Andere Ikonen?

Der Bildgehalt

Mir scheint, daß sich hier drei Elemente miteinander verbinden.

Das erste möchte ich versuchsweise benennen mit dem Wort „regionale Echtheit“. Ich stelle solche regionale Echtheit in Spannung zur „punktuellen Echtheit“. Wenn ich das Heilige Land oder auch Rom besuche, dann bin ich mir nicht sicher, ob dieses oder jenes wichtige Ereignis genau an dieser oder jener Stelle oder im Umkreis stattgefunden hat. Aber ich halte mich auf in der Region, in welcher konstitutive Ereignisse des Glaubens, der Lebensmitteilung Gottes in Jesus und Jesu in seinen Zeugen eingriffen in unsere Raumzeitlichkeit. Die vom unbekannten Mönch vor 1200 Jahren nach Aachen gebrachten „Reliquien vom Ort der Auferstehung“, die in der Tat in jene Raum-Zeit-Region verweisen, haben einer langen Kette von Generationen den Hauch des Ursprungs nahegebracht.

Damit habe ich aber bereits ein zweites Moment genannt: den Weg der vielen Generationen, die sich durch ihren Weg, ihr Gebet, ihre Gemeinschaft auf die Botschaft vom Heil und seinem Ursprung beziehen. Nicht die bloße Subjektivität des Glaubens kreiert die Ikone, sondern der Bezug des Glaubens zum wirklichen Heilsereignis, welcher Bezug hier sein Medium, seine Kristallisation findet.

Dann aber muß ich doch noch ein Drittes zur Sprache bringen. Auch dieses ist bereits angeklungen. Man kann sich kaum ein bewegenderes Bild der Kargheit, der Schlichtheit, der alltäglichen Banalität des Kommens und Gehens Jesu denken als diese derben Stoffe. So klein, so arm, so nah zu uns war sein Leben. Dies ist der immanente Bildgehalt, dies ist die leuchtende Gestalt der Niedrigkeit, die sozusagen die innere „forma“ dieser Ikone prägt.

Es bleibt eine Herausforderung, sich auf die Genossenschaft mit den immer wieder Hunderttausenden einzulassen, die im Lauf der Jahrhunderte nach Aachen gepilgert sind. Ich glaube – und ich darf sagen: ich habe es 1979 erfahren –, es ist eine Herausforderung, die uns nach vorne ruft in die immer neue Tuchfühlung mit dem immer anders und immer fremd und so gerade immer neu auf uns zukommenden Christus.