Franz von Baaders philosophischer Gedanke der Schöpfung
Das Wie der Schöpfung als Geheimnis
Oft und scharf stellt Baader das Wie der Schöpfung als Geheimnis heraus. Das „Gemachtwerden“ ist der Kreatur verborgen „und sonst nichts“1
„Leugnet man . . . dem schöpferischen Tun seine Unbegreiflichkeit ab (was alle unsere Kreationstheoristen tun), so leugnet man dieses Tun selbst“2, „so daß also eine Theorie der Kreation in diesem Sinne ein vermessener Ausdruck ist“3. „Dieses ewige Geheimnis des Wie unseres Entstehens und Fortbestehens ist eben die Basis unserer Bewunderung Gottes und unserer ehrfurchtsvollen Unterwerfung unter ihn als unsern Schöpfer und Erhalter.“4
Der Begriff jeder freien Tat fällt nicht in sie, sondern in ihren freien [133] Ursprung. Gerade deshalb bleibt sie in sich selbst unbegreiflich. Ein restlos erklärbares, also „konstruierbares“ Geschehen ist nicht frei, es geschieht, man macht das so, der Vollzug wird sein immanenter Ablauf, ist also nicht mehr Mitteilung eines Ursprungs, der „ohne seine selbstische Äußerung allem andern ein Geheimnis“ bleibt5 und der sich in der Äußerung gerade als Geheimnis mitteilt.
Wohl geschieht jeder menschliche Vollzug, auch der freie Entscheid, indem der Mensch ergreift, was „man“ grundsätzlich machen kann und was sich zu verfügen gibt, was durch die „angeschaffene“ Bestimmtheit des Menschseins, durch seine Natur also, ihm freigestellt ist – und in gewissem Sinne ist vom Erscheinen der ganzen Idee her dem Menschen in seiner Natur alles freigestellt. Doch die Freiheit besteht gerade darin, daß der Mensch dieses ergreift, daß er zu seinen Möglichkeiten in der Distanz steht, die nie sich, sondern die je er entscheidend aufhebt, wenn auch das Daß der Aufhebung unfehlbar eintritt. Baader spricht von einem „Zurücktreten“ Gottes im Augenblick der menschlichen Wahl6. Der Mensch setzt wählend von sich aus seine Natur zur Idee, sich zu sich selbst, ins Verhältnis. Und doch bleibt er darin in der Macht Gottes, weil seine „Selbheit“ – „als formaler und inhaltsleerer Wille unmittelbar notwendig in die Aufhebung dieser Leerheit oder in die Selbsterfüllung und positive Selbstbestimmung übergehen muß“7. In ihr gelangt er zur „realen und erfüllten“ Freiheit, oder er wird effektiv „unfrei“8, je nachdem er sich der Idee subjiziert oder nicht. Auf alle Fälle aber muß er, frei oder unfrei geworden, Gott als den Herrn auch seiner Natur, als den „unicus“ und alleinigen „uniens“ anerkennen9.
Wenn demnach auch der Gehalt, den mein freies Tun ergreift, allgemein zugänglich und erklärbar ist, so doch nie mein ihn ergreifendes Tun selbst als das geschehende Wie des Ausgangs meiner Ursprünglichkeit zu dem ihr freigelassenen Was – und dieses geschehende Wie allein ist doch eigentlich meine Tat. Es ist schlechthin nicht lehrbar und erklärbar, wie „man“ sich entscheidet. Auch meine Motive machen nicht den Entscheid, sondern entscheidend mache ich sie zu meinen Motiven. Also kann auch Schöpfung als freie Tat Gottes in ihrem Wie nicht erklärbar sein.
Gottes Freiheit zum Anderen ist indessen qualitativ höherer Art als die Freiheit meines Entscheids, das Wie der Schöpfung bleibt auf noch tiefere Weise unerklärbar.
Baader nennt Gott die „Unité Centre“, die sich „mit und durch“ ihre „immanente Selbstexpansion von allem, was nicht sie selbst ist, aus- und abschließt“: „Diese Selbstattraktion der Unité Centre macht es übrigens auch begreiflich, warum unser Entstehen in und aus ihr, so wie unser Bestehen und durch sie, ein ewiges Geheimnis bleibt.“10
Auch das endliche Ich „attrahiert“ zwar sich selbst. Baader sieht Gott [134] „sich mit seiner Sophia (als Augumschluß) in sich verschließen“11, und entsprechend gibt die Teilgabe der ganzen Idee an das endliche Selbst diesem, sich mit ihr ebenfalls „in sich zu verschließen“. Denn die Idee sagt dem, der an ihr teilhat, nicht nur zu, daß alles ist, was es ist, sondern darin auch, daß er selbst ist; die Idee wirkt sein Beisichsein. Das „Alles“, bei dem er kraft der Idee weilt, wird von dieser allen, die auf sie hin sind, in wesentlich selber Weise gegenwärtig gesetzt, daher steht alles, was ist, im Raume der Kommunikation; das Selbst, bei dem er ist, stellt dagegen nicht einen der vielen möglichen Gegenstände allgemeiner Zugänglichkeit neben anderen dar, sondern den Ursprung selber, der in diesen „alles“ umfangenden Raum hinein aufgeht und alles besitzt, es eint, indem er es – und also sich – an sich nimmt. Diese Selbstmitteilung in der Idee stellt dem Ursprung indessen nicht nur vor, was ein Selbst und also jedes Selbst ist, sondern gibt ihm allererst, ein solches Selbst zu sein, und zwar als es selbst, als „einmal“ zu sein. In der Idee nimmt - freilich durch die Bezüglichkeit der Natur hindurch – das einmalige Selbst sich selbst auf für seine Einmaligkeit konstitutive Weise in Besitz, es besitzt also sein Einmal. Dieses ist nicht wie das Einmal des „Selblosen“, von sich nicht Besessenen, der Besitzergreifung durch alles „Selbstische“ „exponiert“12, sondern in seinen eigenen Händen, auf sich beschlossen, von sich „attrahiert“ und nur durch sich selbst in freier Äußerung „expandierbar“.
Die „Selbstattraktion“ des endlichen Geistes stößt jedoch an eine unüberwindliche Schranke. Indem ich bei mir bin, finde ich mich vor, ich bin meinem Vollzuge voraus in das Gegenüber zur Idee gesetzt, bin Ursprung und einmal nur aus dieser Fremdbestimmtheit, der Gegebenheit meines Seins, die meiner Verfügung vorenthalten bleibt. Ich bin nicht nur der mich Besitzende und von mir Besessene, sondern je zugleich von außerhalb in mein sich besitzendes Sein hineingestellt. Ich bin nur, indem ich gegenüber bin zur Idee; ich bin in dieses Gegenübersein aber nicht selbst getreten, sondern zuvor schon gesetzt; der Gegensatz des von der Idee zu ihrem Erscheinen bedurften „Bedürfens“ ist der Ort meines Ursprungs und nicht aus meiner Ursprünglichkeit erfließendes und von ihr aufhebbares Moment ihrer Offenbarung und Vollendung.
Gott dagegen ist, wie gezeigt, unbedingt „naturfrei“, ihm ist Natur nicht „Angeschaffenheit“, seine Ursprünglichkeit darf nicht aus der Natur, sondern die Natur muß aus seiner unbedingten Ursprünglichkeit begriffen werden. Er allein besitzt, weil er allein die unbedingte Fülle ist, das Bild und das in ihm aufgehobene Bedürfen der Fülle von sich aus, er „attrahiert“ und „schließt“ sich restlos in sich selbst. Das endliche Selbst hingegen besitzt sich nur von ihm aus, attrahiert und schließt sich also nicht von und in sich allein.
Der grundlegend verschiedenen Verfaßtheit des unbedingten und des bedingten Selbstseins entspricht eine grundlegende Verschiedenheit des „Könnens“, der „Freiheit“ Gottes und des endlichen Geistes.
[135] Nur dieses und nicht jenes, unablöslich nur gesetzt und bestimmt zu sein als „Träger“ und „Nenner“ des Seins, dem dieses nur zukommt – dies begrenzt auch die Ursprünglichkeit des endlichen Selbst. Sie ist zwar Ursprünglichkeit, da die Idee als solche und ganze sich teilgibt und so den bedingten Selbstbesitz, die bedingte „Selbstattraktion“ des endlichen Selbst mit einschließt, so daß dieses sich je nur von sich her, in freier Spontaneität öffnet, doch ist sie Ursprünglichkeit bloßer Wiedergabe, nicht schaffender Teil-gabe der Idee. Das Sein, die Idee sind je nur das Bedurfte des endlichen Selbst, nie aber der Überfluß, den es aus sich selbst besäße und der ihm so das Andere seiner selbst als sein überflüssiges und daher frei Vermochtes vorstellen könnte. Gebannt dahinein, nur ein einzelner Nenner der unendlichen Fülle zu sein, bleibt ihm versagt, dieser neue Nenner aus sich zu entlassen.
Gott allein kann sein lassen, was ist, so daß es ist; das bedingte Selbst kann nur in dem, was schon ist, und nur weil schon ist, daß ist, was ist, sein lassen, daß ist, was ist. Es vermag aus eigener Ursprünglichkeit nur, die ihm teilgegebene Idee einem bereits vorgegebenen, seienden „Substrat“ auf neue Weise einzubilden. Gott dagegen, der die Idee ursprünglich besitzt, vermag ihr aus seinem ebenso ursprünglichen Besitz der Natur das „Substrat“ des Anderen selbst hervorzubringen, damit sie in ihm sei13. Er allein kann also im eigentlichen Sinne schaffen, von sich aus Sein geben, weil er von sich aus Sein hat.
Dem verschiedenen Können wiederum entspricht ein ebenso verschiedenes Wissen. Baader zitiert den Satz Bacons: „Scientia et potentia in idem coincidunt.“14 Wenn anders nach Baader eigentliches Erkennen „genetisch“ ist, ein „ideelles Nachschaffen, Nachmachen oder Rekonstruieren dieses Seienden“15, so ist der eigentlich erschaffende Prozeß der Erregung des Substrates des Seienden, der in der unbedingten Selbstattraktion der Unité Centre gründet, nicht vom selbst nur endlichen Geist nachkonstruierbar. Er ist nicht ein von der Idee dem an ihr teilhabenden, nachträglich und überflüssig zu ihr existierenden Selbst mitgeteilter Gehalt, der in dieser Mitteilung zur Möglichkeit des endlichen Selbst würde, sondern das die Teilgabe selbst bedingende Geschehen, das sich durch die Idee zwar bekundet, aber bekundet als dem Vermögen des vernehmenden Selbst gerade unbedingt entzogen. „Schöpfung“ kommt dem ersten Auf schlag unseres zusehenden Auges je zuvor und ist ihm deshalb nur als das Geschehene, nur als das die Gegenwart begründende Perfectum zugänglich, nie aber in die Gegenwart „genetischen“ Wissens heraufzubeschwören, da „die Vitalfunktionen, welche das Sinnesorgan bilden oder restaurieren, nicht selber in die Sphäre der Sensation fallen können. Hiemit ist eine Grenze des Wissens für das niedrige animalische Leben sowohl als für das höchste religiöse Leben bestimmt, welche nur zu häufig von den Philo- [136] sophen übersehen wird.“16 „Scimus, quae facimus, nescimus, quae non facimus; nescimus creationem, quia non creamus.“17
Baader führt seinen Gedanken zur Unbegreiflichkeit der Schöpfung noch einen Schritt weiter. Im Blick auf die Identität von Idee und Natur in Gott, die als „Organ“ und „Werkzeug“, als Bild und aufgehobenes Bedürfen seiner Fülle diese effektiv sein lassen, schreibt er: „Diese in Jacob Boehmes Sinn richtig verstandene Identität, nicht Einerleiheit, der Natur und des Geistes läßt uns übrigens auch das Unvernünftige jener Frage nach dem Wie eines sogenannten Nexus des verständigen und des nicht verständigen Tuns einsehen, weil man sagen muß, daß freilich Gott selbst nicht weiß, wie er schafft, und daß eine solche Frage nach einem solchen Wie, als Reflexion, nur dann würde eintreten können, wenn jener sogenannte Nexus aufhören, d. i. wenn Gott selber aufhören könnte, Gott zu sein; wie diese Reflexion denn wirklich bei der Kreatur hervortritt, falls bei ihr das nichtintelligente Tun aufhört, dem intelligenten zu entsprechen.“18
In diesem Text ist von einem „Nichtwissen“ Gottes selbst bezüglich des Wie seines Schaffens die Rede, und in diesem Nichtwissen soll nicht etwa eine Unvollkommenheit, sondern gerade die höchste Vollkommenheit und Freiheit Gottes zum Ausdruck kommen.
Die Aussage erschließt sich, wenn geklärt wird, was „verständiges“ und „nicht verständiges“ Tun und beider „Nexus“ bedeuten.
Menschliche Vollzugsformen können zur Anschauung dienen. Der in der „Vertrautheit“ aufgehobene Selbstvollzug bringt an Gehalt nicht weniger zum Vorschein als der im Ernst der Entscheidung getane. Was ihm jedoch abgeht, ist die Qualität der Entschiedenheit und daher auch der „Wirksamkeit“. Beim bloß in der Vertrautheit aufgehobenen Vollzug „geschieht nichts“. Der entschieden Handelnde, der Begeisterte und Gelassene, steht in seinem Vollziehen in schärfstem Gegensatz zur bloßen Vertrautheit. Er ergreift, was er sieht und einsieht, ja er hat es ergriffen und ist von ihm ergriffen, doch gerade daher steht sein Vollzug in derselben Sicherheit und Eindeutigkeit wie der des in unberührter Vertrautheit traumhaft Geborgenen. Sie beide fragen nicht nach dem Wie ihres Tuns: der Entschiedene nicht, weil er das Wie beherrscht und es in dieser Beherrschung „keine Rolle“ spielt, der in Vertrautheit Unberührte nicht, weil er noch vor der Situation des Beherrschens oder Nichtbeherrschens steht. Die Frage nach dem Wie bricht erst auf, wo die Beherrschung oder wo die Vertrautheit aufhört.
Das Eigentümliche an dieser Frage aber ist: Sie bleibt im Grunde immer ohne Antwort. Vom versuchten zum gelungenen Vollzug führt je ein unlehrbarer und unkonstruierbarer Sprung. Wie machst du das? Auf solch verwunderte Frage des Unvermögens weiß der Meister nichts zu antworten, und auch alle Oberlegungen des Unvermögens über die Bedingungen [137] des Gelingens bringen dieses nicht zustande. Das „verständige“ Tun, das Lehr- und Lernbare, ist im Versuch und im Gelingen je dasselbe; was dem Versuch abgeht, ist jener „Nexus“ mit dem „unverständigen“ Tun, jene im „Blitz“ geschehende Begnadung oder Entscheidung, in der Idee und Natur, Verständiges und Unverständiges, konkret und identisch sind in der Einfalt und Ungebrochenheit eines sich durchsichtigen Aktes, der das Wie der Konkretion seiner Komponenten nicht konstruiert, sondern beherrscht.
Gottes Schaffen ist nicht sein Sprechen und noch etwas dazu, sondern: „Er sprach – und es ward.“19 Baader nennt diese dem Wort als Idee „werkzeuglich“ dienende Macht der Natur mit Jakob Böhme wiederholt das „Fiat“20. Gott tut nichts, um diese Macht zu haben, sondern er hat sie, indem er „ist“. Er weiß sein Haben und sich in seinem Haben als Gott, doch ist dieses Haben und Sein selbst seine Ursprünglichkeit, die auch er sich nicht gegeben, die auch er nicht hervorgebracht hat und die daher auch in ihm selbst nicht ein sie nochmals erklärendes, hinter sie zurückgreifendes Wie ihres Zustandekommens, ein „genetisches“ Wissen, eine „Theorie des Gottseins“ aufkommen läßt. Er ist der unbedingte, sich unbedingt durchsichtige Ursprung, gerade daher aber keiner Erklärung vor sich selbst bedürftig, wenn auch der in die Einfachheit aufgehobenen dynamischen Proportionen seiner Ursprünglichkeit inne.
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FC 3,7 II 253; FC 5,22 II 352; vgl. XIV 218; Ethik V 13; SpD 1,10 Zusatz VIII 103; XIII 250. ↩︎
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FC 6 Einleitung II 377 Anm. 1. ↩︎
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EG 3 VII 162; vgl. SpD 2,18 VIII 286 Anm. zu 285; VII 267 Anm. 3. ↩︎
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FC 5,22 II 352. ↩︎
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RPh 25 I 220. ↩︎
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SpD 1,12 VIII 117 (und 115–119 im ganzen). ↩︎
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SpD 1,12 VIII 116. ↩︎
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SpD 1,12 VIII 117. ↩︎
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SpD 1,10 VIII 91; vgl. zum Folgenden FC 1,10 II 165: das Böse wird zum „Beweggrund erst durch meinen Willen“. ↩︎
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FC 5,21 II 351 f. ↩︎
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Ebd. ↩︎
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Vgl. RPh 25 I 220. ↩︎
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Vgl. SpD 1,10 VIII 90; SpD 1,8 VIII 83; SpD 1,9 VIII 85 Anm . u. 86. ↩︎
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FC 6 Einleitung II 378 Anm.; vgl. XVI 440 „Scientia et potentia . . .“ ↩︎
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I 318. ↩︎
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V 260. ↩︎
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EG 3 VII 162; vgl. SpD 4,14 IX 107. ↩︎
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FC 6 Einleitung II 379. ↩︎
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So z.B. SpD 1,8 VIII 81. ↩︎
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So z.B. FC 6 Einleitung II 378; FC 1,12 II 169. ↩︎