Theologie als Nachfolge
Der Auferstandene als Mitte der Logik
Stellen wir dem, zunächst unvermittelt, die Aussage Bonaventuras gegenüber, in welcher er Christus in seiner Auferstehung als die Mitte der Logik erweisen will. Vorbemerkung hierzu: Logik selbst ist für Bonaventura in diesem Zusammenhang nicht abstrakte Denkgesetzlichkeit, sondern konkrete Überzeugungskunst, zu der freilich die Stimmigkeit und Schlüssigkeit der Argumentation erforderlich ist.1
Wir legen seine Aussage in fünf Schichten auseinander, um die Textur seines Verständnisses von Logik und von Auferstehung ans Licht zu heben. Erste Schicht: Die Auferstehung erscheint als Folgesatz in einem dreisätzigen Schlußverfahren, zu dem Bonaventura das Christusgeschehen formalisiert. Den Obersatz sagt die Gottheit Christi aus, seine trinitarische Herkunft als der ewig gezeugte Sohn des Vaters. „Christus hatte, als Gott, die Gleichförmigkeit der Natur mit dem Vater, die Gleichheit der Macht und der Unsterblichkeit des Lebens zu eigen. In diesen dreien war er mit dem Vater verbunden.“2 Der Untersatz besagt, daß der Sohn Gottes die Menschennatur angenommen hat, damit aber „die Leidensfähigkeit der Natur, die Not des Bedürfens, die Sterblichkeit des Lebens“.3 Der Schlußsatz sagt nun aus, daß Christus auferstanden ist und daß darin das (unzerstörbare) Wesen über den Tod, die Macht über die Not, die Leidenslosigkeit über das Leiden siegte. Sparen wir die unvermittelt sich aufdrängenden Fragen an solche „Logik“ auf; sie sind im Duktus des bonaventuranischen Gedankens dadurch im vorhinein aufgefangen, daß er die verschiedenen Schichten, die wir hier methodisch trennen, dichter ineinanderrückt.
Zweite Schicht: Das Geschehen, das ins gezeigte Schlußverfahren gebracht wird, zielt von seiner Struktur her nicht allein, ja nicht einmal zuerst auf Christus als den Auferstandenen. Der eigentliche Sinn auch des Schlußsatzes wird sichtbar durch den Untersatz, der ja nicht heißt: Der Mensch ist leidensfähig, bedürftig, sterblich, sondern: Der Sohn Gottes nimmt die Menschennatur und somit ihre bezeichneten Eigenschaften an. Es geht also Gott [89] um den Menschen, um die Gemeinschaft mit dem Menschen, und so ist das eigentlich in der Auferstehung zum Vorschein Kommende, das im Schluß Intendierte die Aufhebung menschlicher Unterworfenheit unter Leiden, Tod und Not. „Es geschah also notwendig, daß der Mensch von der Sterblichkeit zur Unsterblichkeit, vom Mangel zur Fülle, vom Leiden zur Herrlichkeit übergeht.“4 In der Logik der Auferstehung hängen die immanente Logik des christologischen Geschehens und das von ihm umfaßte menschliche Geschick, das von seiten Gottes geteiltes Geschick wird, unlöslich zusammen. Die Logik, um die es sich hier handelt, erweist sich als Logik der Liebe.
Dritte Schicht: Die Schicksalsgemeinschaft zwischen dem Sohn Gottes und dem Menschen in der Annahme seiner Menschennatur hat freilich auch ihre Konsequenz für Christus selbst: Wirklich er ist der erste Auferstandene, Verherrlichte und damit vor den Menschen Bestätigte. Aber auch solche Bestätigung läuft auf das Heil des Menschen, denn sie läuft auf das Bekenntnis des zum Heil notwendigen Glaubens hinaus. Dieses Bekenntnis als die Konklusion, das setzt weder das Geschehen der Verherrlichung an Christus noch die Bedeutung dieses Geschehens für den Menschen außer Kraft, gehört aber zur integralen Charakterisierung des „Schlusses“, der die Auferstehung ist, wesentlich hinzu, trägt ihm eine neue Note ein. Bonaventura zieht die Erscheinungsgeschichte des Auferstandenen vor Thomas bei. „Ein Doppeltes zeigte er dort, nämlich die Erhabenheit der Glorie, indem er, der Leidenslose und Unsterbliche, bei verschlossenen Türen eintrat als Gott. Sodann zeigte er ihnen Hände und Seite und brachte Thomas zum Bekenntnis, daß er sagte: Mein Herr und mein Gott. Sieh den Vorgang! Zuerst trat er ein als Gott bei verschlossenen Türen – das war der Obersatz. Dann – dies der Untersatz – zeigte er ihnen Hände und Seite; zum dritten erwirkte er die Schlußfolgerung, daß Thomas bekannte: Mein Herr und mein Gott.“5
Vierte Schicht: Die Wendung des Argumentationsziels von der Tatsache der Auferstehung Christi über ihre Bedeutung für uns zu ihrem Bekenntnis durch den Glauben weist uns auf eine scheinbare Unstimmigkeit, im Grunde aber signifikante „Doppelbödig- [90] keit“ in dem hin, was Bonaventura als Logik versteht. Zunächst erscheint doch die Auferstehung als conclusio, als Schlußfolgerung, somit aber als Ergebnis aus den beiden Obersätzen. Andererseits hat Bonaventura den auferstandenen Herrn als die Mitte der Logik eingeführt – dies ist der Anlaß seiner gesamten Erörterung. Und nun, im Bekenntnis des Thomas wird ja nicht nur, ja nicht einmal zuerst die Auferstehung als solche bekannt, sondern die Auferstehung erschließt, wer in Wahrheit dieser erscheinende Auferstandene ist. Damit dreht sich aber die Bedeutung der Schlußfolgerung in die ursprünglich intendierte Position der vermittelnden Mitte zurück. Erweiternd dürfen wir sagen: Von der Auferstehung als Schlußsatz aus werden beide Prämissen, Obersatz und Untersatz, erst beglaubigt. Sie weisen sich nicht selbst aus, sondern erweisen sich aus dem Schluß als der Mitte ihrer Zugänglichkeit. Inhaltlich gesagt: Von der Auferstehung aus wird glaubhaft, daß dieser Jesus der Sohn Gottes ist, und wird glaubhaft, daß die menschliche Geschichte dieses Jesus bis hin zum Tod am Kreuz Geschichte der Liebe Gottes zum Menschen und somit Geschichte seines Heils ist. Die Argumentationsstruktur, die von der Sache her aus den Prämissen auf die Schlußfolgerung weist, geht in der Ordnung des sich interpretierenden Geschehens von der Schlußfolgerung als vermittelnder Mitte zu den Prämissen hin. Genauso will Bonaventura seinen „Beweisgang“ auch verstanden wissen: „Die Mitte zwingt also durch ihre Evidenz, ihre Offenbarkeit und ihre Übereinstimmung mit den Außengliedern (Prämissen) die Vernunft zur Zustimmung, so daß die Außenglieder – da sie zuvor nicht offenbar übereinstimmten – durch die Kraft der Mitte, die mit beiden Außengliedern übereinstimmt, auch unter sich offenbar miteinander übereinstimmen.“6 In der Logik der Liebe geht es also derart zu, daß die Liebe das Erste und sich Durchsetzende ist, daß aber erst am Ende die Momente ihrer Geschichte als Momente der Liebe sichtbar werden.
Fünfte Schicht: Auferstehung ist nicht nur Geschehen für uns, das im Blick auf unsere eigene Auferstehung auch noch ein Geschenk an uns meint, sondern Auferstehung ist – im Sinne Bonaventuras – auch ein Geschehen mit uns. Er verknotet den [91] Schluß Christi mit dem Trugschluß des Teufels: „Es gibt aber ein Argument Christi und ein Argument des Teufels. Das Argument des Teufels führt zur Hölle, ist ein Trugschluß, ein sophistisches und zerstörerisches Argument; das Argument Christi ist ein aufbauendes und wiederherstellendes. Der Teufel nämlich betrog den ersten Menschen und unterstellte im Herzen des Menschen eine Voraussetzung, als ob sie sich von selbst verstünde. Sie heißt: Die vernünftige Kreatur muß die Gleichheit mit ihrem Schöpfer erstreben, denn sie ist sein Bild. Wenn du aber issest, wirst du gleich werden (vgl. Gen 3, 5). Also ist es gut, vom Verbotenen zu essen, um gleich zu werden… Durch diesen Trugschluß führte der Teufel ins Leiden der Natur, in die Not des Bedürfens, in die Sterblichkeit des Lebens.“7 Der Obersatz: Wer Gottes Bild ist, muß Gott gleich werden. Der Untersatz: Wer vom Baum ißt, wird Gott gleich. Der Schluß: Also iß, und du wirst Gott gleich. Mit diesem Schlußverfahren kontrastiert das im ersten Schritt erhobene Schlußverfahren, hier hat die Gegenüberstellung von Sterblichkeit und Unsterblichkeit, Macht und Ohnmacht, Leiden und unzerstörbarer Natur ihren Hintergrund. In einer letzten und tiefsten Interpretation, die das Gesamt der Darstellung Bonaventuras durchzieht, läßt sich das Gegenargument Christi wie folgt formalisieren: Ich selbst bin Gott gleich, ja mit Gott eins; ich nehme die Gleichheit mit euch an, die ihr der Gleichheit mit Gott entraten seid; indem ich, von dem aus ihr seid und seid, was ihr seid, indem ich als das die Schöpfung in Gott eröffnende und umfassende Urbild mit euch gleich werde, erhebe ich auferstehend euch in mein Bild und somit in die Gleichheit mit Gott. Bonaventura macht dieses Ergebnis als seine Intention deutlich: „Darauf geht unser ganzes Verfahren aus, daß wir Gott gleich seien“, und er sieht es durch die aus dem Kreuz resultierende Auferstehung erreicht, wenn er das Johanneswort heranzieht: „Ich werde, wenn ich von der Erde erhöht bin, alles an mich ziehen (Joh 12, 32).“8
Der Angelpunkt, der Unterscheidungspunkt zwischen den beiden Argumentationsreihen ist dann aber der Untersatz. Der Teufel rät zum Aufstieg aus Eigenem, zum Ergreifen der Gottgleichheit, ja Göttlichkeit von unten, Christus rät nicht zuerst, [92] sondern tut – und er tut das Umgekehrte: er steigt ab, er nimmt an, er läßt sich ein ins Unten; denn das Oben läßt sich nur verschenken; und indem er dahin kommt, wo wir sind, kann er das Oben verschenken. Doch dann schließt sein Tun auch ein Raten, ja eine notwendige Forderung mit ein: Nur wer dorthin geht, wo Christus ist, wer sich bis dort hinabläßt, wohin er sich herabgelassen hat, kann ihm begegnen. So aber wird die Logik der Auferstehung Logik unseres eigenen Vollzuges, unserer Nachfolge – und genau darauf legt Bonaventura den Finger. „Das ist unsere Logik, das ist unsere Beweisführung, die dem Teufel entgegenzuhalten ist, der beständig gegen uns argumentiert. Aber zur Annahme des Untersatzes braucht es alle Kraft; denn wir wollen nicht leiden, wir wollen nicht gekreuzigt werden. Und doch geht darauf unsere ganze Beweisführung: daß wir Gott gleich seien.“9 Die Logik der höchsten Souveränität sich verschenkender Liebe Gottes wird unabweislich zur Logik der Nachfolge.