Spiritualität und Gemeinschaft
Das Ja zur Endlichkeit konkreter spiritueller Gemeinschaft*
Noch ein anderes Kreuz der Endlichkeit gehört wesenhaft zum konkreten Verhältnis von Spiritualität und Gemeinschaft hinzu. Im Allgemeinen und Grundsätzlichen wird man unserer Feststellung kaum widersprechen: Spiritualität und Gemeinschaft fordern sich gegenseitig; Spiritualität und Gemeinschaft müssen konkret werden, um wirklich zu sein; solche Konkretion bedeutet Endlichkeit, bedeutet Schmerz. Es wäre indessen fatal, sich in eine richtige Theorie über Spiritualität und Gemeinschaft einzusperren. Fatal auch, theoretisch bloß anzuerkennen, daß Spiritualität und Gemeinschaft meinen ersten Schritt verlangen, um sich als Weg zu erschließen, dabei aber beruhigt auf seiner Position sitzen zu bleiben, in behäbiger oder kluger Äquidistanz zu den Spiritualitäten und Gemeinschaften zu verharren. Sicherlich, niemand kann auferlegt werden, er müsse sich einer bestimmten Spiritualität und Gemeinschaft verschreiben. Es läßt sich nicht einmal im vorhinein für jedermann ausmachen, ob unter den konkreten Modellen und Angeboten von Spiritualitäten und Gemeinschaften eine ist, die gerade seiner Berufung entspricht.
Aber dennoch darf an ein Beispiel | Hegels | erinnert werden. [90] Er erzählt von dem Mann, welcher Obst kaufen wollte, aber eben nur Obst, keine Äpfel, keine Birnen, nichts dergleichen, seine Tasche blieb leer. Uns über den Geist informieren, uns als Schlachtenbummler auf dem Feld der Spiritualitäten und Charismen herumtreiben, überall bewundern, was es an interessanten und bedenkenswerten Impulsen und Aufbrüchen gibt – das kann der sublimste Selbstschutz gegenüber jener Entscheidung sein, die mein Leben, mein Christsein erst verbindlich und fruchtbar werden ließe.
Wir müssen uns diese Spannung deutlich vor Augen stellen: Spiritualität an sich, Gemeinschaft an sich gibt es nicht; aber die wirkliche Spiritualität und die wirkliche Gemeinschaft sind je kleiner, je enger als das, was an sich und auf jeden Fall richtig und wesentlich ist. Jede konkrete Gestalt muß sich zwar am Wesentlichen messen und es in sich verkörpern; sie ist aber nur konkret, wenn sie mehr enthält als das, was unabdingbar notwendig und wesentlich ist. Dieses Mehr, dieses Zufällige, Zusätzliche, Geschichtliche, Zeitbedingte muß in Kauf genommen werden, damit das Wesentliche und Unwandelbare nicht in einem unwirklichen und fernen Ideenhimmel hängenbleiben. Das Mehr solcher Konkretionen ist aber immer zugleich ein Weniger. Jede konkrete Spiritualität und Gemeinschaft sind Zuspitzung, Verdeutlichung, Inkarnation des Evangeliums; sie sind aber auch Perspektive, die anderes hinter dem einen, das ins Licht tritt, notwendigerweise zurücktreten läßt. Zwar ist die Seite der Aufsicht nicht das Ganze; aber in ihr läßt sich das Ganze sehen, auch wenn es sich als Hintergrund dieser einen Seite nur indirekt bezeugt. So sehr etwa ein Franz von Assisi oder ein Ignatius von Loyola das ganze und reine Evangelium und nichts anderes wollten, sie steigern das Evangelium durch die Intensivierung einer Farbe, [91] lassen dabei aber andere Farben des Evangeliums nicht in der gleichen Weise leuchten.
Wer also grundsätzlich Angst hat vor der Einseitigkeit einer einzelnen Spiritualität und Gemeinschaft, der manövriert sich leicht ins Niemandsland der abstrakten Möglichkeiten. Er droht den lebendigen Austausch an den konkreten Ruf des Gottes zu verpassen, der sich in Jesus Christus und seiner Kirche die Hände schmutzig machte mit dem Staub unserer endlichen, menschlichen Geschichte. Nochmals: Im vorhinein kann von niemand gefordert werden, sich einer bestimmten kirchlichen Spiritualität und Gemeinschaft anzuschließen; aber die Frage sollte sich keiner so schnell ersparen: An welchem Platz will mich der Herr konkret haben? Vielleicht könnte sein Ruf an mich reichen Jüngling lauten: Verkaufe deine universelle Sicht und deine Vorbehalte und dein Mehr-Wissen und Mehr-Sehen und gib dich auf einem bestimmten, begrenzten Weg ins Abenteuer meiner Nachfolge hinein!
Wir müssen freilich noch einen Blick in die genau entgegengesetzte Richtung werfen. Es gilt nämlich nicht nur: In einer kleinen, bestimmten, „verengten“ Spiritualität und Gemeinschaft ereilt uns der Atem des Geistes in der Geschichte, erneuert sich die umfassende Gemeinschaft der Kirche. Es gilt ebenso: Der Geist schließt sich in keine seiner Gaben ein. Jede Spiritualität und jede Gemeinschaft bedürfen daher des Aufbrechens ins Ganze, der Bereitschaft, sich ins Ganze einzubringen, sich am Ganzen zu messen, fürs Ganze dazusein. Kirche muß in einzelnen und in Gemeinschaften konkret werden; und diese müssen Kirche werden, katholische, umfassende Kirche. Nur in solchem doppelten Verschenken sind wir im Lebensrhythmus Gottes. In den Aufbrüchen der Stunde will die Kirche selbst neu und nahe und le- [92] bendig werden für uns und für die Menschen unserer Epoche – auf den konkreten, schmalen, begrenzten Wegen des Geistes aber müssen wir uns und unsere Zeit mitnehmen in die solidarische Weggemeinschaft des gesamten pilgernden Gottesvolkes, der universalen Kirche.