Das Beten der Kirche

Der christologische Ansatz der Antwort

Auf dem Hintergrund dieser Not um die Ungleichzeitigkeit zwischen Welt, Kirche und mir selbst erhält die Grundaussage des Epheserbriefs eine neue Leuchtkraft. Gerade das, was an ihr zunächst fremdartig und zeitbedingt erscheint, kann uns helfen, einen weiterführenden Ansatz zu finden.

Auch der Epheserbrief knüpft an bei einer Erfahrung der Ungleichzeitigkeit. Die Ströme der Menschheitsgeschichte waren aneinander vorbeigelaufen. In den großen Städten von damals lebten Juden und Griechen nebeneinander. Doch zwischen denen, die auf dem Boden des Alten Testamentes den lebendigen Gott verehrten, und jenen, die in der religiösen Vielfalt, ja Zerspaltenheit und skeptischen Müdigkeit der späten Antike zu Hause waren, gab es keine Brücke. In diese Situation hinein trifft das Evangelium, die Botschaft von Jesus, dem Juden, der nicht nur für die Juden, sondern für alle am Kreuz gestorben ist (vgl. Eph 2,11–22; 3,1–13). Er hat nicht nur ein Schicksal erlitten wie irgendeiner von uns. Er hat sich nicht nur eingesetzt für die Armen und Schwachen und ist daran gescheitert, wurde in den Tod ausgeliefert und hat das im Vertrauen auf den Gott, den er als den Freund und Helfer der Armen verkündete, beispielhaft ertragen. Nein, in ihm hat Gott selbst sich über die Not und Zerrissenheit der Welt gebeugt. Er ist der Sohn Gottes, der unser Schicksal, unsere Schuld, die Last aller getragen hat. Er ist an die Stelle eines jeden einzelnen von uns getreten und hat an dieser unserer Stelle, für uns, die Brücke zum Vater geschlagen. Er hat für uns ja gesagt, in ihm sagt der Vater sein Ja zu uns, durch ihn gibt er uns seinen Geist, damit wir mit ihm Söhne, Kinder Gottes seien.

[23]In der Sprache des Epheserbriefs: Christus ist unser Friede, er hat die Trennwand zwischen Gott und uns eingerissen und uns den freien Zugang zum Vater eröffnet und damit ist ebenso die Trennwand zwischen uns eingerissen, wir gehören nicht nur im selben Schicksal, sondern wir gehören in derselben Liebe Jesu, in seinem Ja, seiner Hingabe untrennbar zusammen. Gleichzeitigkeit zwischen Juden und Griechen, Gleichzeitigkeit zwischen den Fernsten und den Nächsten und mir selbst.

In Jesus kommt das Wort zum Klingen, in welchem alles geschaffen und gemeint ist, das Wort, nach dem alle suchen, indem sie nach Sinn, Erfüllung, Einheit suchen. Er ist selbst Gottes fleischgewordenes Wort. In ihm wird die Einheit der Schöpfung sichtbar, in ihm fängt sie von neuem an. Er ist das Haupt der neuen Menschheit, das Band, das die Welt zusammenhält (vgl. Eph 1,3–14).

Aber noch fehlt ein entscheidender Schritt: Was in Christus geschehen ist, das wird anfänglich Gestalt in der Kirche, in der Gemeinschaft derer, die sich auf ihn, auf seine Botschaft und seinen Weg einlassen. Hier werden Juden und Griechen eins, hier beten sie im einen Geist zum Vater, hier werden sie Glieder am einen Leib, dessen Haupt Jesus Christus ist (vgl. Eph 2,18–22; 4,1–16). Kirche ist nicht ein Verein von solchen, die eine gleiche Ideologie vertreten, nicht ein Interessenverband von solchen, die sich um die Verbreitung einer Weltanschauung bemühen. Kirche ist Einheit, in welcher Gegensätze versöhnt sind in der einen Mitte, Christus. Kirche ist Einheit, in welcher die Einheit der Menschheit anfänglich zur Darstellung kommt. Kirche ist Einheit, welche die endgültige Einheit vorwegnimmt, auf die alle Geschichte der Menschheit hinzielt.