Politik und Ethik
Das Verständnis von Freiheit
Solche Vorgaben legen Spuren, um Freiheit zu verstehen. Zu meiner Freiheit gehört, daß ich wirken kann, was ich will, und wollen kann, was ich wirke, daß die bestimmende Macht meines Wirkens also mir als dem Wirkenden nicht äußerlich ist. Unser Blick auf Texte und Motive theologisch-philosophischer Überlieferung erweitert dieses Verständnis. Für die göttliche Freiheit gilt, daß sie aus sich selbst, aus dem absoluten Anfang, der sie selber ist, anderes zu wirken vermag, was ist, ja was frei ist. Diese Deutung göttlicher Freiheit enthält zwei Dimensionen: zum [68] einen jene, die die Göttlichkeit und somit Ausschließlichkeit der Freiheit Gottes statuiert, zum andern jene, die das Wesen von Freiheit in seiner Fülle ans Licht hebt, somit aber auch in geschaffener Freiheit zumindest analog aufzuspüren sein muß, damit geschaffene Freiheit wahrhaft und ganz Freiheit sei. Zur ersten Dimension: Nur Gott kann vom Nichts ins Dasein rufen, nur Gott kann aus dem Nichts erschaffen, nur er kann Freiheit konstituieren, Anteil an der Freiheit geben, die allein die seine, ja die allein Er selber ist. Wer – außer Gott – vom Nullpunkt an erschaffen oder gar Freiheit erschaffen wollte, verstiege sich radikal und stiftete konsequenterweise Zerstörung von Sein, Destruktion von Freiheit, Unfreiheit.
Dann ist aber zur zweiten Dimension der göttlichen Freiheit, dies ergänzend und gewissermaßen in Umkehrung der ersten, zu sagen: Auch geschöpfliche Freiheit ist, als Innesein des Prinzips von Handeln im Handelnden selbst, darauf angelegt, daß sie in analoger Weise Neues wirkt; und das Neueste, was sie wirken kann, ist: Gewähr und Entbindung von Freiheit, Freisetzung von Freiheit. Freiestes Handeln ist befreiendes Handeln.
Kehren wir einen Augenblick lang zum frühen und mittleren Schelling zurück. Verkürzend läßt sich aus der Zusammenschau seines Systems des transzendentalen Idealismus, seinem Identitätssystem und seiner Philosophie der Kunst erheben: Spitze menschlicher Freiheit ist das Kunstwerk, künstlerisches als originales Handeln, als Vermögen des Originals, vollendet die Freiheit – und das Kunstwerk der Kunstwerke ist jene Geschichte, in welcher endliche Freiheiten so miteinander konzertieren, daß sie darin mit der unbedingten Freiheit konzertieren und diese sich in endlicher Freiheit zur Erscheinung und Wirkung bringt.
Auch entkleidet von Schellings spezifischen Voraussetzungen liegt hier ein nicht mehr zu vernachlässigender Verweis auf eine Phänomenologie menschlicher Freiheit. Wo ihr das qualitativ „Neue“ gelingt, ist sie am meisten bei sich, und das Neueste, was ihr zu gelingen vermag, ist: Zustimmung. Das, was von mir her ist als das Meine, ist auch von dir her als das Deine, und es hebt sich von dir und mir her in die allgemeine Übereinstimmung, die sich darin vollendet, Übereinstimmung zu sein mit dem, was ist, was also – im theologischen Kontext gesprochen – von der unbedingten Freiheit her ist.1
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Vgl. dazu, mit erforderlichen Transpositionen: Bonaventura: „Allumfassende Eintracht“ als Vollendung des Weltgeschehens in der ewigen Beseligung als die eigentliche ‚Sache' der Theologie, in: Bonaventura, Collationes in Hexaemeron, I, 37 u. 38. Zum im Vorhergehenden angedeuteten Verständnis endlicher Freiheit vgl.: Welte, Bernhard: Thomas von Aquin über das Böse. in: Auf der Spur des Ewigen. Philosophische Abhandlungen über verschiedene Gegenstände der Religion und Theologie, Freiburg i. Br. u. a. 1965, 155–169; Thomas von Aquin über das Gute, ebd. 170–184; ferner: Über das Böse. Eine thomistische Untersuchung, Neuausgabe, Freiburg i. Br. u. a.1986. ↩︎