Vorspiel zur Theologie
Das Spiel und die Spiele
a) Rückblick auf die Spiele
Interesse, Dasein und Sprache haben wir von innen, in ihrem je eigenen Gang zu sehen versucht. Wie von selbst hat sich hierbei ein Zusammenklang ergeben. Die Struktur des Spiels, auf die wir vorab aufmerksam wurden, wiederholt, variiert sich in diesen Grundspielen. Überall sind es unterschiedliche Ursprünge, die das eine Geschehen erbringen und so einander gegenseitig ins Spiel bringen. Immer ist es ein einziges Geschehen, das aus den unterschiedlichen Ursprüngen wächst – aber die Identität dieses Geschehens ist bewegte Identität, Identität der Spannung, der Überraschung, der Steigerung. Wir können also sagen: Dasselbe Spiel ist in jedem Spiel.
Spiel ist aber nicht nur die verbindende Formel, welche die drei Grundspiele vergleichbar macht, sie in eine [66] gemeinsame „Kategorie“ einordnen läßt. Auch untereinander gehören die drei Grundspiele zusammen. Nur weil im Interesse die eröffnende, anziehende Macht des Guten waltet, geht das Spiel los. Nur weil das Dasein der Einsatz des Spiels ist, steht etwas auf dem Spiel, lohnt sich das Spiel. Nur weil im Spiel alles, was mitspielt, licht wird, zur Sprache kommt, übereinkommt, geschieht das Spiel. Kein Spiel ist ohne das andere Spiel.
Die drei Spiele sind indessen nicht Teilspiele, die zusammengesetzt werden müßten, damit das eine Spiel geschieht. Aufeinander angewiesen, spielen sie ineinander. Interesse ist nur Interesse, weil es mein Dasein in Gang bringt und weil in ihm das Interessierende und ich selber hell werden, zur Sprache kommen. Dasein ist nur Dasein, weil es ihm um etwas geht, es also interessiert ist, und weil es aufgeht, es also zur Sprache kommt und zur Sprache bringt. Sprache ist nur Sprache, weil sie ein Worumwillen hat, weil sie daran interessiert ist, mitzuteilen, weiterzugeben, und ebenso ist Sprache nur Sprache, weil sie zur Sprache bringt, wer ich bin, wer du bist, was ist. Jedes Spiel spielt im anderen Spiel.
So aber kommen wir zum scheinbar gegenteiligen Satz des Anfangs. Nicht nur gilt: Alle Spiele sind ein Spiel, dasselbe Spiel ist in jedem Spiel, sondern es gilt auch: Jedes Spiel ist ein anderes Spiel.
Stellen wir uns diese Andersartigkeit nochmals vor Augen. Im Interesse ist die Zukunft führend. Im Interesse kommt etwas auf mich zu und kann ich deshalb auf etwas zugehen. Vergangenheit versinkt nur deshalb nicht ins belanglose Gewesen, weil sie weitergeht, interessiert an dem, hinorientiert auf das, was kommt, was es lohnt, daß es weitergeht. Und Gegenwart hat nur ihre Lebendigkeit, ihre Ursprünglichkeit, weil es auf sie, in [67] ihr auf mich und alles ankommt, weil sie, interessiert, Bereitung der Zukunft und Verantwortung vor der Zukunft ist. Die drei Zeitdimensionen kommen im Interesse also von der Zukunft, vom Ziel her ins Spiel.
Im Dasein ist die Herkunft führend. Dasein heißt ausgehen von sich, Ursprung sein, Herkunft sein. Was ich bin und was ich tue, kommt von mir her. Aber daß es von mir herkommt, ist mir schon überkommen, mein eigenes Sein ist mein Herkommen, und nur aus diesem Herkommen bin ich dazu eingesetzt, selber Ursprung zu sein. Und daß ich noch bin und daß ich mit anderen bin, auch dies hat sein Herkommen: es kommt mir zu von der Zukunft, kommt mir zu von den anderen und dem anderen, mit denen ich bin. Gegenwart, Herkunft und Zukunft enthüllen sich so im Dasein als die Macht meiner Herkunft im ganzen. Mein Sein und alles Sein ist Teilhabe an der Herkunftsmacht, an der Ursprungsmacht des Seins.
In der Sprache ist die Gegenwart führend. Gegenwart freilich eröffnet sich als Übereinkunft. Nur wenn zugleich – und dieses Zugleich, die Übereinkunft ist das Schlüsselwort – sich mir etwas zeigt und ich etwas gewahre, finde ich das Wort. Nur wenn zugleich ich das Hören, den Horizont der Antwort im Ohr habe und mich selbst in diesen Horizont hineinspreche, gelingen Sprechen und Verstehen. Nur wenn zugleich die Sache spricht, die Sprache spricht und ich spreche, tritt überhaupt etwas ins Licht, eröffnet alles seinen Zusammenhang, waltet Wahrheit. Nur wenn zugleich ich mich gebe und das Gesagte sich gibt und das Verstehen sich gibt, wird alles es selbst und enthüllt Wahrheit ihre Tiefe: Sich-Geben. Das Zugleich der Wahrheit ist Zugleich von Herkunft und Zukunft. Immer breche ich auf, bricht die [68] Sache auf, bricht der Hörende, Antwortende auf: dreifache Herkunft des Wortes. Immer ist dem Wort die zu sagende Sache, der verstehende Partner, der, dem Antwort zu geben ist, Zukunft. Herkunft und Zukunft aber geben einander, indem sie das eine geben: das Wort.
Sich-Geben ist jedoch nicht nur die Wahrheit der Sprache, die Wahrheit der Wahrheit, es ist auch die Wahrheit des Interesses: Das Gute muß sich geben, und ich muß mich ihm geben. Sich-Geben ist ebenso die Wahrheit des Daseins: Ursprünglichkeit, Macht der Herkunft heißt Sich-Geben; nur was sich über sich hinaus gibt, ist und läßt sein.
Der Unterschied der drei Spiele schlägt so wiederum zurück in die Einheit: Sie alle sind Sich-Geben, ihrer aller Wahrheit ist Sich-Geben. Darin sind sie erfüllt, darin ist ihr unmittelbarer Anschein umgekehrt. Die Vollendung des Interesses und sein heimlicher Grund sind nicht Haben- und Sein-Wollen, sondern interesseloses Sich-Lassen, Geben-Wollen. Die Vollendung des Daseins und sein heimlicher Grund sind nicht Macht als Sich-Durchsetzen, sondern Macht als Freigabe, die sein läßt. Die Vollendung und der heimliche Grund der Sprache sind nicht Darstellung, sondern Darreichung, Mitteilung.
b) Einblick in das Spiel
Hat unser Rückblick nicht ein doppeltes, man möchte beinahe sagen, ein zwiespältiges Ergebnis? Es fing an mit der Einheit, mit der Identität aller Spiele in ihrer einen Spielstruktur. Es endete – durch die Unterscheidung der einzelnen Spiele hindurch – in einer augenscheinlich ganz anderen Einheit, in der Einheit des Sich-Gebens.
[69] Spielstruktur ist in sich selbst genügsam, schließt sich in sich selbst. Fishing is fishing. Der Rahmen, der die innere Dramatik des Spiels umspannt, um das, was herauswächst aus der Dramatik zwischen den vielen Ursprüngen, ist das eine, alles in sich aufhebende Spiel. Die Figur solchen Spiels wurde in unserem Durchgang durch die einzelnen Grundspiele nicht nur bestätigt, bereichert in der Variation, sondern erweitert: sie wird offenbar als die Verhältnisbestimmung der drei Grundspiele zueinander. Diese enthüllten sich als ein einziges Spiel, in welchem sie die Ursprünge, die Pole sind, die jeweils das ganze Spiel und seine ganze Zeit aus sich erspielen.
Setzen wir gegen dieses Schwingen in sich, gegen diese bewegte Einheit, in welcher Steigerung, Überraschung, Mehrursprünglichkeit eben doch umschlungen sind von der Harmonie und gerade sie zum Klingen bringen, die Kontur des Sich-Gebens. Hier liegt der Akzent anders. Die Einheit des Ursprungs, daß er sich gehört und daß ihm etwas gehört, wird aufgebrochen. Ursprung entzweit sich in Ursprung und Gestalt, in Gebenden und Gabe. Gestalt, Gabe ist Auslieferung, wenn man so will: Gefährdung des Ursprungs, Preisgabe an andere. Gewiß geht es auch im Sich-Geben um Einheit. Der andere soll ja haben, was ich habe, er selber soll sein aus dem, was ich bin. Aber nicht die Einheit, die alle Vielheit und alle Bewegung in die Harmonie zusammenbindet, steht im Brennpunkt des Sich-Gebens, sondern zunächst der Preis, den sie kostet, die Brechung, durch welche erst Einung geschieht.
Und doch gilt auch vom Spiel: Seine Wahrheit, sein Eigenstes heißt Sich-Geben. Spiel ist nur dann Spiel, wenn es seine Harmonie nicht machen, nicht herstellen, nicht verfügen kann. Sie muß sich schenken. Nur dann ver-[70]söhnt, nur dann vereint sie. Der bloß geplante Effekt, auf dem nicht der Glanz des Gelingens, des Glückens läge, unterböte das Maß des Spiels. Das Spielerische am Spiel ist gerade, daß das Spiel sich gibt, daß das Spiel sich schenkt. Daß aber dieses Geschenk als Glänzen und Glücken des Spieles erfahren wird, hat selbst seinen Preis, den, der in jedem der Grundspiele zu zahlen ist. Nicht der ist glücklich, der in sein Glück stolpert, sondern jener, der sich ganz ins Spiel bringt. Und indem er sich ins Spiel bringt, bringt er sein Können und seine Ohnmacht ins Spiel, die Ohnmacht eben, daß er das Glücken nicht machen kann. Solcher Preis ist mehr als zu verschmerzender Eintrittspreis. Solange das Spiel geht und gerade wenn es glückt, bleibt dieser Preis das Kostbare des Spiels. Nie kann das Glücken festgehalten werden in der behäbigen Sicherheit des Besitzes, das Spiel geht je weiter. Und nur indem es weitergeht, gehen auch seine Überraschung, sein Glanz, seine Gnade weiter.
Wir müssen hier an etwas erinnern, was uns an der vollendeten Freiheit auffiel. Ihre Dramatik vollendet sich nicht in der Wahlfreiheit, die je gefährdet bleibt. Auch und vor allem wo Freiheit ganz im Spiel ist, in der vollendeten Liebe, bleibt Begegnung – ohne den Schatten des möglichen Verlustes – das je Erregende, das je Neue, das je Mehr. Im Vorblick des Glaubens: Spiel, das den Preis des geschuldeten Sich-Gebens kostet und den Glanz des ungeschuldet sich gebenden Glückens erfährt, ist zuhöchst Spiel des göttlichen dreifaltigen Lebens und unserer Teilhabe an ihm.
Was also ist das Unterscheidende, Eigene des Spiels? Die Wahrheit des Spiels ist Sich-Geben. Die Wahrheit des Spiels ist, daß Sich-Geben eben Wahrheit, Tiefe, [71] Mitte von Gleichklang, von Harmonie, von Ineinanderschlag vieler Ursprünge ist. Anders gewendet: die Wahrheit des Spiels ist, daß viele Ursprünge sich einander geben, auf daß sich darin ein unerzwingbares Glücken und Gelingen gebe. Und umgekehrt ist der Glanz, die vollendende Gestalt des Sich-Gebens jene Harmonie, jener Ineinanderschlag, um dessentwillen das Spiel spielt und den das Spiel doch nicht erzwingt.
Das Spiel ist so ein viertes Grundspiel, weil es seine eigene Kontur gegenüber Interesse, Dasein und Sprache hat, und ist wiederum doch kein viertes. Denn es ist nichts anderes als der Rhythmus, die Melodie und die Harmonie eines jeden dieser Spiele und des Spiels, das sie miteinander spielen. Das Spiel ist das Spiel in und zwischen den Spielen.
c) Mehrfache Zeitlichkeit des Spiels
Wer Spiel verstehen will, muß zwei Zeitfiguren zusammenlesen, die scheinbar auseinanderliegen. Ihren Unterschied und ihren Zusammenhang können wir unmittelbar dort erfahren, wo uns ein Spiel ganz in Beschlag nimmt. Sind wir im Theater, dann kann die Zeit stehenbleiben, wir wissen nicht mehr, ob es eine halbe Stunde oder zwei Stunden dauert. Die Zeit des Spiels bemißt sich von innen. Sie ist ein einziger, aber in sich grenzenloser Augenblick. Etwas wie der Blitz jener Ewigkeit, welche die Tradition mit dem Ausdruck nunc stans, stehen bleibendes Jetzt, zu fassen suchte. Gleichzeitig aber sind wir vom Verlauf der Handlung so in Spannung gesetzt, daß wir darauf brennen, wie es weitergeht. Im stehenden Jetzt des Spiels ist also durchaus Zeit [72] da, ja Zeit ist gesteigert da, ihr ruhiger Ablauf verwandelt sich zum erregenden Springen. Weil Spiel Harmonie und Gleichklang ist, ist Spiel Spiegel der Ewigkeit. Weil Spiel Sich-Geben ist, hat es Zeit, intensivste Zeit – und ist gerade darum Spiegel der Ewigkeit. Vielleicht können wir von hier aus erahnen, wie Ewigkeit, Unveränderlichkeit Gottes und Geschichte Gottes nicht Gegensätze sind, sondern in spannungsvoller Einheit dasselbe.
Unter der Hand hat uns durch alle Spiele indessen eine dritte Grundgestalt von Zeitlichkeit begleitet. An sie muß am Ende nochmals erinnert werden. Interesse konnten wir nur verstehen, indem wir uns der Konstitution endlicher Freiheit, einer Freiheit also zwischen Gewinn und Verlust zuwandten. Diese Freiheit kann sich nicht selbst vollenden. Sie lebt vom Ziel der unbedingten Freiheit, der ganzen Erfüllung durchs höchste und unverlierbare Gute. Erreichen aber kann endliche Freiheit dieses Gute nicht aus sich selbst, nicht unmittelbar. Hätte unsere endliche Freiheit nur ihre eigene Geschichte, dann drohte das Spiel des Interesses letztlich ins Leere zu gehen. Seine Zeit bliebe unentschieden zwischen Heils- und Unheilszeit, seine Zukunft bliebe utopische Zukunft, seine Zeit die Zeit der Resignation.
Entsprechendes zeigt die Dramatik des Daseins. Sosehr Dasein unbedingte Seinsmächtigkeit als seine Herkunft bezeugt und auf sie als seine Zukunft tendiert, so wenig kann endliches Dasein doch aus sich selbst der Übermacht seiner Ohnmacht entgehen. Die Zeit des Daseins, das sich selbst überlassen bliebe, wäre Verfallszeit.
Und ebenso Sprache. Wenn sie es nur bis zur Entäußerung des Ursprungs in seiner je mißverständlichen Gestalt brächte, bliebe sie gefesselt an ihre Zweideutigkeit, an ihre Unvollendbarkeit. Ihre Zeit bliebe das unsichere [73] Hin und Her zwischen der Annahme und der Verweigerung des Zeugnisses, zwischen dem steigenden und sinkenden Verstehen und Einverständnis, zwischen der größeren und geringeren Annäherung ans je entzogene Wahre.
Alles Spiel hat als Spiel der Endlichkeit seine von innen her begrenzte Spielzeit. Im Traum nur wäre die Ewigkeit da. Der Einsatz könnte nie gewährleisten, daß ihm das Geschenk, das unverlierbare und je neue Geschenk des Gelingens zur Antwort, zum Lohn würde. Mehr noch, sicher ist dem ganzen Preis des ganzen Einsatzes nur der eine Lohn: der Tod, und dieser Tod verheißt nicht aus sich selbst schon die Gnade, die ihn verwandelt.
Die Zeit der Grundspiele, aus denen unser Schicksal gewoben ist, wird so zur Anfrage, zur Anfrage nach einem Sich-Geben, dessen wir nicht mächtig sind, auf das wir nicht einmal mit unserer Vorstellung und Ahnung vorgreifen können. Wo aber dieses Sich-Geben aus eigener Hoheit sich gäbe, da würden die Spiele verwandelt. Das Spiel des Interesses, das Spiel der Zukunft würde zum Spiel der Erlösung; das Spiel des Daseins, das Spiel der Herkunft eröffnete sich als Spiel der Schöpfung; das Spiel der Sprache, das Spiel der Gegenwart, der Gleichzeitigkeit wäre das Spiel der Offenbarung.