Glauben – wie geht das?
Der Boden: alttestamentlicher Schöpfungsglaube
Wir erinnern uns: Jesus holt den Anfang ein, den Gott in der Schöpfung gesetzt hat. Er setzt neu an, wo Gott zum ersten Mal angesetzt hat. Der Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, der Gott, dem Himmel und Erde gehören, ergreift seine Herrschaft, er tritt aus der Distanz heraus und bricht ein in diese Welt. Er, der Gott über der Schöpfung, will der Gott in der Schöpfung werden, der Gott über Himmel und Erde will der Gott sein, dessen Wille wie im Himmel so auf Erden geschieht.
Damit stellt sich Jesus ausdrücklich auf den Boden des alttestamentlichen Weltbildes oder – was dasselbe sagt – des alttestamentlichen Bildes vom Schöpfergott.
In unserem Jahrhundert hat der jüdische Religionsphilosoph Franz Rosenzweig eindringlich auf das bleibend Neue und auch heute noch provokatorisch Andere biblischen Gottes-, Menschen- und Weltbildes hingewiesen. Gott, Welt und Mensch werden nicht ineinander aufgelöst, sondern stehen in gegenseitiger Beziehung zueinander. Das Grundwort dieser Beziehung heißt „und“. Sowohl abendländische Philosophien wie auch Totalentwürfe verschiedener Religionen haben die drei Größen Gott, Welt und Mensch immer wieder auf verschiedene Weise ineinander aufgelöst. Entweder blieb als einzige Wirklichkeit der Mensch übrig, Gott und Welt wurden zu seinem Produkt, zu seiner Projektion, zumindest zu „Funktionen“ des Menschen, die ihren Sinn und Zusammenhang und ihre Realität allein von Gnaden des Menschen haben. Oder – in materialistischer Weltsicht – der Mensch wurde selbst zum Produkt von Welt und Gott zur weiteren Potenzierung dieses Produktes. Die Wirklichkeit, von der her alles zu verstehen, zu gestalten und zu steuern ist, wäre hier eben die Welt, der Stoff, die Verhältnisse, das Milieu, die im Menschen zum Bewußtsein kommen – und dieses Bewußtsein feiert sich dann, sich von seiner realen Basis lösend, in der Gottesidee. Oder aber Gott wird zum einzig Wirklichen, einzig Seienden, und zwar dergestalt, daß Mensch und Welt nicht nur Produkte Gottes, sondern Masken, Erscheinungsformen Gottes, [169] Durchgangsphasen Gottes auf seinem Weg zu sich selbst oder Endphasen auf dem Weg seiner Entäußerung von sich selbst sind.
Damit sollen keine fertigen Formeln für die so reich differenzierten Gottes-, Welt- und Menschenbilder der Geschichte menschlichen Denkens und Lebens geliefert werden. Wohl aber werden Richtungen markiert, von denen sich das alttestamentliche Wirklichkeitsverständnis deutlich absetzt. Gott ist nicht die Welt und nicht der Mensch. Aber Gott ist – schaffend, sich offenbarend, seine erlösende Liebe zuwendend – auf Welt und Mensch bezogen. Er steht vor und über und zugleich zu Welt und Mensch. So ist aber auch der Mensch an sich selber freigegeben, wenngleich oder besser: indem seine Freiheit hinorientiert ist auf Gott und zugewandt zur Welt. Die Welt wiederum ist der von Gott geschaffene und dem Menschen zugewiesene Raum, in dem der Mensch sich bewähren und den er gestalten soll, in dem er sich jedoch nicht verlieren darf; denn die Welt ist zwar für ihn, er aber nicht nur für diese Welt, sondern für Gott erschaffen.
Herrschaft Gottes, Gott in allem, der neue Anfang, den Jesus bringt, dies setzt Gott, Welt und Mensch in eine neue Beziehung zueinander: Gott bricht auf in diese Welt, ja er wird Mensch. Und doch ist die neue Beziehung nicht ein Aufgehen dieser drei Größen ineinander, das sie verschlänge. Herrschaft Gottes bedeutet nicht den Selbstverlust Gottes in Mensch und Welt oder den Selbstverlust von Mensch und Welt in Gott. Die innigste Einheit, die der Liebe, wahrt die Pole, die miteinander in eins gesetzt werden. Nicht Vermischung von Gott, Welt und Mensch, sondern Freigabe von Welt und Mensch in der grenzenlosen Gemeinschaft der Liebe, das ist der neue Ton des Neuen Testamentes, durch den das Alte und sein Weltbild nicht außer Kraft gesetzt sind.
Machen wir auf einige Züge aufmerksam, die in diesem Weltbild eingefaltet und für unser glaubendes Weltverhalten von besonderem Belang sind.
[170] Der eine Gott Himmels und der Erde
Der Gott, der sich von Mensch und Welt abhebt, ist der eine Gott. Er hebt sich auch von jenen Formen der Religiosität ab, die viele Götter kennen. Es ist naheliegend, daß die Religiosität der Menschheit das Göttliche je dort verehrte, Gestalt werden ließ, wo es im Lebensraum des Menschen diesen betraf und rief. Aus den vielen Begegnungen mit dem Göttlichen, aus den vielen Berührungen des Göttlichen gewann dieses seine vielfältigen Gesichter und Gestalten, das Heilige wurde in vielen „Göttern“ verehrt. Die Übermächtigung des Menschen in seinem Leben, in seiner Alltagserfahrung, zumal in seiner Schöpfungs- und Naturerfahrung sind auch der Mutterboden, aus dem viele Zeugnisse der Religion Israels erwachsen. Aber mit zielsicherer Geradlinigkeit hebt sich der Glaube Israels aus derlei Verklammerungen empor, wird er zum Glauben an den einen Gott, der, in der Welt sich zeigend, über ihr steht. Als der eine Gott, der dem Menschen vielfältig nahe ist, wird er mehr und mehr zum Gott des Weges, zum Gott der Geschichte. Menschliche Verehrung kann ihn nicht festhalten, indem sie ihn in diese Welt hineinbannt, sondern sie begegnet den Spuren seiner Führung und geht im Vertrauen auf ihn, der verheißt, fordert, schenkt, führt, rettet, auf sein Wort hin, den Weg durch diese Welt. Sie wird Raum der Beziehung zu Gott, aber nicht Grund dieser Beziehung. Glaube bewährt sich in dieser Welt und gestaltet sie so.
Der Schöpfer und die Schöpfung aus dem Nichts
Konsequent, daß diese Welt nicht ein von Gott auf irgendeine Weise vorgefundener Raum, nicht eine Vorgabe an den nachträglich sie gestaltenden Gott ist; konsequent, daß sie nicht Endprodukt eines innergöttlichen Kampfes oder Prozesses ist, wie dieser Gott nicht Produkt eines Weltprozesses, einer Entwicklung ist. Nein, dieser Gott hat Himmel und Erde geschaffen – und, wie sich in der Reflexion des Grundansatzes immer deutlicher herausschält, aus dem Nichts geschaffen. Gott ruft – und die Welt entsteht. Die Eigen- [171] ständigkeit der Welt ist Eigenständigkeit ganz und gar von Gottes Gnaden, ganz und gar ohne eigene Voraussetzung. Dualismus ist von der inneren Logik alttestamentlichen Gottesglaubens her umso mehr ausgeschlossen, je tiefer dieser Glaube sich selbst erfaßt und reflektiert. Die Welt, die sich Gott allein verdankt, ist indessen nicht weniger, sondern mehr eigenständige Welt. Sie stammt nicht von sich selbst, aus einem undeutlichen und unbewußten Urgrund und wäre dann hernach von Gott überformt worden, von einem Gott, der ihr erst so sein ihr zutiefst fremdes Lebensgesetz aufprägte. Vielmehr ist diese Welt „gemeinte“, „gewollte“, von Grund auf sich selbst gegönnte, überlassene, freigegebene Welt. Sie muß sich auf Gott beziehen, ihm entsprechen – aber in solcher Beziehung und Entsprechung hat sie ihren eigenen Glanz und ihren eigenen Wert.
Glanz und Wert, gewiß. Und doch ist sie „entzauberte“ Welt. Die Schauer und Schrecken des Heiligen wohnen auch in der Welt, die das Alte Testament kennt. Aber eine Verfallenheit an diese Schauer und Schrecken gibt es im Glauben an Jahwe, den Bundes- und Schöpfergott Israels, nicht. Sonne und Mond, Himmel und Naturgewalten sind nicht die Rivalen des Gottes, der alles dies gemacht, geordnet und dem Menschen hingestellt hat, daß er sich dessen bediene. Nüchterne Freiheit, mit dieser Welt umzugehen, wächst aus der Treue, die jeden Augenblick auf die Hand des Herrn schaut und die Dinge so gebraucht, wie er sie uns in unsere Hand hineingelegt.
Der Mensch – Gottes Bild
Indem der Mensch diese Welt Gott verdankt und im Blick auf Gott gestaltet, bewahrt er seine eigene, seine menschliche Eigenständigkeit. Er ist Bild Gottes – gerade indem er die Herrscherlichkeit Gottes über diese Welt ausübt, ausübt aber in der dauernden Maßnahme an Gott, im Bund mit ihm. Auch und zumal beim Menschen gehören Abhängigkeit von Gott und Eigenstand aufs innigste zusammen.
Die Welt, die ihr Geschick im Umgang des Menschen mit ihr und in der Führung und Fügung des Gottes hat, der sie dem Menschen [172] übergibt, ist nicht nur Natur; sie ist Natur und Geschichte, Natur in Geschichte. Der Schöpfungsbericht gehört in die Vorgeschichte des Bundes hinein (vgl. die Stellung des Schöpfungsberichtes Gen 1 und 2 im gesamten der Komposition der 5 Bücher Mose). Besonders eindrucksvoll sehen wir dies etwa am Lobpreis der Größe und Barmherzigkeit Gottes, wie sie Psalm 136 uns darbietet: Gottes Großtaten sind zugleich jene der Schöpfung und die Taten der Führung in der Geschichte Israels. Welt ist Welt in jener Geschichte, die sie mit dem Menschen auf Gott hin und von Gott her hat. Welt ist der Raum, der sich öffnet für das Heil des Menschen, indem er sich öffnet für die Herrschaft Gottes.