Seelsorge als geistliches Tun

Der aktuelle Hintergrund

Kehren wir ein in jene Situation, die in Puebla die beiden Begriffe participatio und communio, Teilhabe und Gemeinschaft in den Vordergrund treten ließ. Es geht nicht um eine „historische“ und kirchenpolitische Aufarbeitung dieses situativen Hintergrundes, sondern einfach um die theologischen und pastoralen Grundkonturen, die für den soeben gezeichneten Ansatz von [274] Seelsorge als geistlichem Tun belangvoll sind.

Zunächst eine scheinbar abseitige Bemerkung. Das, was Gott in Jesus wirkt und den Menschen schenkt und was wir gemeinhin als Heil und Erlösung bezeichnen, kommt unter Menschen und kommt auch in der Schrift auf verschiedene Weise zur Sprache. Es ist ja etwas Göttliches, etwas von Gott, Leben Gottes, das er uns mitteilt – und das hineintrifft in eine menschliche Situation und in einen menschlichen Verstehenshorizont. So muß es vom Menschen her und von der Situation des Menschen her zur Sprache kommen. Man könnte nun, in einer groben Einteilung, hier von drei Grundmodellen oder besser von drei Ansätzen sprechen, die sich gegenseitig einschließen und erläutern, die aber einen unterschiedlichen Einstieg markieren.

Der eine Einstieg geschieht bei der menschlichen Situation des Mangels, des Bedürfens, des Unheils, der Entfremdung. Der Mensch ist in einer unguten, ihm und seinem wesenhaften Sehnen und Verlangen nicht entsprechenden Befindlichkeit; er ist nicht frei, sich dorthin zu entfalten und dorthin zu gelangen, wo er im vollen Sinne er selber ist. Gott greift nun ein, Gott schenkt die Freiheit und Erfüllung in Jesus Christus. Die aus dieser Perspektive für das Heilshandeln Gottes und sein Gnadengeschenk kennzeichnenden Worte sind Erlösung und Befreiung. Es sind dynamische Begriffe, Begriffe, die das Wohin, das Ziel benennen, aber zugleich den Vollzug, den Vorgang – und beides wird abgesetzt von jenem unguten Woher, aus dem Gott eben erlöst und von dem er befreit. Das Positive kommt sozusagen vom Negativen her in den Blick.

In einer zweiten Sicht steht das Positive im Vordergrund, das erreichte Ziel. Was Gott dem Menschen und der Welt in Jesus Christus eröffnet, ist die Erfüllung, die Identität, die Integrität, das Licht ohne Schatten, das Ja ohne Nein. Das religiöse Urwort „Heil“, aber auch das philosophische Grundwort „bonum“, Gut, bringen das hier Anvisierte am prägnantesten zum Ausdruck. Aus dem biblischen Kontext ist das Wort „Fülle“, aus dem zeitgenössischen Kontext sind die Worte „Identität“, „Selbstfindung“, „Selbstverwirklichung“ hier einzuordnen.

Eine dritte Perspektive trat und tritt weithin hinter jenen beiden zurück, die durch die klassischen Worte Heil und Erlösung aufgerissen werden. Sicher, was Gott schenkt, erfüllt den Menschen in sich selbst, macht den Menschen und seine Welt in sich selbst ganz und gut. Aber solcher Selbststand ist weder zu erreichen durch sich selbst noch schließt er sich in sich selbst. Er ist offen über sich hinaus, er ist Beziehung, Beziehung zu Gott, der gibt und erfüllt, und Beziehung zu jenen, denen Gottes gebende und erfüllende Liebe sich unteilbar zugleich zuwendet. Participatio und communio, Teilhabe und Gemeinschaft greifen dieses Moment auf und thematisieren es. Sie bezeichnen das Ziel, legen das, was Heil und Fülle ist, aus – und sprechen zugleich vom Weg, der dahin führt, vom Geschehen, das solche Erfüllung vermittelt. Der biblische und theologische Kontext dieser Worte: koinonia, Friede, Einheit, Liebe.

Sicher, alle drei Perspektiven lassen Verkürzungen zu. Wo Erlösung nur als innerweltliche Befreiung, wo Heil nur als selbstgemachte und selbstbezogene Selbstverwirklichung, wo Teilhabe und Gemeinschaft nur als gleichmacherische; kollektive Selbstbehauptung verstanden werden, wird die christliche Botschaft, wird Gottes Heilsangebot in Jesus Christus ins Gegenteil verkehrt. Daß nur Gott das Heil wirken und daß es in dieser Weltzeit nicht vollendet werden kann, daß uns die Geduld des Unterwegsseins bleibt, droht der Mensch immer wieder zu verdrängen und droht ein bloß säkularisiertes Weltverständnis um so mehr hinwegzuideologisieren. Aber auch das andere gilt: So sehr die volle Erlösung, das ganze Heil und die vollendete Gemeinschaft noch ausstehen, sie sind nicht nur abwesend, sondern sie wirken schon jetzt und wollen in uns verwandelnd hineinreichen in die geschichtlichen Verhältnisse. Nicht daß sie zum Reich Gottes auf Erden gestaltet werden könnten, wohl aber sollen sie zu Zeichen der Hoffnung auf das Reich Gottes werden. Gottes Verheißung so verkünden, daß in ihr der Mensch nicht nur von sich selber träumen, sondern sich selbst in ihr finden kann; anders gewendet: Gottes Verheißung so verkünden, daß der Mensch Jesus Christus als den Weg findet, der ihn über sich hinaus und so gerade [275] zu sich selber führt: das ist Aufgabe auch und zumal der Seelsorge. Und diese Aufgabe der Seelsorge hat die lateinamerikanischen Bischöfe dazu geführt, die Worte participatio und communio neu in die Mitte zu rücken.