Der Mensch als Thema der Kirche und der Kunst
Das Sich-Suchen des Künstlers in seinem Anderen*
Wir spüren, daß zwar diese Wirklichkeit ganz anders ist, als wie wir sie in derlei Worten fassen, daß wir aber gleichwohl sie so sagen müssen, daß wir in diesem Anderen doch das Eigene Gottes sagen, daß wir in diesem Bild und Gleichnis und in dieser Verfremdung doch ihm nahekommen. Es ist eine Art von Kunst, daß wir so reden müssen. Und ohne Kunst, dergestalt, daß wir Gottes Eigenes im Anderen sagen und sein Anderes ihm zueignen, können wir gar nicht sprechen. So von ihm müssen wir sprechen, daß wir selbständig sprechen, menschliche Worte, gefährliche Worte, endliche Worte, und sie trotzdem ihm zumuten. Wir können nicht anders von ihm sprechen. Es gab ein schönes Buch vom jungen Bonaventura: „Reductio artium in theologiam“ – Rückführung der Künste auf die Theologie. Ich weiß, daß da „artes“ nicht nur die bildenden Künste bedeutet, aber es meint auch sie. Man müßte ein Gegenbuch schreiben: „Reductio theologiae ad artem“, vielleicht muß man sagen, daß auch Theologie eine Kunst ist. Die Weise, von Gott überhaupt zu reden, hat etwas mit Kunst zu tun. Denn was wir eben ausgesagt haben von Gottes Wollen und Gottes Wirken, spricht auch von dem, was Kunst ist. Auf die Frage, warum Gott den Menschen will, können wir nicht anders, als das menschliche Verstehensmodell „Kunst“ bemühen. So hat es schon der zweite Schöpfungsbericht getan, wo es heißt, daß Gott den Mensch bildet aus dem Staub und ihm den Odem in die Nase bläst. Und so hat es sublimer auch der erste Schöpfungsbericht getan, die Priesterschrift, indem sie jenen ganzen Rhythmus des Wachsens und Werdens der Welt in das Sieben-Tage-Werk eingliederte und dann am Ende den Menschen heraus springen ließ als die Synthese des Ganzen, als das Weltbild Gottes und das Gottesbild in der Welt. Gott hat es selber so in seiner Offenbarung uns gesagt, daß der Mensch sein Kunstwerk ist.
[7] Die Künste, wie verschieden sie sein mögen, haben doch eine gemeinsame Struktur. Und ich meine, daß wir jenseits des Streites um Expressivität und Formalität und ihre Synthese auch von der Kunst sagen können: Der Künstler sucht sich in seinem Anderen. Vielleicht sagt er spontan: Nein, das tue ich gar nicht, ich „mache“ einfach etwas, ich suche mich gar nicht, und wenn etwas Schönes dabei herauskommt, dann freut es mich. Aber irgendwie blickt ihn sein Werk an und sagt zu ihm: „Es ist gut, du hast es gut gemacht“. Der Künstler sucht also doch, und zwar nicht im Sinne eines Egoismus, einer Egozentrik, sondern im Sinne einer Offenheit zu sich, eines Ernstnehmens seiner selbst, sich selbst? Er tut etwas, damit dieses Werk seine Handschrift trage, sein Gesicht spiegle, sein Stil präge, seiner Idee entspreche, damit man sagt, das ist ein „Cezanne“ oder ein „van Gogh“. Der Mensch sucht sich in seinem Anderen und daraus wächst Kunst. Der Mensch steigert Anderes, spielt mit Anderem, ringt mit Anderem, gestaltet Anderes: den Klang der Worte, die Realität des Lehms und des Steins, die Farbe und die Leinwand, die Linien und die Formen und die Zahlen und den Schrott, was immer er verwendet. Er nimmt Anderes, vielleicht extrem Anderes, aber so, daß dieses Andere sich steigert, bis es irgendwo „du“ sagt.
Jedes Kunstwerk ist ein Stück Welt. Auch dann, wenn es irgendwo sich ganz bewußt in den Gebrauch in den gesellschaftlichen Kontext hineingibt, in sich selber ist es Konzentration und Verdichtung, in sich selber sagt es: „Ecce!“, „Schau mich an!“. Indem ich es anschaue, schaue ich etwas an, was mich angeht. Und wenn es mich vielleicht provokatorisch leer läßt, weil ich sage: „Ja und, ist das alles?“, dann ruft mich das Werk eben in seine Offenheit hinein. Wie auch immer, ein Kunstwerk spiegelt ein Ganzes, ein Stück Welt. Die Welt sieht jeweils anders aus, ob ich sie durch Mozart oder Brahms, durch van Gogh oder Cezannes betrachte. Und auch im Design, auch in den Gebrauchsgegenständen, auch im Kelch und im Knauf, in der Tür und im Haus bauen wir Welt.
Und zum anderen, und das ist gerade entscheidend, geschieht im Ansatz auch das im Kunstwerk, was das Kühnste und Fremdeste ist bei der Erschaffung des Menschen durch Gott. Es geschieht auch, daß hier ein Kunstwerk „ich“ sagt dem Künstler gegenüber. Natürlich ist diese Symphonie ein „Beethoven“, natürlich ist dieses Bild ein „Cezanne“, sie nennen ihren Schöpfer. Aber wir erleben immer wieder, daß unsere Werke eine merkwürdige Eigendynamik annehmen, daß sie uns bedrohen, daß sie uns anfallen, daß sie uns auffressen, daß sie uns nervös machen, daß sie uns faszinieren, daß sie ein Schicksal entwickeln und ein Eigenleben.
Sicher, der Künstler hat ein tieferes Schicksal als sein Kunstwerk, aber er hat es nicht so, daß er etwas macht nur mit diesem Kunstwerk, sondern so, daß dieses Kunstwerk etwas macht mit ihm. Es hat so etwas von der Freiheit des Menschen; es hat sein Eigenleben, und es tritt von sich aus in Beziehung; es spricht mit Menschen, mit denen der Künstler nie spricht; es trifft in Welten, in die der Künstler nie hineinstößt. Auch das, was Gott widerfährt mit dem Menschen, der „ich“ sagt und „du“ und sich an sich nimmt, widerfährt dem Künstler mit seinem Werk. Kunst ist das Sich-selber־im-Anderen-gestalten, das Andere emporsteigern, im Teil das Ganze gestalten, einen Teil als Ganzes gestalten, etwas schaffen, was ganz ich bin und zugleich darum ganz anders als ich selbst und etwas, was von sich aus Geschichte macht und [8] Welt stiftet. So können wir das Kunstwerk von seiner genetischen Kraft her beschreiben. Was aber hat das mit unserem Thema zu tun? Was sagt das über das Verhältnis der Kirche und des Künstlers zum Menschen?