Franz von Baaders Weg philosophischer Gotteserkenntnis

Das Ziel des Weges: der göttliche Gott

Der polemische Zug in Baaders Denkstil läßt zuerst auffallen, wogegen er sich wendet: seine Ablehnung gilt besonders nachdrücklich dem Beweis Gottes aus etwas, das nicht Gott ist (z. B. II, 208, 499; IV, 240; IX, 33f.). Solches Wogegen verbirgt das Wohin des eigenen Weges. Dieser führt über den Endpunkt möglicher Beweise hinaus zum göttlichen Gott. Baader bemerkt: „Ich stimme darin überein, daß das Geschöpf das Dasein einer schaffenden Macht beweise, wie jede Sache eine Ursache. Aber mir deucht, daß wenn man uns das höchste Wesen auf solche Weise nur als schaffende Macht darstellt, man uns hiermit noch keineswegs seine Erhabenheit kund gegeben hat“ (VI, 294).

Ein „Beweis“ deckt in Baaders Sinn vom Ergebnis her die zu diesem notwendige Voraussetzung auf, das beweisende Denken bleibt hierbei das bestimmende Element, das Bewiesene ist das Bestimmte. Wenn das Bestimmte beim sog. Gottesbeweis auch als schlechterdings bestimmend, als unbedingte Erstursache, als „schaffend“ bestimmt wird, bleibt es dem auf ihn weisenden Gedanken gegenüber doch passiv, sein – obschon als alle Feststellung übersteigend – Festgestelltes. Was wir hingegen ursprünglich im Namen Gott ansprechen, liegt jenseits solchen Feststellens. Gott ruft, Gott geht auf, zeigt sich, Gott begegnet. Er ist da in dem menschliche Antwort herausfordernd einbegreifenden Ereignis. Gottes gestalthafte „Bestimmtheit“ ist nicht die Bestimmtheit des beweisenden Gedankens. Wohl mag der Gedanke des Unbedingten durch die Negation aller verendlichenden Bestimmung die Unfaßlichkeit seines Gedachten schärfer fassen als der gestalthaft je verendlicht erscheinende „Gott“, doch ist der Vollzug des Denkens, der die Faßlichkeit negiert, selbst ein Fassen, der unmittelbar dem Aufgang Gottes als Gott antwortende Vollzug aber ist nur ergriffen, er faßt [272] selbst nicht. Die Gestalt Gottes, seine Bestimmtheit in ihr ist gerade die Anwesenheit seines reinen Bestimmens in dem ihm zugewandten Vollzug. Nur von außen her betrachtet ist dieser wiederum bestimmend, umgrenzend und Gott sein Bestimmtes, Umgrenztes. Die in der Göttlichkeit eröffnete Verfügbarkeit des angerufenen Gottes schließlich ist ganz von Gnaden Gottes, kein selbstmächtig begrenzender Griff des Anrufenden, die Anrufung ist vielmehr ergriffen und umgriffen von der reinen Initiative des Anrufs Gottes. Er bleibt, im Vollzug, alleinig bestimmend.

Baaders Ziel, Gott als Gott zu denken, schließt einen scheinbaren Widerspruch in sich, dessen Versöhnung die Eigenart seines Gedankens ausmacht. Gott als Gott ist aus keinem vorgängigen Gedanken erstellbar, er geht so sehr vor dem Denken in dieses hinein auf, daß es im Aufgang Gottes gerade über sein fassendes Bestimmen und Erklären hinausgehoben, sich selbst entsetzt ist. Wie kann dieser Gott nun ohne Verstellung seiner Göttlichkeit zur Sache des Denkens ohne Verstellung seines Charakters als Denken werden?

Beide Enden der Problematik sind Baader gegenwärtig. Die dem Denken vorlaufende Anfänglichkeit Gottes nimmt er so ernst, daß ihm das „Nichtanfangen mit diesem schon dessen Leugnen ist“ (VIII, 339). Daher sein Mißbehagen am Beweis: „Das Niedrige (das Geschöpf) kann das Höhere (Gott) nicht beweisen (demonstrare, weil demonstrare ein deorsum monstrare ist), wohl aber kann und soll es auf ein Höheres weisen (monstrare)“ (X, 307). Die Gestalt des Beweises drückt für Baader die Überlegenheit des Denkens über sein Gedachtes aus, verkehrt also das Verhältnis menschlichen Denkens zu Gott. Wenn das Denken mit sich selbst oder mit etwas beginnt, aus sich selbst oder von etwas aus zu Gott kommen will, schneidet es sich den Weg zu seinem Ziel ab: Gott bleibt nur Gott, wo seine unüberholbare Anfänglichkeit vollzogen, wo menschliche Antwort Antwort, also anfänglich Zweites bleibt. Weil Gott nicht Ergebnis ist, sondern Ursprung, wird auch ein Gedanke, der nur Ergebnis anderer Gedanken ist, ihm nicht gerecht.

Baader zieht indessen aus dieser Position keine der zwei ihr naheliegenden und unter sich entgegengesetzten Folgerungen. So tief ihm das Gottesbewußtsein als „Grundüberzeugung“ des Menschen gilt, als „beweisend, also selber keines Bewiesenwerdens fähig“ (V, 240), ist es ihm dennoch kein bloß vorfindbares und bestandhaft fertiges Faktum innerhalb des menschlichen Gesamtbewußtseins, sondern „Gott in und an sich, d. h. das Licht selbst ohne alles und vor allem Sichtbaren sehen wollen hieße freilich ein Widersprechendes verlangen“ (I, 30 Anm. 1). Die von der Göttlichkeit Gottes geforderte Unmittelbarkeit des Denkens zu Gott ist anderer Art als die Unmittelbarkeit zum faktisch Begegnenden und wird von dieser aus nur im Rückstoß erreicht. Anderseits wandert Baader auch nicht um der Göttlichkeit Gottes willen aus dem Bereich eigentlich menschlicher Erkenntnis und ihrer Durchsichtigkeit in und für sich selbst aus in ein bloßes und so bloß fremdbestimmtes Glauben, vielmehr beharrt er auf dem – freilich von ihm selbst differenzierten – Satz: „Deum esse non creditur sed scitur“ (VIII, 22; vgl. XII, 372). Wissen und Glauben erkennt er als aufeinander verwiesen (vgl. z. B. VIII, 29 Anm. 2 zu 28): nicht vom [273] Verstehen ursprünglich mitvollzogenes Glauben hätte gar nicht, was es glauben könnte.

Gott als Gott denken, den Aufgang des unüberholbaren Anfangs in der Anfänglichkeit des unmittelbar dem Sekundären, Geschaffenen zugewendeten menschlichen Erkennens vollziehen und gewinnen: wie ist das möglich? Aufgang Gottes in seiner Göttlichkeit ist nicht Ergebnis, sondern Ereignis, nicht herzustellen, sondern nur zu verdanken (was die „Passivität“ des Empfangens und die von ihm zugleich entbundene „Aktivität“ der Antwort umschließt). Soll nun, wie Baader es will, ein philosophischer Weg zur Göttlichkeit Gottes führen, so muß das Eigene der Philosophie, muß das sich selbst vollbringende Denken des Menschen als Ereignis, als die geschehende Zueignung des göttlichen Gottes bzw. als die von ihr einbegriffene verdankende Antwort verstanden werden. In der Tat ist das Baaders Weg. Denken ist ihm stets und im Ganzen sich ereignendes Denken. Es geht ihm überall um den „organischen Begriff“, der „sein Vitalfluidum aufhebt, d. h. nicht etwa in sich auftrocknet (so daß die Psyche, wie jenes geflügelte Insekt im Bernstein erstarrt, in ihrer Geburt steckenbleibt) sondern selbes in sich bewahrt und sich ihm als seinem innersten Zentrum subjiziert“ (II, 157).

Das Ereignis des Denkens selbst ist der Ort des Aufgangs Gottes im Denken. Von diesem Ort aus bestimmt sich endgültig erst die Stellung des Beweises in der Gotteserkenntnis. Sie ist, für Baader, zwiefältig: Auf das Ereignis zu, das dem Denken sich selbst und darin den göttlichen Gott zueignet, wird das Ungenügen beweisender Ableitung offenbar. Von diesem Ereignis her erhält der Beweis jedoch seine bedingte Bedeutung zurück.

Was Baader beim Beweis als solchem und daher bei jeder der – von ihm nicht einzeln gewürdigten – „klassischen“ Beweisarten vermißt, ist nach dem Ausgeführten die qualitativ gemäße Anzeige der Göttlichkeit Gottes, der „Erhabenheit“ des „Dieu total dont vous sentez le besoin“ (II, 56, 78). Der Beweis greift zu kurz, um das Ereignis Gottes zu erreichen. Das Versagen des Gottesbeweises rührt für ihn gerade nicht aus einer grundsätzlichen Begrenzung der Vernunfterkenntnis auf die Gegenstände möglicher Erfahrung im Sinne Kants, sondern aus der existentiellen Verkehrtheit der beweisenden Operation im Angesicht Gottes; sie bringt das wesenhaft positive Verhältnis menschlicher Erkenntniskraft zu Gott nicht in jene Direktheit des Vollzugs, die allein dem göttlichen Gott und der Situation des Menschen vor Gott angemessen ist, mag wie gesehen ihm das Geschöpf auch das Dasein einer schaffenden Macht „beweisen“ (vgl. VI, 294). Diese Kritik am Beweis ist indessen nicht Baaders letztes und einziges Wort. Öfters bestätigt er einen „Gottesbeweis“ aus dem Gewissen (z. B. I, 8; IV, 96 Anm.; XII, 191, 225). Das Phänomen, auf welches solcher Beweis sich gründet, überholt von selbst den Charakter des Beweises, der hier nichts anderes meint als die Artikulierung der Betroffenheit menschlichen Vollzuges vom unbedingten Anspruch. Bloßes Nachdenken über das Gewissen, das nicht unter dem im Gewissen vernommenen Anspruch geschähe, wiese Baader von sich. Bezeichnend aber, daß er dem zustimmenden Gebrauch des Wortes Beweis in Klammern [274] das Wort „Erinnerung“ beizusetzen pflegt. Hier ist die vom Ereignis sekundär gerechtfertigte Stellung des Beweises bei Baader sichtbar: Die im Beweis formulierte Richtigkeit des Gedankens, der das Unbedingte als unumgängliche Voraussetzung alles Seienden vorweist, ist der für sich allein ungemäße, als erinnerndes Zeugnis dennoch bedeutsame Reflex des ursprünglichen, lebendigen und direkten Bezuges zum göttlichen Gott.

Wenn Gott als Gott gedacht werden soll, muß sich das Denken dorthin kehren, wo es sich selbst als Ereignis zugeeignet wird. Baader setzt indessen noch grundsätzlicher an: das Denken, oder was für ihn darin eingeschlossen ist, menschliches Selbstsein, „der Mensch“ (bei Baader kein abstrakter Wesensbegriff, sondern als Wesensbegriff geschichtlich, konkret bestimmt – vgl. I, 303f. Anm. 3; II, 197-234; IV, 5; VIII, 73f., 219ff.) ist das einzige Ereignis, in welchem überhaupt Gott in seiner Göttlichkeit in der Welt aufgeht. Also ist das Denken, das Gott sucht, nicht nur um seines philosophischen Charakters willen in sein eigenes Ereignis verwiesen, der Mensch als solcher ist auf sich selbst verwiesen, um Gott zu begegnen; mehr noch, die Göttlichkeit Gottes ist auf den Menschen verwiesen, hat in ihm, hat im Ernst und in der Helle menschlichen Selbstseins ihr alleiniges Ereignis in der Welt. „Wer folglich Gott nur aus der Natur beweist, der gibt uns keinen vollständigen Begriff von ihm und seinem wahrhaften Wesen“ (VI, 295).

Weshalb erblickt Baader im Menschen selbst die einzige Stätte des Aufgangs Gottes? Wenn das Wort Gott mehr als nur „schaffende Macht“ besagt, so gilt es, sich dorthin zu wenden, wo dieses Mehr erscheint. Es erscheint aber nur im sich vollziehenden menschlichen Sein. Hier allein ist Gott als Gott „da“ inmitten der Welt, hier allein wird die bloße Folge einer Ursache überboten in die Entsprechung der Antwort. Indem der Mensch sich unter dem göttlichen Anspruch findet, von ihm „ergriffen“ ist, ereignet sich ein Doppeltes: das qualitativ unvergleichlich Höhere als die Ursache geht über dem Menschen auf, indem sein ganzes Sein ins antwortende Verdanken eintritt, Gott geht auf über dem Menschen. In solcher Radikalität des Unten zum Oben des göttlichen Gottes, in solcher tiefsten Unterscheidung des Menschen zu Gott ist zugleich aber Gott im Menschen vorgewiesen, dieser ist ja nichts anderes als geschehende Bestimmung von Gott, die als solche „ankommt“, hell wird: Gott geht auf im Menschen. Daher kann Baader auf der einen Seite sagen: „In jeder, auch der höchsten Stufe der Erkenntnis Gottes unterscheidet sich der Gott erkennende kreatürliche Geist nur umso klarer von Gott als dem absoluten Geiste“ (I, 243). Doch ist ihm auf der anderen Seite auch „der Mensch allein und par excellence der Spiegel der Gottheit in ihrer Totalität in dieser Welt“, „(als Bild Gottes in ihr) der Mikrotheos“ (VI, 296).

Kann indessen nicht auch das, was man „die Natur“ nennt, Stätte des Aufgangs Gottes sein, ja ist im geschichtlichen Betracht das Gottesbewußtsein der Menschheit nicht weithin geprägt von naturhaften Epiphanien des Göttlichen? Gleichwohl ist solche Epiphanie nur möglich, sofern der Mensch nicht absieht von sich selbst, sich selbst nicht einklammert. Als der Angegangene, zur Antwort Bereite darf der Mensch nie draußen bleiben, wenn er Gott finden will. [275] Das „Andere“ des Menschen ist nur mit-sprechend und mit-bezeugend mit und in dem Zeugnis Gottes, das er als Antrieb der Frage in sich selber trägt; so besteht Baader darauf, daß der Mensch die Grundlage der Gotteserkenntnis, der eigentliche und ursprüngliche Ort göttlicher Epiphanie sei, „weil allerdings die Leugnung oder vielmehr die Verdeckung und Verfinsterung dieses Spiegels der Gottheit sofort auch dieser ihre Offenbarung in der Natur hemmen, in letzter gleichsam eine Gottesfinsternis veranlassen muß“ (VI, 296). Der göttliche Gott ist „mein“ Gott, ist „unser“ Gott. Wo der Mensch sich selbst ausweicht ins Andere seiner selbst, weicht er, für Baader, Gott aus und kann ihn daher auch in seinem Anderen nicht finden. Wer die Frage nach Gott „neutral“ behandelt, kehrt sich von dem ab, was er zur Sache seiner Frage machen will. Es kann daher „nicht schwer sein zu entscheiden, an welche von beiden Übersetzungen man sich zuerst zu halten habe, ob an den in den Menschen oder an den in die selblose Natur gleichsam übersetzten Gott“ (VIII, 265f.).

Der Mensch ist der übersetzte Gott. Das Sein des Menschen ist kein geschlossener Bestand, er ist, wie am Ereignis des Denkens noch schärfer abzulesen sein wird, so oder so immer schon Antwort, die als solche das vorweist, worauf sie antwortet. Gott ist als Gott da, indem er sich zeigt, erscheint, und das heißt: sich übersetzt, zum Gesehenen eines Sehenden, zum Vollzogenen eines Vollzuges macht. Das Ereignis seines Aufgangs, in welchem der Mensch ihn und sich überantwortet empfängt, ist die „Übersetzung“. Im Innern des Vollzuges waltet Gott als rein bestimmend, der Vollzug selbst aber ist bestimmt, schlägt um ins Außen, er „übersetzt“, in ihm gewinnt Gott Gestalt und damit den Anschein der Endlichkeit und Äußerlichkeit, die der Bestimmtheit des Gestalthaften wesenhaft zugehören. Der Mensch: die „Gestalt“ Gottes. Indem aber der Mensch sich und in sich Gott vollzieht, gibt er die Endlichkeit solcher Gestalt je wieder auf an das reine Bestimmen des göttlichen Ursprungs, und so geht Gott, für den Menschen Gestalt werdend im Menschen, je über dem Menschen auf. Das erfährt auch der Vollzug, der nur dadurch Gott in sich vorweist, daß er sich weggibt an Gott, sich übersteigt. In seiner Gestalt, die der Mensch vollziehend „ist“, ist Gott gerade der Andere des Menschen. Sein reines Bestimmen ist Einen und Unterscheiden in einem (II, 163: „Mit der Zunahme der Einung hält die Unterscheidung gleichen Schritt“). Diese letzte Überlegenheit und Entzogenheit des göttlichen Ursprungs, ihn selbst aller Antwort voraus, versucht Baader daher als das Eigentliche Gottes zu denken, und er entwickelt dafür in seiner spekulativen Gottes- und Schöpfungslehre „Bestimmungen“, die als solche und um ihres Zieles willen gerade dem Menschen und seiner Antwort, seiner Gestaltetheit, verpflichtet sind.

Der göttliche Gott als Ziel grenzt Baaders Gedanke ab nicht nur von der beweisenden Bemühung ums Absolute, sondern auch von anders gestimmten denkenden Erfahrungen des heiligen Grundes, die den Menschen als sich zugewiesene Gestalt und somit das Ereignis seiner Zuweisung an sich selbst in der Hingerissenheit ihrer Begeisterung oder in der unbedingten Stille ihrer Versenkung überschwingen. In dieser Hinsicht ist das Unterscheidende Gottes als Gott der Mensch als Gestalt.