ ist gesucht. Wie wird mein Inneres Gestalt? Die Lieder, die Gedichte, die Lebensformen junger Menschen erwachsen aus dem Ungestüm dieser Frage. Wiederum: Bringen die Orden die große und doch immer neue Erfahrung ihres Ursprungs ein in den Horizont dieser ihre Identität, ihre Gestalt, ihren Weg suchenden Jugend?

d) Alternative Gemeinschaft

Der Weg der Jugend zur eigenen Icherfahrung ist auch der Weg zu einer neuen Du- und Wirerfahrung. Jugend ist die Zeit, in der Freundschaften wachsen. Immer wieder entstehen aus der Jugend einer Epoche heraus neue Gemeinschaftsformen, neue Weisen, miteinander zu leben und ein Ziel zu verfolgen. Anspruch auf die Freiheit, selbst das Wer und Wie der Kommunikation zu bestimmen, geht Hand in Hand mit einer Begeisterungsfähigkeit, aber auch Verführbarkeit durch faszinierende Leitbilder und Führergestalten. Kaum etwas ist für Jugend innerlich bedrohender als Isolierung oder Verfallenheit an eine die Freiheit mißbrauchende Gemeinschaft und ihre Autorität. Nichts ist auf der anderen Seite für Jugend dringlicher als Aufbruch des Ich zum Du, als Durchbruch zu jenem Wir, in dem Innen und Außen, Intensität und Offenheit, erstrebte Zukunft und geschenkte Herkunft sich ergänzen.