Das unterscheidend Eine

Das Eine Notwendige

Daß nur Eines und nur Einer wichtig sind, ist in der Perspektive Jesu und seiner Botschaft als das erste zu sagen. Er bringt uns die Botschaft von der nahegerückten Herrschaft Gottes (Mk 1,15). Diese aber bedeutet: Gott ist nicht nur ein höchster Zielpunkt, ein tiefster Grund oder ein weitester Horizont unseres Lebens. Gott wird vielmehr unmittelbar zu uns, er läßt sich ein in unser Leben. Alles, wir selbst sind dadurch bestimmt, sind dadurch anders. Kurskorrektur, ja Umkehrung des Weges tun not. Zwei markante Worte, die aus unterschiedlichem Kontext in diese Richtung stoßen: „Aber nur eines ist notwendig“ (Lk 10,42), und: „Euch aber muß es zuerst um sein Reich und seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben“ (Mt 6,33).

Ist dies indessen so „neu“? Gewiß gibt es eine allgemein menschliche Orientierung auf das Eine zu, das dem Ganzen Sinn gibt. Und zumal im Alten Testament verbindet sich mit der Einheit und Einzigkeit Gottes die Umorientierung von der Vielfalt menschlicher Interessen und Sorgen auf den hin, von dem allein alle Geschichte abhängt und in dem sie ihre Erfüllung findet. Jesus zitiert, gefragt nach dem Gebot, welches „das erste von allen“ ist, das Wort aus Dtn 6,4f, nach dem Jahwe der einzige Herr ist, so daß ihm allein die Liebe mit allen Kräften unserer Existenz gebührt (Mk 12,29–30). Weisheit im alttestamentlichen Verständnis ist gerade die Einsicht und Kraft, alles auf diese Einheit und Alleinigkeit Gottes hin zu orientieren, in ihrem Licht alles zu sehen. Das Weilen im Haus des Herrn drückt das Eine und Einzige aus, um was es dem Frommen in Israel geht (vgl. Ps 27,4). Diese grundsätzlichen und immer geltenden Verhältnisse, die gewiß ihren Grund im Bund haben, den Jahwe mit seinem Volk schließt, werden [341] im Kommen Jesu zugespitzt, sie werden geschichtshaft aktuell; denn „die Zeit ist erfüllt“ (Mk 1,15). Was prinzipiell gilt, ist nun Geschichte und macht nun Geschichte in einem endgültigen, nie mehr zurückrufbaren Sinn. Die Zeiten laufen in ihre Zusammenfassung und Einung, in das eine Ereignis hinein, in dem Gott sich ihnen zueignet und sie in seiner eigenen Nähe, in seinem eigenen Dasein erfüllt.

Einheit hat ihren ersten und elementaren Sinn im Neuen Testament gerade darin, daß jetzt die Stunde der Herrschaft Gottes ist, daß jetzt nur noch Eines (Einer) zählt und somit das Ganze „auf den Kopf“ gestellt wird.

Die eine und einzige absolute Priorität wirft den ganzen Kosmos der menschlichen Prioritätensetzungen über den Haufen. Nur die Kleinen kommen in die Gottesherrschaft hinein (Mt 18,1–3). Wer der Erste sein will, soll der Sklave aller sein (Mk 10,44; 9,35). Viele Letzte werden Erste sein und umgekehrt (Mk 10,31).

Was ist der Grund solcher Umordnung des Ganzen? Wenn der Eine und Einzige, wenn das Einzig Notwendige mit ganzer Wucht und Endgültigkeit einbricht in die Geschichte, dann sind nicht mehr die menschlichen Leistungen und Qualitäten das strukturierende Prinzip, sondern das liebende Handeln Gottes, das sich gerade dort erweist, wo der Mensch von sich aus nichts vermag und „ist“. Die letzte und äußerste Einheit, die erreicht sein wird, wenn Gott alles in allem ist (1 Kor 15,28), eignet sich in der Ordnung des in Jesus nahekommenden Gottesreiches uns zu im Vorrang der Letzten vor den Ersten; die Null wird zur Schale der Eins.