Erfahrungen mit Wort und Sakrament

Das Wort leben

Für mich war eine der wichtigsten Wenden in meinem Leben als Christ, auch als Priester, auf Menschen zu stoßen, die sehr konkret mit dem Wort Gottes leben, die einfach probieren, das Wort Gottes in Szene zu setzen, in Leben zu setzen, durchaus in einer theologisch verantworteten Art, aber trotzdem mit der von mir vorhin genannten Naivität, und die sich gegenseitig davon Zeugnis geben. Ich muß sagen, seit ich probiere, einfach jeden Monat mit vielen Freunden zusammen dasselbe Wort zu leben, hat sich bei mir vieles gewandelt. Ich tue es jetzt schon seit zwanzig Jahren so und kann allmählich mit vielen Worten der Schrift persönliche Lebenserfahrungen verbinden. Ich weiß, was ich um dieser Worte willen anders mache, wie ich anders bete, wie ich anders handele, wie ich anders Gemeinschaft halte. Das war mir wertvoll genug, um – als ich vor sieben Jahren Bischof von Aachen wurde – einen Hirtenbrief zu schreiben an meine Gläubigen und ihnen schlicht zu erzählen, wie ich’s mache. Ich fragte sie, ob sie denn, abends zu Bett gehend, wüßten, wenn sie einen Aufsatz über ihren Tag schreiben müßten, was für eine Überschrift zu ihm, oder gar, was für eine Überschrift für [85] unser Leben insgesamt paßte. Ich sagte dazu, ich glaube, daß wir nur eine Überschrift über unserem Leben haben können: den, der unser Fleisch angenommen hat, das Wort, das Fleisch geworden ist. Doch diese Überschrift als ganze ist zu groß und zu gewaltig, ich verstehe sie nicht, wenn ich sie nicht durchbuchstabiere, sie lebend sozusagen von Wort zu Wort.

Ich bekomme noch jeden Monat, ja ungefähr jede Woche Briefe auf diesen Impuls von damals, und zwei- oder dreimal im Jahr fasse ich dann eine Antwort in einem kleinen Rundbrief zusammen, den ich inzwischen an 930 Adressen zu schicken habe. Es waren allein noch dreihundert im letzten Jahr hinzugekommen. Zweimal lud ich bereits auch zu einem mündlichen Austausch ein, an dem jeweils etwa 300 Leute teilnahmen, und ich muß sagen, das, was dabei an nüchternen, schlichten Zeugnissen herauskam, ist für mich eine wichtige Hilfe für meine Arbeit im Bistum. Da wob sich sozusagen ein heimliches Netz, in das sich andere Netze hineinlegen. Doch dieses Leben mit dem Wort Gottes gibt den geistlichen „Generalnenner“ dessen ab, wie ich die Pastoral im Bistum Aachen versuche.