Franz von Baaders philosophischer Gedanke der Schöpfung

Das esoterische Sein des dreifaltigen Gottes

Der Zielpunkt des esoterischen Seins, seine es umfangende lichte Offenheit ist, in Baaders Sprache, die „Idee“. Von ihr gewinnt Baader die doppelte Aussage einer „inneren Hervorbringung oder Offenbarung in meinem Selbstbewußtsein“, die indessen – das ist der andere Aspekt – „nicht mein selbstisches Tun (factio) sein kann, weil ja letzteres mein fertiges Ich voraussetzt, dieses aber erst mittelst jener Offenbarung zu Stande kommt, und diese letztere sohin gleichfalls als mir natürlich eingeboren zu begreifen ist“1. Das „Bild“ als die Anwesenheit meiner selbst ist meinem Vollzug und entschiedenen Dasein auf Vollzug hin vorausgesetzt, und doch „entspringt“ es mir.

[103] Wie gelangt nun im Verständnis Baaders das Selbst als Ursprung zu seiner Idee, seinem Bild oder Wesen, bzw. wie ist es schon immer durch „Eingeburt“ dazu gelangt?

Baader gibt eine überraschende Erklärung: „Dieses Hervorbringen kann also nicht jenes erste unmittelbare Hervorbringen (Scheiden in genitor und genitus) sein, sondern das durch Aufheben dieses ersten unmittelbaren Hervorbringens vermittelte, der Sophia, Idea. Der Geist ist nämlich (sich und andern) unsichtig und erscheint sich und andern nur in der oder als Idea, Sophia, Gedanke (Loquere, ut videam te). Man kann auch sagen, daß das Hervorbringen als das unmittelbare Setzen des Hervorgebrachten noch kein Wissen oder Schauen desselben ist, und daß der genitor den genitus nur in dessen Rückkehr (Reflex) sieht, nämlich im Vorsetzen als Weisheit.“2

Was ist der Anlaß dieser – in den Dimensionen auf den Urgeist, in den Proportionen auf Geist überhaupt bezogenen – Sätze?

Die gängige Auffassung des Selbstbewußtseins läßt sich knapp folgendermaßen umreißen: Ich stehe als wissend (Subjekt) mir als gewußt (Objekt) entgegen, und ich, der Wissende, werde der Identität meiner als wissend mit mir als gewußt bewußt und bin so vollendet ich selbst. Als wissend bin ich dem Zugriff meines Wissens je voraus, entzogen, und als gewußt mir gleichwohl gegenwärtig. Baaders Beobachtung differenziert dieses Schema. Ich bin meiner bewußt, indem ich das Bild meiner selbst und im Bilde mich selbst vor mir habe (die Idee). Dieses Bild aber bin nicht einfach ich selbst als gewußt, es stellt mich vielmehr bereits vor als die Einheit meiner als mich wissend mit mir als von mir gewußt. Der Prozeß meiner unmittelbaren Selbsthervorbringung, meine geschehende Subjekt­ Objektivität geht im Ganzen ein in die „Objektivität“ des Bildes, und zugleich werde ich als Subjekt des Bildes in diesem Bild meiner inne als des einen Ursprungs, der in der unmitteilbaren Entzogenheit seines Ursprungseins, seiner ersten „Subjektivität“, bereits Subjekt-Objekt ist, es freilich so ist, daß die erste ursprüngliche Objektivierung mich nicht unmittelbar zu mir kommen läßt, sondern erst über das Bild, das aus ihr her in mich heimkehrt. Ich weiß mich nur, wenn ich mich als mich wissend weiß. Ich als mich wissend wäre nicht, wenn aus diesem Michwissen nicht das mich mir mitteilende Bild entspränge, das insofern nur mittelbar sein kann, als es bereits mich als mich wissend und von mir gewußt, mich als Subjekt-Objekt abbildet.

Dann aber ist meine „vor“ dem Bild aufbrechende, in ihm mir „bewußte“ Ursprünglichkeit in sich selbst, bin ich als der eine Ursprung, der ich bin, in mir selbst bereits dreifältig. Ich bin. Die Zugekehrtheit dieser Aussage zu mir selbst setzt mein eines Ich in dreifacher Stellung voraus: Ich bin der, der ist, bin mein Aufbruch eben ins „bin“. Dieses „bin“ aber enthält und ist nichts anderes als eben: mein Ich. Dieser Selbigkeit inne, sie zusammenbindend, bin ich bereits ein drittes Mal im einfältigen „Ich bin“. Ich bin [104] nicht nur als mein Bin und nicht nur als mein Ich, sondern auch als derselbe in beidem, als mein „Ich bin“. So bin ich der, der ausgeht, dessen Ausgang aber mit sich identisch, also Bleiben, und dessen Bleiben mit dem Ausgang identisch, also die Identität sich zusprechender Rückgang zu sich selber, ist. Diese drei „aktiven“ Momente, Ausgang, Bleiben, Rückgang, sind das Selbstgeschehen des Ursprungs als eines solchen; sie mindern nicht, sondern vollbringen seine Einfachheit, die nur als sich zugekehrt, als sich selbst entsprechend, sich einholend unzertrennt, wahrhaft einfach ist. Einheit ist für Baader nur denkbar, wenn sie als Mitte (hier: als die eine Ursprünglichkeit) sich in drei Kontrapunkte entfaltet und durch sie hindurch die umfangende Peripherie des Kreises bildet3.

Die umfangende Peripherie ist das „prädizierbare“ Beimirsein, das „Bild“, in dem ich bin, und dieses Bild gibt mich wieder und setzt mich voraus als seinen Ursprung: Ich, das eine und selbe Ich, gehe von mir aus (als Subjekt) und trete darin zugleich mir gegenüber (als Objekt) und sage mir nicht hernach, sondern in einem, daß ich als ausgehend und als gegenübergesetzt derselbe bin und eben wiederum derselbe bin als der, der mir die Selbigkeit zusagt. Diese Zusage gebe zwar ich, derselbe, der von sich ausgeht und sich gegenübergesetzt ist, nicht aber ich, sofern ich von mir ausgehe oder sofern ich mir gegenübergesetzt bin. Wohl bin ich als Objekt mir als Subjekt nicht stumm, sondern gebe mich, den Sprechenden, wieder, doch mich wissend weiß ich meine Einheit und Gleichzeitigkeit als Subjekt und Objekt, und so trete ich, sofern ich meine Entsprechung als Subjekt und Objekt mir zuspreche, zu meiner gebenden Subjektivität und wiedergebenden Objektivität zugleich ins Verhältnis und komme nur über diesen dritten Punkt des Verhältnisses zu mir selbst4.

Die eine Bewegung meines Ursprungseins ist „Gründen“ und „Geisten“ zugleich5, ich bin darin enthalten und entfaltet als „Ursache“, „Grund“ und ausführende, aussprechende „Energie“6. Das aus dieser Bewegung Entstehende, ihr „recipiens“7, ist das Bild, die Helle meiner selbst, in die ich anfänglich offen bin. Doch ich bin, im Entstehen des Bildes aus dem einen dreifältigen Ursprung, der ich bin, nicht bei dem entstehenden Bild, sondern bei mir. Das Bild ist kein aktives „Mal“ des Ich – konstitutiv zwar für mich selbst, denn ich weiß mich je nur im Bild meiner selbst; und ist dennoch nicht im selben Sinne ich selbst wie ich als der aktive Ursprung meines „Ich bin“. Es ist meine Wißbarkeit und Mitteilbarkeit im Unterschied zu mir als dem unmitteilbar entzogenen Ich, Baader nennt es diesem gegenüber „passiv“8, sein „Attribut“, über dem als einem „Nichtintelli- [105] genten und Nichtpersönlichen“ das Ich sich erst als solches erheben, „sich geltend machen“ kann9.

Gleichwohl ist dieses Bild nichts neben und außer mir, kein herausgesetztes Produkt, sondern nur das vermittelnde Moment meines sich in sich selbst schließenden Beimirseins, „weswegen“ – auf die göttlichen Verhältnisse übertragen – „Jacob Boehme die Idea die Jungfrau nennt, welche gegen Gott, den Ternar, willenlos und selblos ist, womit aber eben die Rückkehr, die Aufsieh- und lnsichgekehrtheit oder Immanenz des Prozesses begreiflich wird“10, des Prozesses nämlich, in welchem der Ursprung bei sich ist mittels des Bildes und doch als in sich unmitteilbar und entzogen jenseits des Bildes.

Die drei aktiven, ein viertes als rezeptiv setzenden und an diesem vierten sich in sich selbst schließenden Momente des Selbstbewußtseins liegen Baaders Ausführungen über das innergöttliche Leben allenthalben zugrunde11. Die Wiedergabe eines Textes möge hierfür genügen: „Wir haben hier drei Wirker und drei Wirkungen oder Gewirkte zu betrachten. Der Vater, als die in die erste Selbstfassung oder Grund gehende Freiheit, selber ungewirkt, agénnetos, wirkt in sich den Sohn, das Wort, als die die Enthülltheit des Vaters bedingende erste Einhüllung oder Fassung als ersten Gewirkten und zweiten Wirker, weil selber in sich als eine Kraft, in welcher der Vater sich auf einmal zusammennimmt, die Vielheit oder Allheit der Kräfte in sich wirkt, und mit oder in welchem, da diese Einhüllung oder Selbstfassung keine Einsperrung ist, der Vater den Geist wirkt als zweiten Gewirkten und dritten Wirker, weil der Geist samt Vater und Sohn die Idea oder Sophia (die Entfaltung der Kräfte) wirkt, als drittes Gewirktes und doch nicht eigentlich als vierten Wirker, weil diese Idea als Ebenbild des Ternars nicht selber wieder wirkend oder Person ist, sowie der Vater nur wirkend und nicht gewirkt ist.“12

Wenn Baader, seine Aussage schematisierend, die Idee als viertes Moment und drittes Produkt des esoterischen Lebensprozesses bezeichnet, so wird diese Idee, wie bereits gesehen, gleichwohl nicht als zum dreifaltigen Ursprung addierbar, als etwas neben ihm verstanden. Die „Dreiheit“ des aktiven Ursprungs ist selbst vielmehr – entsprechend die Eins, die Gott „ist“ – nicht gezählte, nicht „numerische“ Zahl13, sondern die Selbstentfaltung der unaussprechlichen Eins, und das darin Entfaltete, die Aussagbarkeit, in der sich der unsägliche Ursprung als unsagbar erhält, ist eben die Idee. Das Beisichsein ist das vom Beisichseienden zuerst Aussagbare; nur im lnnesein des Beisichseins ist er bei sich; Beisichsein ist nichts neben und außer dem Beisichseienden, und doch auch nicht der Beisichseiende als [106] Ursprung, sondern der ·“Umschluß“ des „dreieinfachen Aktes“, in welchem er bei sich ist[^34].

Baaders so kurz umrissener Gedanke zum esoterischen Sein Gottes blickt nicht nur auf die abbildhaften menschlichen Verhältnisse, sondern auch „unmittelbar“ aufs Geheimnis des göttlichen Gottes. Wenn anders das, was das Denken notwendig über Gott aussagt, in aller Uneigentlichkeit dennoch auf ihn weist, ja wenn er sich ihm überhaupt, und sei es nur als der „Andere“, Entzogene bekundet, so ist bereits Baaders Anlaß berührt, das am menschlichen Selbstsein Beobachtete auf Gottes absolute Ursprünglichkeit zurückzubeziehen. Ihre „Einheit“ geht in kein anderes „Bild“ der Eins ein als in das der sich gehörenden, endlich gesagt: sich dreifach in sich selbst vermittelnden Eins. Andernfalls setzte sie sich in eine „Reihe“ hinein fort oder wäre von ihr abgezogen, „gezählt“, nicht „zählend“. Und nur dann ist Gott in der Aussage „da“ und doch „über“ der Aussage, wenn etwas von „Sagbarkeit“ ihm zugehört, das ihn sagen läßt, und als den selbst nur „Sagenden“, eben den alleinigen Ursprung, vom Gesagten unterscheidet.


  1. RPh 22 I 212. ↩︎

  2. RPh 22 I 213. ↩︎

  3. Vgl. X 85 f., EG 2 VII 161; Hegel IX 414; Br XV 446 f. ↩︎

  4. Der Nichtbeachtung dieses aktiv dritten Males des einen Ursprungs in sich selbst macht Baader den Vorwurf, einen zweieinigen an die Stelle des dreieinigen Gottes zu setzen: III 338; EG 3 VII 161; Hegel IX 413 f.; Geist X 14 Anm.; X 85; vgl. ferner JB 11 III 420; MM 3 XIII 172; Br XV 446. ↩︎

  5. Vgl. FC 4,16 II 304; SpD 1,15 VIII 131. ↩︎

  6. Vgl. Br XV 635. ↩︎

  7. SpD 1,7 VIII 68. ↩︎

  8. Vgl. besonders FC 5,30 II 362. ↩︎

  9. Anth IV 236 Anm. 2 zu 235. ↩︎

  10. MM 7 XIII 190; vgl. II 530 f. ↩︎

  11. Die Schrift „über den Urternar“ (1816) = „über die Vierzahl des Lebens“ (1818), VII 29–38, gibt die den späteren Schriften gemeinsamen Gedanken noch nicht in gleich differenzierter Weise wieder. ↩︎

  12. MM 7 XIII 190; vgl, FC 4,16 II 303 ff.; II 530 f.; SpD 4,3 IX 29; SpD 4,5 IX 34 f. Anm.; Gnadenw 3 XIII 64 f.; Br XV 446 f. ↩︎

  13. Siehe IV 314. ↩︎