Spiritualität und Gemeinschaft
Das Ja zur Endlichkeit der Kirche*
Das Gesetz des Samenkorns gilt nicht nur für den persönlichen Durchbruch des einzelnen zu der Spiritualität und der Gemeinschaft, die ihm erfülltes Menschsein und Christsein gewährleisten. Das Kreuz ist auch der Schlüs- [88] sel für das Verständnis der Geschichte von Spiritualität und Gemeinschaft innerhalb der Geschichte des Christentums und der Kirche. Die Gestalten, denen wir die großen spirituellen Aufbrüche verdanken, haben immer die Bereitschaft gewagt, ihr Eigenes zu verschenken und zu verlieren. Sie haben sich keineswegs der Kirche, so wie sie war, billig angepaßt. Aber ihr Auszug aus dem Gewohnten, ihr Mut, alternative Modelle aufzurichten, waren alles eher als ein Nein zur „Institution Kirche“ oder Gleichgültigkeit, die Kirche Kirche und Bischöfe Bischöfe und Papst Papst sein ließ. Wenn sie mutig und unbeirrbar das Eigene vorbrachten, so taten sie es stets in der grenzenlosen, unbedingten Bereitschaft zur Auslieferung. Wenn sie die Gabe des Geistes ins Spiel der Geschichte brachten – unversehens und ohne äußeren Auftrag, einfach vom Geist gerufen –, dann in dem Wissen, daß nicht ihnen das letzte Urteil zustand, ob ihre Gabe wahrhaft Gabe des Geistes sei. Genau das ist das Kennzeichen der Echtheit; denn hierin erweist sich, daß jener, der die Gabe mit der Leidenschaft seines Herzens in Händen hält und anderen weiterreicht, mehr den Geist selbst als dessen Gabe liebt. Nur wer den Geist mehr liebt als seine Gabe, kann in seiner Gabe wahrhaft den Geist weiterschenken.
Das muß freilich gesagt werden mit Furcht und Zittern. Mit Furcht und Zittern deshalb, weil jene, die in der Kirche bestellt sind, die Geister zu prüfen, den Geist selbst aber zu fördern und nicht auszulöschen, ihre Gabe und ihre Aufgabe nicht in unkritischer Selbstsicherheit und teilnahmsloser Neutralität verwalten können. Auch sie müssen sich demütig unter den Geist beugen, der sie oft genug anrührt gerade in den unbequemen und ungewohnten Aufbrüchen, die sie keineswegs eingeplant und vorausgesehen hatten. Auch und gerade die Gabe des [89] Geistes im Amt verlangt in aller unaufgebbaren Treue zu Auftrag und Verheißung des Herrn die Bereitschaft zum Verlieren und Verschenken.
Wichtiger als heute dürfte das kaum einmal in der Kirchengeschichte gewesen sein. Freischwebende Spiritualität, ungebundene Charismatik, die abfällig die Kirche, die „Institution Kirche“ unter das Wort subsumiert „Laßt die Toten ihre Toten begraben!“, ist genauso verwerflich und unfruchtbar wie das Gegenstück: das Uhrwerk der Institution, das sich nur selbst immer neu aufzieht, dabei aber an der Zeit vorbeiläuft, die an der Uhr lesbar und meßbar werden sollte.