Das unterscheidend Eine

Das Einheit Stiftende

Gott kommt, er richtet seine Herrschaft auf, er bringt sich ein als der Eine und Einzige, der alles eint. Er tut es in Jesus Christus, und gerade so tut er selbst es. In Jesus Christus wächst die neue Einheit des Menschengeschlechtes, in Jesus Christus ist alles zusammengefaßt und verbunden. Aber wie geschieht das? Wie tut Jesus das? Wie handelt Gott in Jesus? Welches ist das Einheit stiftende Handeln, Wirken, Dasein? Wir versuchen zunächst eine indirekte Annäherung. Herrschaft, Reich erfordern ungeteiltes, konsistentes Dasein, Sich-Durchsetzen eines einenden Willens. Ein in sich gespaltenes Reich kann keinen Bestand haben (Mk 3,24). Wenn Gott sein Reich, seine Herrschaft heraufführen will, dann gibt es keinen anderen Weg als das, was sich ihm widersetzt, zu überwinden (Mt 12,27–29). Und doch stoßen wir gerade an diesem Punkt in die Andersartigkeit und Neuheit der Botschaft Jesu, der inneren Logik und Dynamik der Gottesherrschaft. Diese setzt sich durch, indem der Bringer der Gottesherrschaft sich überwältigen und überwinden läßt. Nach dem Petrusbekenntnis und der Selbstoffenbarung Jesu erfolgt seine dreifache Leidensankündigung, die auf das Unverständnis, ja den Widerspruch der Jünger stößt (Mk 8,31–33; 9,30–32; 10,32–34). Der Selbstoffenbarung seiner Messiaswürde folgt die Selbstoffenbarung seiner Kenose, seiner Selbsthingabe und Selbstaufgabe: „Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (Mk 10,45). Selbsthingabe (Gal 2,20), Hingegebensein vom Vater, somit Selbsthingabe Gottes (Röm 8,32; Joh 3,16) sind der Weg, wie Gott nicht nur seine Herrschaft, sondern in ihr und als sie neue Einheit schafft. Die großen Texte über die Versöhnung durch Jesu Kreuzestod falten dies aus (beispielsweise Röm 5,6–11; 2 Kor 5,14–21). Im Hebräerbrief ist am breitesten der Schluß des endgültigen Bundes zwischen Gott und den Menschen im Kreuzestod Jesu entfaltet (vgl. Hebr 2,14–18, sowie die Kapitel 8 und 9 und 10,1–18). Das Motiv des Einens tritt ausdrücklich hervor im Epheserbrief: Jesus tötet das Entzweiende, die Feindschaft, in seinem eigenen Fleisch und verbindet die beiden Getrennten (Juden und Griechen) zu dem „einen neuen Menschen“, er fügt sie zu dem „einen Leib“ (Eph 2,11–22, besonders 14–16).

Der einende Gestus Gottes in Jesus ist jener der Hingabe, der sich bei Johannes als agape, als sich entäußernde Liebe erhellt (vgl. Joh 13 und 15 insgesamt). Gott gibt sich hinein ins Entzweiende und nimmt es in sich hinein, es durch solche Liebe ins Einende verwandelnd. So aber entspricht der Hingabe die Annahme: Menschheit wird in der Herrschaft Gottes eins, indem alle von ihm angenommen sind (vgl. hierzu besonders Röm 15,7 mit dem Kontext 15,5–13; Hebr 2,14–18). Was im Blick von Gott und von Jesus her auf die Menschen zu Hingabe und Annahme bedeuten, das hat im Verhältnis Jesu zu Gott den Charakter der kenosis, der radikalen Entäuße- [345] rung, in der Gott alles in allem ist und die so zugleich die Verherrlichung Jesu durch den Vater zur Folge hat (Phil 2,6–11). Die anfänglich bereits beobachtete „Umordnung“ des Ganzen im Einbruch der Gottesherrschaft setzt sich also auch und zumal in der Einheit stiftenden Botschaft des Kreuzestodes Jesu durch.