Kirche und Wirtschaft

Der Anspruch Jesu und wir

So abwegig es ist, mit Berufung auf Jesus aus dem Evangelium eine Randgruppenideologie zu machen oder einen Fanatismus der armen Kirche zu verfechten, so falsch wäre es, diese ärgerliche Dimension des Evangeliums einfach zu unterschlagen. Wir müssen uns vielmehr in Nüchternheit der Frage stellen: Wenn Jesus derart vom Reichtum spricht, wie können wir dann gerettet werden (vgl. Mk 10,26)? Wie ist es dann um unser Interesse an Haben und Gewinnen und Wachstum bestellt? Diese Frage ist keineswegs durch die glatte Antwort überholt, von der Ordnung des Evangeliums her sei es wichtig, daß so etwas wie Wirtschaft funktioniert.

Wir müssen zunächst einmal zur Kenntnis nehmen, daß für Jesus selbst die Ankündigung der Herrschaft Gottes schließlich und endlich radikale Armut, radikales Verlieren, Tod am Kreuz bedeutete. An diesen Punkt führt auch die Nachfolge Jesu, führt sie tod-sicher. Erst wenn wir das angenommen und ernstgenommen haben, können wir das andere zur Kenntnis nehmen: daß für Jesus selbst der Tod nicht Vernichtung und Untergang bedeutet, sondern Auferstehung zum Vater hin, und daß nach seinem Tod und nach seiner Auferstehung Geschichte weitergeht.

Denn durch Jesus ist die Herrschaft Gottes im Kommen. Sie ist in einer 2000-jährigen Geschichte im Kommen, wirklich im Kommen. Darum muß sich jede Zeit, muß sich jeder einzelne hineinleben in diese Herrschaft Gottes durch die Gemeinschaft der Nachfolge. Deswegen ist das „Verlaß alles!“ von bleibender Aktualität in der Zeit der Kirche. Aber dies ist nicht das einzige. Der radikale Anspruch, die Botschaft Jesus bleiben – aber Kirche muß weiterleben, glaubende Menschen müssen weiterleben, sie müssen weiterleben mit diesem Widerspruch des Evangeliums, der zugleich mehr als bloßer Widerspruch ist: alles verlassen und doch in allem, in der Welt bleiben. Die Frage kann nicht heißen: Wie ist dieser Widerspruch aufzulösen oder wenigstens abzumildern? Sie kann nur heißen: Wie ist er auszuhalten, wie ist er zu leben?

Lassen wir uns die Antwort von zwei Schriften des Neuen Testaments geben, welche die Zeit nach Jesus und nach der Epoche der Apostel reflektieren: von der Apostelgeschichte und vom Johannesevangelium. In der Apostelgeschichte steht vor uns das Bild der Gemeinde, das auch bei Paulus in vielen Briefen wiederkehrt: Die Urgemeinde lebt die Radikalität der Nachfolge als Radikalität der gegenseitigen Liebe und der Gütergemein- [12] schaft (vgl. Apg 4,32–37). Das ist nicht eine Art Kommunismus, es werden nicht einfach Güter enteignet und gemeinsam von einem Apparat verwaltet. Hier ereignet sich ein beständiges, unselbstverständliches, zeugnishaftes, über den eigenen Schatten springendes Haben füreinander, Teilen miteinander, Ausliefern aneinander. In dieser Communio, dieser Gütergemeinschaft, löst sich der scheinbare Widerspruch zwischen radikaler Nachfolge und Lebenmüssen des Christen mitten in der Welt. So in der Apostelgeschichte. Gütergemeinschaft ist nicht eine Entschuldigung oder ein Ersatz für den von Jesus geforderten Verzicht auf alles, sondern eine getreue Übersetzung des Anspruchs Jesu in die Zeit der Kirche. Nicht anders verhält es sich mit der johanneischen Übersetzung.

Bei Johannes liegt die Antwort im Neuen Gebot Jesu, das alle Taten und Augenblicke unseres Lebens als Christen ausrichten muß. Es fordert von uns, daß wir nicht bloß nett sind zueinander, einander nicht nur lieben, wie wir uns selber lieben, sondern daß wir einander so lieben, wie Jesus uns geliebt hat (vgl. Joh 13,34).

Und Jesus wiederholt und bekräftigt dieses Wie: Er will, daß wir eins sind, wie der Vater und der Sohn miteinander eins sind (vgl. Joh 17,21), daß wir Gütergemeinschaft leben wie der Vater und der Sohn: „Alles Meine ist dein und alles Deine ist mein“ (Joh 17,10). An dieser Stelle, dem Höhepunkt des Johannesevangeliums, zeigt sich, daß es zwei Berufungen in der einen Berufung des Christen gibt, auch in Sachen Wirtschaft. Es gibt die eine Berufung, nicht zu haben, nicht verheiratet zu sein, nicht den eigenen Willen zu tun. Es ist die Berufung der sogenannten evangelischen Räte, wie sie etwa in den Orden gelebt werden. Doch sind diese Räte mehr als bloß ein guter Rat. Sie sind der Stachel des ankommenden Gottesreiches im Fleisch des Menschen (vgl. 1 Kor 7). Wehe uns, wenn wir heute so harmlos geworden sind, daß wir sagen: „Das war früher einmal so, heute brauchen wir diese Lebensform nicht mehr.“ Wir brauchen dieses radikale Zeugnis; denn es stellt uns vor Augen, was wir alle – wenngleich in anderer Gestalt – als Christen zu leben haben. Aber es gibt eben auch die zweite Berufung: zu haben – freilich so zu haben, als hätten wir nicht (vgl. 1 Kor 7,29–31). Diese Berufung besteht darin, als Christen immer tiefer Welt zum Zeichen der Gottesherrschaft, liebende Gemeinschaft der Menschen miteinander zum Zeichen der liebenden Gemeinschaft Gottes mit uns werden zu lassen. Diese Berufung ist der christliche Weltauftrag. Einen anderen christlichen Weltauftrag gibt es nicht.

Genau hier liegt auch die Berufung des Christen in der Wirtschaft. An ihm soll man ablesen können, wie sich die Schöpfungsordnung, von der wir im ersten Teil gehandelt haben, einlöst und steigert in der Erlösungsordnung.