Der Begriff des Heils
Der Begriff des Heils
[210] Hoffnung, Zukunft sind en vogue. Heil ist es nicht. Warum eigentlich nicht? Diese Frage stößt um so dringender auf, als es wohl noch selten so viele „Heilslehren“ gegeben hat wie heute. Doch der Grund, weshalb es sie gibt, und der Grund, weshalb Heil vielen nichts mehr sagt, berühren sich miteinander. Im Begriff Heil ist eine christliche Tradition investiert, in welcher der Mensch seine gegenwärtigen Erfahrungen und Erwartungen nicht mehr wiederzufinden wähnt. Das, was er als Heil verstehen zu sollen glaubt, kann er nicht mehr als sein Heil verstehen. Deshalb stößt er einerseits dieses Wort von sich ab und füllt er es andererseits mit neuen oder scheinbar neuen Gehalten.
Vielleicht greift diese Erklärung jedoch für sich allein zu kurz. Es gibt nicht nur eine Abneigung gegen Inhalte, die den Heilsbegriff gängigerweise füllen; es gibt auch eine Abneigung gegen die Struktur des Daseins selbst, die in der Rede vom Heil impliziert ist: der Mensch möchte sich gar nicht auf etwas hin verstehen, das ihm als Erfüllendes, als Ziel, als die Bedingung seiner Identität mit sich selbst zukommt; er möchte einfach sein was er ist, tun was er tut, ohne die Frage nach einem Wozu, Hernach oder Darüberhinaus. In solcher Haltung kann ebenso die totale Verzweiflung am Sinn leben wie die Leidenschaft, Sinn nur selbst, nur vom Nullpunkt eigener Jeweiligkeit aus zu schaffen. Auf beiderlei Weise liegt also eine Radikalisierung der Heilsfrage vor, die scheinbar abgetan wird. Und doch verbietet es uns diese Radikalisierung, sie als die bloße Bestätigung gewohnter Daseinsanalysen auf Heil hin zu gebrauchen. Wenn wir alle Erfahrungen unserer Zeit ernst nehmen, läßt sich – trotz aller „Weltanschauungen“ und „Heilslehren“ – das „Heilsbedürfnis“ nicht so rasch und so einfach bemühen, wie dies oftmals geschieht.
In den nachfolgenden Erwägungen geht es darum, aus dem gegenwärtigen Verständnis, Mißverständnis oder Unverständnis von Heil neu die Konturen dessen zu gewinnen, was Heil in der christlichen Botschaft sagt. Wir gehen also zugleich von der christlichen Botschaft aus und auf sie zu. Diese Doppelbewegung, das im einen Gedanken artikulierte Gespräch zwischen dem Denken aus dem Glauben und dem Denken auf den Glauben hin, ist der methodische Anlaß, um dessentwillen das Wort „fundamentaltheologisch“ in der Überschrift steht.
Der Weg des Gedankens setzt zunächst bei den Anfragen heutigen Selbstverständnisses des Menschen an die gewohnte christliche „Füllung“ des Heilsbegriffes ein. In der Aufarbeitung dieser Anfragen soll der Grund gelegt werden, von dem aus eine strukturelle Phänomenologie des Heils möglich wird. [211] Aus ihr her läßt sich die Frage angehen, ob eine Kategorie wie die des Heiles überhaupt dem Bewußtsein des Menschen heute zumutbar sei; aus ihr her läßt sich sodann auch die spezifisch christliche Struktur des Heilsverständnisses erheben.