Der Mensch als Thema der Kirche und der Kunst
Das Sich-Retten in seinem Anderen*
Ehe wir diese Frage einlösen, müssen wir aber noch einen Schritt weiter gehen und noch einmal bei Gott bleiben. Wir haben es schon gesehen, daß Gott in Not kommen kann und in Not gekommen ist mit diesen Menschen, und erst da entdecken wir, was der Mensch ihm wirklich wert ist, und wer der Mensch für ihn ist, wie der Mensch sein Thema ist. Der Mensch ist Gott davongelaufen; der Mensch hat sich an sich genommen; der Mensch hat sich aufgerichtet in sich selber zu einer gesteigerten, aber verkrampften Schönheit seiner selbst bis zu einem Zusammenbruch ins Elend und in die Leere in merkwürdigem Wechsel. Gott aber wollte sich retten in seinem Anderen; er hat das Bild, das er dem Menschen von sich aufgeprägt hat, nicht allein gelassen; er wollte dieses Bild retten. Er ist eine Schicksalsgemeinschaft eingegangen mit seinem Kunstwerk und hat die äußerste Ars aeterna et temporalis angestiftet; er hat die unverlorene und unverlierbare Kunst, die er selber ist, nämlich seinen eigenen Sohn hineingestoßen und hineingesandt in das verlorene Kunstwerk des Menschen, so daß das verlorene und zerbrochene Kunstwerk Mensch die Existenzform der unverlierbaren ewigen Kunst Gottes, des Sohnes Gottes wurde; so daß Gott selber sich hineingab in unser Menschsein im Desaster und im Bruch mit Gott.
Und ich glaube, wir unterbieten den Ernst der Kunst, wenn wir nicht auch dies sehen und ernst nehmen, daß es dem Künstler in seinem Kunstwerk letztlich so ergeht, daß ihm seine Kunst nie gleichgültig sein kann. Er rettet sich selber, indem er sich ganz verausgabt und hineingibt in sein Kunstwerk und es in sich selber rettet. Wenn das so ist, dann können wir etwas aussagen über den Menschen als Thema des Künstlers und der Kirche. Der Mensch ist Kunstwerk von Gott her, und er ist dadurch zuhöchst Kunstwerk, da er selber Künstler sein kann. Der Mensch ist nur dann gerettet, wenn seine grundsätzliche elementare Potenz, Künstler zu sein, gewahrt wird. Das ist Humanismus, den Menschen als potentiellen Künstler zu retten, als jenen, der wirklich sich in seinem Anderen sucht und sich seinem Anderen einprägt und dieses Andere so gestaltet, daß er sich darin wiederfinden kann. Wer bloß in die Funktion hineingebannt ist; wer bloß in den Ablauf hineingebannt ist; wer bloß noch funktionieren kann, dem ist sein Menschsein vorenthalten. Allerdings gehört es auch zum Menschen, daß er sich selber in seiner Freiheit vorgegeben ist. Er entwirft und vollbringt sich – aber sein Dasein und seine Freiheit selbst sind ihm nicht verfügbar, nicht einfach in seiner Hand vom Nullpunkt aus, nicht beliebig, sondern eben vorgegeben und aufgegeben.
Dann aber ist der Künstler von seinem Wesen her gerufen, den Maßstab des Menschen sichtbar zu machen, zum Leuchten zu bringen und die Kirche ist gerufen, einzutreten für den Menschen als Kunstwerk Gottes, über das nicht verfügt werden kann.
Der Künstler muß darauf achten, daß die Kunst im bezeichneten Sinne menschlich sei; und damit dient sie dem Menschen, auch dort, wo sie nicht ausdrücklich menschliche Szenen gestaltet oder ein menschliches Antlitz spiegelt. Und die Kirche muß darauf achten, daß sie diese Menschenrechte achtet. Aber es wäre zu schön um wahr zu sein, wenn wir hier Schluß machen könnten. Es ist nicht leicht zwischen Kirche und Kunst; und ich glaube, auch dann, wenn die [9] Künstler frömmer würden und die Bischöfe kunstbeflissener, wird es nicht von allein schön. Das gegenseitige Verstehen wäre sehr wünschenswert; aber das ist kein Allheilmittel. Es gibt eine eingestiftete Spannung und Unruhe, die Dramatik zwischen Kirche und Kunst schafft. Denn es ergibt verschiedene Akzente, wenn dieselbe Wahrheit im Künstler und in der Kirche lebt.